Twitterst du noch oder stirbst du schon?
Alena Graedons Debütroman „Das letzte Wort“ zeichnet ein düsteres Bild der digitalen Generation
Wer, so wie ich kürzlich, sein Handy zu Hause vergessen hat, merkt schnell, wie sehr wir uns inzwischen daran gewöhnt haben, immer und überall zu WhatsAppen, zu twittern oder sich von google.maps zum gewünschten Zielort navigieren zu lassen. Wobei „gewöhnen“ fast schon ein bisschen untertrieben ist. Könnte es nicht sogar sein, dass wir auf eine handfeste Abhängigkeit von unseren liebgewonnen Devices zusteuern?
Im Fall von Alena Graedons Debütroman „Das letzte Wort“ (im Shop) muss diese Frage ganz klar mit Ja beantwortet werden. Die Smartphones der neuen Generation, sogenannte Mems, übernehmen für die User sämtliche Alltagsaufgaben; Printmedien dagegen sind so gut wie ausgestorben. Als eine neue verbesserte Version des Mems auf den Markt kommt, das eine direkte Verbindung zwischen menschlichem Gehirn und technischem Gerät ermöglicht, kommt es zur Katastrophe: Zeitgleich wird ein Virus – die Wortgrippe - freigesetzt, der den Menschen die Sprache raubt und in den schlimmsten Fällen sogar zum Tod führt. Die Heldin des Romans ist die junge New Yorkerin Anana Johnson, Mitherausgeberin des letzten analogen Wörterbuchs und glühende Verfechterin des gedruckten Wortes. Als Ananas Vater eines Tages spurlos verschwindet und zwei ihrer Freunde an der Wortgrippe erkranken, ist ihr sofort klar, dass diese Ereignisse im Zusammenhang mit dem neuen Mem stehen. Anana begibt sich auf eine abenteuerliche Spurensuche in der Welt der analogen und digitalen Kommunikation …
Dass Sprache Alena Graedons Steckenpferd ist, merkt man bereits auf den ersten Seiten des Romans: Die Kapitelüberschriften sind den Einträgen eines Wörterbuches nachempfunden, der Name der Protagonistin ist ein Palindrom und die Wortgrippe-Patienten sprechen nur noch Kauderwelsch. Doch wer hinter der Geschichte ein pessimistisches, kopflastiges Traktat gegen den Gebrauch digitaler Medien vermutet, irrt sich. „Das letzte Wort“ ist zunächst vor allem eines: ein Science-Fiction-Roman im ureigensten Sinne. Ein Roman, der uns – ausgehend vom aktuellen Stand in Technik, Forschung und Gesellschaft – neue Ideen präsentiert, wie unsere Zukunft sein könnte. Ideen, über die man einmal nachdenken sollte. Vielleicht, während man dieses Buch liest.
Vielleicht, wenn man mal wieder sein Handy zu Hause vergessen hat.
Alena Graedon: „Das letzte Wort“ ∙ Roman ∙ Aus dem Amerikanischen von Sabine Thiele ∙ Wilhelm Heyne Verlag, München 2016 ∙ 576 Seiten ∙ E-Book: € 11,99 (im Shop)
Die aktuelle Story des Monats, „Scanner leben vergebens“ von Cordwainer Smith, finden Sie hier.
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