16. Dezember 2021 1 Likes

Charles Platt: Die Weltenschöpfer

Kommentierte Gespräche mit vielen SF-Schaffenden aus den 80ern in drei Bänden

Lesezeit: 5 min.

Zwischen 1978 und 1982 traf und interviewte Science-Fiction-Autor Charles Platt an die 60 seiner englischsprachigen Kollegen und Kolleginnen. Aus den Tonbandaufnahmen und Zitaten machte er Artikel beziehungsweise Portraits, die im Original einst in zwei „Dream Makers“‑Büchern veröffentlicht wurden. Nachdem 1982 im Hohenheim-Verlag ein Auswahlband auf Deutsch herauskam, erscheint im Memoranda Verlag seit Ende 2021 eine erweiterte dreibändige Neuausgabe unter dem Titel „Die Weltenschöpfer“ mit exklusivem Zusatzmaterial.

Platt, der 1945 in London geboren wurde und seit Langem in den USA lebt, schrieb SF-Romane wie „Free Zone“, drastische erotische Bücher und viele Tech-Sachtexte. Für „Die Weltenschöpfer“ traf er Isaac Asimov (im Shop), Ray Bradbury (im Shop), J. G. Ballard, Ben Bova (im Shop), Fritz Leiber, Joe Haldeman (im Shop), Philip José Farmer (im Shop), Frederik Pohl (im Shop), John Brunner (im Shop), Arthur C. Clarke (im Shop), Janet Morris, Jack Vance (im Shop) und andere. Mit L. Ron Hubbard, SF-Writer und Scientology-Gründer, lief der Kontakt schriftlich über Mitarbeiter. Es gab nur wenige, mit denen Platt kein Interview bekam, darunter Ursula K. Le Guin und Robert Heinlein (im Shop). Das verstörendste Gespräch führte Platt fraglos mit Philip K. Dick (im Shop), der sich nach seinen göttlichen Erscheinungen höchst paranoid und merkwürdig verhielt. Und mit dem ewig streitlustigen Harlan Ellison (im Shop) lieferte sich Platt nach dem hässlichen Ende ihrer Freundschaft eine regelrechte Fehde, Prügelei auf einer Party und Unterlassungsklagen inklusive.

 

Erfolge und Exzentrik

Platts Portraits sind eindeutig Werke des New Journalism, launige Subjektivität und unverhohlene Voreingenommenheit gehören also dazu. Manchmal setzt er voll auf die O-Töne der Schreibenden, manchmal schreibt er vor allem selbst über Menschen, Orte, Werke, Szene und mehr. Dabei zeichnen Platt und Co. oft ein ziemlich düsteres Bild des Schreibhandwerks, der Verlagswelt und deren exzentrischer Gestalten.

Obwohl es in diesem Umfeld viel zu kritisieren und beklagen gab, trieb die Science-Fiction-Weltenschöpfer des Goldenen Zeitalters und der New Wave damals vor allem eine Sache an, wie Platt im Dezember 2021 selbst im Interview sagt: „Ich weiß nicht, wie es heute ist, aber in den 1980ern teilten Schreibende einen Traum über die Wichtigkeit der Science-Fiction. Und als ein paar Autoren wie Clarke und Asimov extrem erfolgreich wurden, erlagen andere der Versuchung und glaubten, dass ihnen dasselbe passieren könnte. Niemand dürfte sich vorgestellt haben, dass nach Erfolg auch wieder das Versinken in der Vergessenheit kommen mochte.“

 

Frank Böhmert (hier seinerseits im Interview), der für Heyne zuletzt Martha Wells’ „Killerbot“-Bücher (im Shop) und Brian Aldiss’ (im Shop) Klassiker „Der lange Nachmittag der Erde“ übertragen hat, ist einer von vielen Übersetzenden der Memoranda-Ausgabe. Ihn hat der pessimistische Ton der Weltenschöpfer nie gestört. Ihn inspirierte der Hohenheim-Band samt allen Leidensgeschichten sogar: „Schon mit 15 wollte ich Schriftsteller werden. Schreibratgeber gab es kaum, und über das Verlagswesen verrieten sie praktisch nichts. Da war es mit 20 eine Offenbarung, hier den Autoren direkt in die Textwerkstatt zu blicken und Konkretes aus dem Berufsleben zu erfahren. Ich fand den Ton wohltuend desillusionierend. Ich pinnte Zettel mit coolen Zitaten über meinen Schreibtisch, und wenn ich frustriert oder blockiert war, schlug ich nach, wie die Genregrößen damit umgingen.“

Noch heute möchte man trotz des zeitlichen Abstands von 40 Jahren und je einem Ozean tatsächlich mindestens einmal pro Kapitel den Textmarker auspacken und wenigstens eine nach wie vor treffliche, gültige Aussage hervorheben. Allerdings muss man unbedingt den Zeitgeist beachten, die modernen Kontext-Anhänge nach jedem Portrait lesen und generell den internen Bullshit-Detektor einschalten. Nicht jedes Portrait ist zudem gleich einsichtsreich oder unterhaltsam – wie bei Storysammlungen oder Anthologien. Wer sich für SF interessiert, kommt an der Lektüre trotzdem nicht vorbei und freut sich auf die Bände zwei und drei in 2022.

 

Extras in Erstveröffentlichung

Ein bisschen schade ist, dass die Bücher keine Fotos enthalten. „Die vermisse ich auch“, sagt Verleger Hardy Kettlitz, der seit einigen Jahren „Das Science Fiction Jahr“ mitherausgibt. „Charles Platt hat damals alle Autoren fotografiert. Ich habe ihn natürlich nach den Bildern gefragt, aber leider sind sie nach mehreren Umzügen verschwunden, und aus den gedruckten Ausgaben der Dream Makers-Bände ließen sie sich nicht reproduzieren.“ Happy mit seiner umfangreichen Neuausgabe ist Kettlitz aber allemal, und das zurecht: „Charles hat Anfang 2021 exklusiv für die Ausgabe bei Memoranda zahlreiche Historical Contexts verfasst, in denen er weitere Anekdoten zu den Autoren und Erlebnisse mit ihnen erzählt, die sich nach seinen Interviews zugetragen haben. Somit ist ein nicht unwesentlicher Teil der deutschen Bände eine Welterstveröffentlichung.“

Die Arbeit an den Portraits bereicherte übrigens auch Platts Leben, wie der 76-jährige in der Rückschau sagt: „Ich war überrascht, dass sich zwischen mir, Alice Sheldon [James Tiptree Jr.] und ihrem Ehemann, der eine hohe Position bei der CIA hatte, eine Freundschaft entwickelte. Ich teilte nicht die düstere Perspektive von Alice’ Geschichten, aber ich liebte sie als Person und verbrachte nach dem Interview für Weltenschöpfer viele Stunden mit den beiden, um über ihre bemerkenswerten Leben zu sprechen.“

 


Charles Platt

Stolz und Fortsetzung

Platt, dessen internationale Renaissance dank Festa und Memoranda auf dem deutschsprachigen Markt begann, hätte durchaus Lust auf neue Portraits, um mit William Gibson, Kim Stanley Robinson (im Shop), Bruce Sterling (im Shop), Greg Bear (im Shop) und anderen zu sprechen. Allerdings glaubt er nicht, dass ein Verlag einen angemessenen Vorschuss zahlen würde (was Kleinverlage automatisch ausschließt), und beim Thema Crowdfunding zögert er.

Dennoch ist er noch heute stolz auf „Die Weltenschöpfer“: „Aus Gründen, die ich nicht verstehe, sprachen die Menschen bereitwillig sehr offen mit mir. Selbst wenn sie es in der Vergangenheit vermieden hatten, interviewt zu werden (Barry Malzberg, Keith Roberts) oder schon sehr oft interviewt wurden (Stephen King [im Shop]). Die Autoren und Autorinnen gaben stets extrem viel über sich preis. Auch bin ich stolz, dass sich fast niemand über meine Schilderungen beschwerte. Und ich bin glücklich, dass die Portraits als einzigartige Aufzeichnungen des Science-Fiction-Feldes in den späten 1970ern und frühen 1980ern überdauert haben.“

Charles Platt: Die Weltenschöpfer, Band 1 • Memoranda, Berlin 2021 • 356 Seiten • € 19,90

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