15. September 2021 3 Likes

„Das Land des Lachens“ von Jonathan Carroll

Wie Bücher einen manchmal finden, sowie man aufhört, nach ihnen zu suchen

Lesezeit: 5 min.

Endlich gibt es wieder eine schöne, lieferbare Ausgabe von Jonathan Carrolls bekanntestem Roman „Das Land des Lachens“ (im Shop). Im amerikanischen Original kam das Buch 1980 heraus, 1986 erschien es bei Suhrkamp erstmals auf Deutsch, und zwar in der legendären Phantastischen Bibliothek, zwischen H. P. Lovecraft, Philip K. Dick, Herbert W. Franke und Jack London. 1992 folgte eine weitere Suhrkamp-Taschenbuchausgabe mit neuem Cover, 1998 gab es noch eine Hardcover-Neuauflage bei Insel. Die druckfrische, erstmals auch digitalisierte Heyne-Edition aus dem September 2021 ist eine dezent überarbeitete Neuausgabe der gewohnten Übersetzung von Rudolf Hermstein und enthält außerdem ein Nachwort von Literaturkritiker und druckfrisch-Moderator Denis Scheck (und ja, er geht auf den Chauvinismus ein, den einzigen Wermutstropfen aus heutiger Sicht und sowieso bei einem Erstkontakt über 40 Jahre nach Entstehung).

Noch ein paar Basics: „Das Land des Lachens“ war der Debütroman von Jonathan Carroll, der 1942 in New York City geboren wurde, jedoch seit Langem in Wien lebt, dort als Lehrer für Literatur an der American International School unterrichtete und hier twittert. Für seine Kurzgeschichte „Freund des Menschen“ erhielt Carroll 1988 den World Fantasy Award, sein Roman „Vor dem Hundemuseum“ von 1991 wurde mit dem British Fantasy Award ausgezeichnet, und seine Storysammlung „Die panische Hand“, übrigens zuerst auf Deutsch zusammengestellt und für die englischsprachige Ausgabe lediglich um eine Novelle erweitert, wurde 1995 mit dem Bram Stoker Award bedacht.

„Die Land des Lachens“, im Original „The Land of Laughs“, ist eines dieser Bücher, über die man auf keinen Fall zu viel verraten darf, so sehr man das Werk auch anpreisen möchte. Denn die Geschichte des Lehrers Thomas Abbey und der Marionettenmacherin Saxony Gardner, die eine Biografie ihres Lieblingsautors Marshall France schreiben wollen und dafür in dessen Vergangenheit und vor allem dessen Heimatstädtchen Galen reisen, verwandelt sich unterwegs mehrfach: Sie beginnt als ein äußerst charmantes und launiges Stück Meta-Literatur (Carroll selbst lobte einmal den Begriff Hyper-Fiction eines deutschsprachigen Kritikers) und eine Liebeserklärung an Lieblingsautoren und Lieblingsbücher, hat dann etwas von einem Roadmovie und einer Lovestory, und schließlich wird es immer mysteriöser und fantastischer, landen wir eher im Bereich des magischen Realismus, was man von Anfang an erwartet, obwohl Carroll es genüsslich lange hinauszögert. Mehr sollte dazu nicht gesagt werden, und in diesem Text soll es auch gar nicht um den Inhalt des Klassikers gehen.

Stattdessen möchte ich Ihnen erzählen, wie ich „Das Land des Lachens“ gefunden habe, oder wie das Buch – was wohl eher der Wahrheit entspricht – viel mehr mich gefunden hat. Wann immer es sich ergibt, lese ich Bücher, die meine persönlichen Lieblingsautor:innen empfehlen, sei es durch einen Blurb in einer Vorschau oder auf einem Backcover oder, inzwischen immer häufiger, via Social Media. Wenn etwa Dennis Lehane, Neil Gaiman (im Shop), Joe R. Lansdale (im Shop), Robin Hobb (im Shop) oder Peter S. Beagle jemanden aus der schreibenden Zunft zelebrieren, von dem oder der ich bisher noch nichts gelesen habe, dann werde ich neugierig, und das hat mir schon viele neue Lieblinge beschert, sowohl was Bücher als auch Autor:innen angeht.

Im Fall von Jonathan Carroll und „Das Land des Lachens“ war es Neil Gaiman, der bei mehreren Gelegenheiten schwelgte und schwärmte – der von „einem besonderen Buch und einem dieser raren, wirklich besonderen Schriftsteller“ sprach und Carroll als einen seiner liebsten lebenden Autoren bezeichnete. Gaiman lieferte sogar ein Vorwort zu „Das Land des Lachens“, das auch von Stephen King (im Shop) und Stanisław Lem geadelt wurde, und ließ ihn innerhalb einer „Neil Gaiman Presents“-Reihe veröffentlichen (Carroll, auf der anderen Seite, steuerte ein Vorwort zu einer Neuausgabe von Gaimans und Dave McKeans frühem Comic „Signal to Noise“ bei). Neil Gaimans glühende Begeisterung für Jonathan Carroll habe ich ungefähr vor rund 15 Jahren registriert, und sie weckte direkt einen Haben-will-Impuls in mir, der ich das Buch von Carroll vorher nie auf dem Radar gehabt hatte. Allerdings war gerade keine deutschsprachige Ausgabe von „Das Land des Lachens“ so mir nichts, dir nichts verfügbar, und auf die antiquarische Hatz hatte ich damals gerade keinen Geist, die Lesestapel sind ja ohnehin meistens hoch und wackelig genug. Fürs erste vergaß ich „Das Land des Lachens“ wieder.


US-Erstausgabe

2013 stand ich dann in Hermkes Romanboutique in Würzburg, meiner Stammbuchhandlung, und stöberte ein paar Minuten zwischen den vollgepackten Regalen umher – nicht im Antiquariat hinten, sondern vorne, bei den Novitäten und der Neuware. Und da lachte mich doch plötzlich, zwischen vielen schwarzen Buchrücken mit pinkfarbener Schrift, tatsächlich der des 1992er Suhrkamp-Taschenbuches von „Das Land des Lachens“ an. Ich zog das schmale Büchlein aus dem Regal, erkannte das Cover von Hans-Jörg Brehm mit der Schreibmaschine und dem Bullterrier (das ich online gesehen hatte) und erinnerte mich an mein Interesse vor ein paar Jahren. Natürlich ging das Buch, wie ein braver Bullterrier, an diesem Tag mit mir nach Hause (und ich genoss das Glücksgefühl des unerwarteten Funds, das zum Stöbern-in-der-kleinen-Buchhandlung dazugehört – und ja, das Buch duftete und duftet noch immer exakt so, wie Sie sich das gerade vorstellen). Es hat dann noch ein Weilchen gedauert, bis ich zum Lesen kam – die Stapel des Wahnsinns, Sie erinnern sich? Die Lektüre hat mir von Anfang an gefallen, ich konnte den Gaiman-Hype durchaus nachvollziehen (das ist die einzige Gefahr, wenn man den Tipps der persönlichen Faves folgt: Manchmal geht man mit zu hohen Erwartungen an die Sache heran. Okay, das und erhebliche Probleme mit der Endlichkeit von Zeit und Platz).


Jonathan Carroll. Foto © Mateusz Skwarczek / Agencja Gazeta, Poland

Als ich nun gesehen habe, dass die wegen Corona verschobene Heyne-Neuausgabe von „Das Land des Lachens“ draußen ist, habe ich mich sofort daran erinnert, wie Jonathan Carrolls Roman und ich damals zusammengefunden haben. Manchmal sind diese Erinnerungen ans Drumerhum genauso wertvoll wie die Geschichten zwischen den Buchdeckeln selbst. Das wissen nicht nur Jonathan Carroll oder Neil Gaiman. Ich drücke daher die Daumen, dass viele Leser:innen auf ihren eigenen Wegen oder, noch besser, ihren eigenen Umwegen zu „Das Land des Lachens“ finden und um eine dieser schönen, unbezahlbaren Buch-Erinnerungen reicher sein werden. Und wenn nicht, wenn es nur ein einfacher, gezielter Griff in ein Regal oder ein Klick online ist, dann lesen Sie wenigstens einen ungewöhnlichen fantastischen Klassiker und haben allein deshalb gut lachen.

Jonathan Carroll: Das Land des Lachens • Roman • Aus dem Englischen von Rudolf Hermstein • Wilhelm Heyne Verlag, München 2021 • 368 Seiten • als Paperback und E-Book erhältlich • Preis des E-Books: € 9,99 • im Shop

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