16. Oktober 2020 1 Likes

„Last Human“ – Die große neue Space-Opera

Eine erste Leseprobe aus Zack Jordans epischem Science-Fiction-Roman

Lesezeit: 9 min.

Meistens fühlt sich Sarya, die Protagonistin aus Zack Jordans actiongeladenem Debüt „Last Human – Allein gegen die Galaxis“ (im Shop), ganz normal. Überhaupt nicht wie das furchterregendste Geschöpf im ganzen Kosmos. Meistens kommt sie auch ganz gut damit klar, dass sie der letzte Mensch im Universum ist, und dass sie wohl nie erfahren wird, warum die Menschheit eigentlich ausgerottet wurde. Denn meistens ist sie damit beschäftigt, ihre wahre Identität vor den Hunderten von Aliens, die Watertower Station bevölkern, zu verbergen. Oder ihre Adoptivmutter, eine riesige Alienspinne, daran zu hindern, die Nachbarn zu fressen. Doch als ein Kopfgeldjäger auf der Raumstation eintrifft und nach ihr sucht, muss Sarya fliehen. Eine wilde Jagd quer durchs Universum beginnt …

„Last Human“ ist eine packende Mischung aus „Star Wars“ und Terry Pratchett und ab sofort im Buchhandel erhältlich. Für alle, die sich einen ersten Eindruck verschaffen möchten, stellen wir hier eine Leseprobe des Romans zur Verfügung.

 

1

Vor gar nicht so vielen Jahren war Shenya die Witwe eine vakuumkalte Killerin. Und was Hobbys – nein, Leidenschaften – angeht, so war dies eine außerordentlich erfüllende Beschäftigung. Die ganze Nacht jagen, im Morgengrauen schlemmen, vor dem langen Schlaf am Tag unter den vorzüglichsten Männchen auswählen … o ja. Sie träumt immer noch davon, und leider ist die Fantasie, so traurig es sein mag, alles, was sie noch hat. Denn Shenya die Witwe ist ganz und gar, im Geist wie im Körper, in den Bann einer uralten,schrecklichen Macht geraten.

Mutterschaft.

Nun hockt sie also wie der Schatten des Todes vor einer verschlossenen Schlafzimmertür und spannt nachdenklich verschiedene, mit Klingen besetzte Gliedmaßen an. Genau davor hat ihre eigene Mutter sie gewarnt. Sie könnte jetzt jagen. Sie könnte mit den Gefährtinnen ihres Zirkels im Mondlicht durch den Wald streifen, den Blutdurst in der Brust spüren, mit ihrem Jagdschrei in den Chor der Schwestern einstimmen und der Beute einen schönen Tod bringen … aber nein.

Im Kopf verfasst sie eine Netzwerknachricht. [Sarya die Tochter] lautet die Nachricht. [Meine Liebe und mein größter Schatz. Mein Kind, für das ich jederzeit mit Freuden mein Leben geben würde. Öffne die Tür, ehe ich sie aus der Wand der Station schneide.] Sie fügt ein paar ausgewählte Emotionen hinzu, obwohl sie weiß, dass die Netzwerkeinheit ihrer Tochter zu primitiv ist, um sie richtig darzustellen, und schickt die Nachricht über das Netzwerkimplantat im  Hinterkopf ab.

[Fehler, Einheit nicht empfangsbereit] lautet die Antwort. [Wünsche einen schönen Tag.]

Shenya stößt ein gedehntes, aufgebrachtes Fauchen aus. [Sehr schlau] sendet sie zurück und tippt mit einer glänzenden schwarzen Klinge an die Tür. [Ich weiß, dass du auf Empfang bist, meine Liebe. Und wenn du noch einmal deine Einheit sabotierst, dann kannst du was erleben.] Sie jagt die Nachricht so heftig wie möglich los, lehnt sich an das Schott und lässt alle Klingen, die sie nur hat, schrill klirren, als wollte sie vor einer Gefahr warnen.

Endlich gleitet die Luke zischend auf, Metall schleift auf Chitin, und Shenya die Witwe steht in dem viel zu grellen Licht, das aus dem Quartier ihrer Tochter fällt. Sie ignoriert die schmerzenden Augen – muss ihre Tochter denn das Licht in ihrem Zimmer immer so hell stellen? – und wartet, bis sie an der Rückwand die eher in sich zusammengesunkene als sitzende Gestalt erkennen kann. Der Overall ist verknittert, die Stiefel sind gelockert, die Ärmel so weit hinunter und der Kragen so weit hinauf gezogen, wie es nur möglich ist. Nur der Kopf und die Enden der oberen Gliedmaßen bleiben frei, aber selbst beim Anblick dieser kleinen Blößen wäre ihr vor gar nicht so langer Zeit noch übel geworden.

Schon damals, als Shenya die Witwe nicht einmal im Traum daran gedacht hätte, dieses Wesen Tochter zu nennen, hat sie eine Weile gebraucht, um sich an den Anblick einer Intelligenz ohne Exoskelett zu gewöhnen. Man stelle sich nur vor, ein Wesen mit lediglich vier Gliedmaßen! Noch schlimmer, die Gliedmaßen teilen sich an den Enden in jeweils fünf weitere Anhängsel auf. Ist das nicht der Stoff, aus dem Albträume sind? Und als wäre das noch nicht widerwärtig genug, ist dieses Wesen von Kopf bis Fuß nicht etwa in sauberes, schönes Chitin gehüllt, sondern in ein fettiges, mit Blut gefülltes Organ, das man Haut nennt, wie sie dank ihrer Nachforschungen herausgefunden hat. Die Haut ist mit kleinen Härchen besetzt, die sich scheinbar willkürlich an bestimmten Stellen konzentrieren. Ganz oben wächst ein dichtes Büschel, lang und dick und fast witwenschwarz, und fällt ungezähmt und in Locken vor die seltsamsten Augen, die man sich nur vorstellen kann. Diese Augen! Zwei mehrfarbige Kugeln, die blitzen wie tödliche Hiebe und Gefühle fast so gut ausdrücken können wie zwei Mandibeln. So etwas hätte sie sich nicht ausmalen können, wenn es nicht direkt vor ihr stünde. Dieser Blick, der beinahe den Boden verbrennt und irgendwie aus den eigenartigen konzentrischen Ringen entspringt – ist das etwa trotziger Zorn?

»Die gesperrte Luke tut mir leid«, sagt ihre Adoptivtochter, ohne den Kopf zu heben. Mit den Oberarmen, das entgeht Shenya der Witwe keineswegs, macht sie ein beinahe obszönes Witwenzeichen. »Ich habe mich für meinen Ausflug fertig gemacht.«

Jetzt versteht es die Mutter. Da ist eine ungeheure Verärgerung,eine Wut, die einer Witwe würdig ist und die auf irgendetwas außerhalb dieses Raumes zielt.

Unter dem sanften Klicken ihres Exoskeletts auf dem Metallboden gleitet Shenya die Witwe in den Raum ihrer Tochter. Sie mag eine Räuberin an der Spitze der Nahrungskette sein, eine mörderische, in Blitze und Dunkelheit gehüllte Seele, aber vor allem ist sie eine Mutter. Es gibt Dinge, die man richtigstellen muss, und Schmerzen, für die man sich gnadenlos rächen muss. Aber ehe etwas in dieser Art geschehen kann, muss das Zimmer aufgeräumt werden. Shenya die Witwe macht sich mit ihren vielen Gliedmaßen an die Arbeit.

Der Reserveoverall – ja, der kann sofort in die Wäsche. Zwei Gliedmaßen falten ihn zusammen und legen ihn neben die Tür. Das Nest oder die Koje, wie ihre Tochter es jetzt nennt, muss gerichtet werden. Zwei weitere Klingen beginnen mit dem edlen Werk. Eine einzelne Klinge sucht auf dem Boden die Verpackungen von Proviantriegeln und spießt das Silberpapier mit der Spitze auf. Sobald die ersten beiden Gliedmaßen die Wäsche abgelegt haben, ziehen sie eine weiche dunkle Gestalt auf dem Boden herbei. Die schwarze, seidige Puppe ist eine grässliche Karikatur einer Witwe, doch Shenya die Witwe hat sie vor vielen Jahren mit den eigenen acht Klingen gebastelt, und es tut ihr in den Herzen weh, dass sie aus der Koje verbannt wurde. Behutsam legt sie sie dorthin zurück, wo sie hingehört.

»Meine Liebe, wo ist deine Netzwerkeinheit?«, fragt Shenya die Witwe mit der leisen, gefährlichen Stimme, die mit der Mutterschaft einhergeht. Ihr beinahe kugelförmiger Rundumblick erfasst gleichzeitig alle Ecken des Raumes.

Ihre Tochter starrt den Boden an und antwortet nicht.

Shenya die Witwe kann gerade noch ein lobendes Klicken unterdrücken. Einerseits ist dies ein echter Witwenzorn – eine gewaltige, explosive Wut –, und das freut sie. Es braucht viel Mühe, einem jungen, wachsenden Bewusstsein die traditionellen Werte zu vermitteln, und es ist immer schön zu sehen, dass die Bemühungen Erfolg hatten. Aber andererseits … nun ja, Aufsässigkeit ist und bleibt Aufsässigkeit, oder?

Glücklicherweise löst sich die Situation auf. Ein forschendes Glied ertastet unter der Koje das gesuchte Objekt. Shenya die Witwe zieht es heraus und bekommt beinahe Schuldgefühle, weil es so mühsam ist. Diese schwere Prothese, diesen minderwertigen Ersatz des üblichen Netzwerkimplantats, muss ihre Tochter ihr Leben lang fast ständig um den Rumpf geschnallt tragen. Es ist ein altes Gerät, ein billiger Universalapparat, der nicht viel mit dem eleganten Implantat zu tun hat, das Shenya die Witwe irgendwo in ihrem Kopf trägt. Theoretisch erfüllen sie beide den gleichen Zweck. Beide verbinden den Benutzer mit dem wunderschönen galaxienweiten Netzwerk, das mühelos die Inhalte jeglicher Kommunikation überträgt. Das eine funktioniert jedoch nahtlos, so reibungslos wie der Kontakt zwischen einem Neuron und den Milliarden anderen Neuronen. Das andere hingegen benutzt ein wackliges Hologramm und mit statischem Rauschen einhergehende Audiofeeds und wirft unzählige Fehlermeldungen aus.

[… ehe ich sie aus der Wand der Station herausschneide], sagt die Netzwerkeinheit zu sich selbst. Das wacklige Hologramm flackert darüber in der Luft.

Man könnte meinen, es sei eine bestimmte Physiologie nötig, um die Haltung einer Witwe zu zeigen, doch ihre Tochter beweist ihr gerade das Gegenteil. Sie richtet den Oberkörper auf, schlingt die oberen um die unteren Gliedmaßen und bewegt sich dabei wie eine Witwe, als … als wäre sie genau das und nichts anderes. Diese vertrauten Bewegungen öffnen in den Herzen von Shenya der Witwe die tiefsten Kammern. Das unordentliche Zimmer, die Aufsässigkeit, die Missachtung der Sachen – all das ist vergessen. Ihre vielen Gliedmaßen geben die unzähligen anderen Tätigkeiten auf, versammeln sich um ihre Tochter und streicheln ohne das geringste Zeichen von Abscheu die mit Haut bedeckten Wangen. Sie zupfen den Overall gerade, gleiten durch die Haare und streicheln die zehn winzigen Anhängsel. »Sag es mir, Tochter«, flüstert Shenya die Witwe und seufzt durch die Mandibeln, die ebenso gefährlich sind wie die Klingen. »Sag mir alles.«

Ihre Tochter holt tief Luft und zieht die Schultern hoch, wie es Lebewesen, die Lungen besitzen, häufig tun. »Wir wollen heute auf ein Beobachtungsdeck«, erklärt sie leise. »Es gibt sechs Plätze für Praktikanten.«

Shenya die Witwe wählt ihre Worte bedachtsam. Die mühelose Präzision der Netzwerkkommunikation steht ihr in diesem Augenblick nicht zur Verfügung. »Ich wusste gar nicht, dass du dich für …«

Endlich hebt Sarya den wütenden Blick vom Boden. »Weißt du, welche Voraussetzungen man dafür braucht?«, fragt ihre Tochter und funkelt sie durch das Gewirr der dunklen Haare hindurch an.

Sie sind so wild, diese Augen. Shenya die Witwe fragt sich, wie ein anderes Geschöpf von der Spezies ihrer Tochter diesen dreifarbigen Blick empfinden würde. Weiß umringt goldenes Braun, das einen schwarzen Kreis umschließt … Wut. »Nein, das weiß ich nicht«, antwortet sie behutsam.

»Du kannst es dir sicher denken.«

»Ich … entscheide mich, lieber nicht darüber nachzudenken«, antwortet Shenya die Witwe noch vorsichtiger.

»Man braucht einen Intelligenzrang von zwei Komma null«, erklärt ihre Tochter mit gepresster Stimme. »Und nicht so etwas wie eins Komma acht.« Das geliebte Wesen sinkt in sich zusammen, wie es mit einem Exoskelett niemals möglich wäre. »Nein, wir wollen keinen Schwachkopf an den Kontrollen, was?«, murmelt sie und starrt wieder den Boden an.

»Mein Kind!«, entgegnet Shenya die Witwe erschrocken. »Wer wagt es, die Tochter von Shenya der Witwe so zu nennen?«

»Alle nennen mich so«, erwidert ihre Tochter und kommt dabei abermals der Respektlosigkeit gefährlich nahe. »Weil ich als Schwachkopf registriert bin.«

Shenya die Witwe beschließt, den vorwurfsvollen Tonfall zu ignorieren. Schon wieder dieses Thema. »Tochter«, beginnt sie. »Ich verstehe, dass es dich frustriert, wenn …«

»Aber das spielt sowieso keine Rolle, weil man außerdem vernetzt sein muss«, unterbricht ihre Tochter sie und tippt sich an die Stirn, wo das Implantat wäre, wenn sie eins hätte. »Eine Prothese gilt anscheinend nicht. Es hat etwas mit Latenzzeiten und eindeutiger Kommunikation zu tun, und …« Der Rest geht in einem Grunzen unter, während sie dem Gerät auf dem Boden einen ungestümen Tritt versetzt.

Shenya die Witwe fängt das Gerät auf, ehe es gegen die Wand prallt, was ihre Tochter natürlich vorher wusste. Mit zwei weiteren Gliedmaßen zieht sie den Kopf ihrer Tochter hoch und legt ihr die flachen Seiten der Klingen an die Wangen. Sie spürt, wie ihre Tochter mit sich ringt, doch Shenya die Witwe ist eine Jägerin und eine Mutter. Zwei Eigenschaften, die sie so unaufhaltsam machen wie das Schicksal. »Tochter«, sagt sie leise. »Du kennst unsere Gründe.«

Ihre Tochter erwidert den Blick. »Weißt du was?«, sagt sie. »Manchmal würde ich am liebsten allen die Wahrheit sagen und sehen, was passiert.«

Jetzt klappert Shenya die Witwe leise und eindringlich. Dies ist viel ernster als ein Job und ein Netzwerkimplantat. »Das darfst du niemals tun, meine Liebe«, flüstert sie und legt die ganze Kraft einer Mutterwitwe in ihre Worte.

»Darf ich es wirklich nie sagen?«, fragt ihre Tochter, die immer noch den Blick ihrer Mutter hält. »Darf ich nie die Wahrheit sagen? Darf ich nie sagen: Hört mal, ich bin kein Schwachkopf, ich bin ein …«

»Sag es nicht«, zischelt Shenya die Witwe zitternd. Mühsam zieht sie die Klinge zurück, die neben dem Fuß ihrer Tochter gerade den synthetischen Bodenbelag aufgekratzt hat. Am ganzen Körper spürt sie das angenehme Gefühl, wie die Klingen länger und härter werden. Sie kämpft dagegen an, damit ja keine von ihnen die geliebte Haut berührt …

»Ich bin ein Mensch«, sagt ihre Tochter standhaft.

Zack Jordan: „Last Human – Allein gegen die Galaxis“ ∙ Roman ∙ Aus dem Amerikanischen von Jürgen Langowski ∙ Wilhelm Heyne Verlag, München 2020 ∙ 544 Seiten ∙ Preis des E-Books € 12,99 (im Shop)

 

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.