Stephen Kings „Fairy Tale“ als illustrierte Ausgabe
Die Paperback-Edition mit Bildern von Gabriel Rodríguez und Nico Delort
Die Corona-Pandemie hat Stephen King (im Shop), dieser große Chronist der amerikanischen Gegenwart, in seinem neuesten Roman „Holly“ (im Shop) verarbeitet, geschildert, kommentiert. Während des Lockdowns aufgrund von Covid-19 wiederum hatte Mr. King überlegt, mit welchem Buch er sich beim Schreiben und anderen beim Lesen die meiste Freude bereiten könnte. Das Ergebnis war „Fairy Tale“ (im Shop), auf Deutsch im September 2022 als Hardcover bei Heyne erschienen. Pünktlich zur Weihnachtszeit gibt es rund ein Jahr später nun die Paperback-Ausgabe des Romans – mit dem Original-Cover und, noch wichtiger, mit den gediegenen Illustrationen von Gabriel Rodríguez und Nico Delort.
Für alle, die in der Märchenstunde nicht aufgepasst haben: „Fairy Tale“ beginnt als klassischer King-Roman in unserer durchaus harschen Realität, biegt dann genre-technisch jedoch nicht in den Horror ab, sondern in die märchenhafte Anderswelt-Fantasy. Alles beginnt damit, dass Ich-Erzähler Charlie Reade in einer typischen US-Kleinstadt, wie sie Stephen Kings gesamtes Schaffen durchziehen, als 17-Jähriger Halbwaise dem mürrischen, gebrechlichen alten Mr. Bowditch hilft und sich zudem mit dessen Hund anfreundet. Dann erfährt Charlie das Geheimnis des reichen Mannes – und folgt schließlich der Wendeltreppe im Gartenschuppen bis nach unten, das heißt, bis in eine richtige düstere Märchenwelt, wo der fiese Fluch einer bösen Königin alle Bewohnerinnen und Bewohner knechtet. Unterwegs in diesem fantastischen Reich voller Abenteuer und Gefahren, die man gerade als Teenager beim Lesen geliebt hätte, zitiert sich King munter durch „Jack und die Bohnenranke“, „Rumpelstilzchen“, „Der Zauberer von Oz“, „Das Böse kommt auf leisen Sohlen“ und selbst „Star Wars“. Hier gibt es die lange Vorstellung und Analyse von „Fairy Tale“, denn an dieser Stelle, in diesem Text, soll es primär um die Bilder und die Menschen hinter diesen gehen.
Wie der chilenische Comic-Künstler Gabriel Rodríguez zum Stephen-King-Illustrator wurde, ist nicht allzu schwer nachzuvollziehen: Schließlich schuf Rodríguez mit King-Sohn Joe Hill 2008 die preisgekrönte, höchst innovative Horror-Comic-Serie „Locke & Key“, die inzwischen von Netflix adaptiert wurde – ein Meilenstein des modernen Horrors und des zeitgenössischen Comics, und noch immer eine Lektüre wert, wer die Panel-Vorlage noch nicht kennen sollte. Rodríguez’ Stil wurde dabei schon mal als Amalgam aus Steve Dillon, Richard Corben und Mike Allred klassifiziert, richtig ist in jedem Fall, dass er Emotionen, Ausdruckskraft, Plastizität und Düsternis zu verbinden vermag. Vor „Locke & Key“ hat der 1974 geborene Chilene Comics wie „Land of the Dead“, „Clive Barker’s The Great And Secret Show“, „Beowulf“ (nach dem Drehbuch von Neil Gaiman und Roger Avary) oder zu „CSI“ gezeichnet. Später illustrierte Rodríguez noch Joe Hills nie realisierte TV-Serie „Tales from the Dark Side – Geschichten aus der Schattenwelt“ in Comic-Form, zeichnete der Eisner-Award-Gewinner auch Eric Shanowers „Little Nemo: Rückkehr ins Slumberland“, den Near-Future-Einzelband „Onyx“, eine feministische Neuinterpretation von H. G. Wells’ SF-Klassiker „Die Insel des Dr. Moreau“ sowie seine eigene Science-Fantasy-Serie „Sword of Ages“. Zuletzt gestaltete Rodríguez z. B. Variantcover für die erfrischende „Superman“-Serie von Joshua Williamson und Jamal Campbell.
Nico Delort wurde 1981 in Kanada geboren, lebt und arbeitet aber seit Langem in Frankreich, genauer gesagt, in einem Vorort der Kunst-Metropole Paris. Schaut man xiere zumeist schwarz-weißen Bilder an, lassen einen die Schraffuren voller Details, Tiefe, Kontrast und Leichtkraft sofort an Bernie Wrightson denken, seines Zeichens Comic-Genie, Meister des Makabren und größer „Frankenstein“-Illustrator aller Zeiten (und Illustrator von King-Werken wie „Der Werwolf von Tarker Mills“, „The Stand“ oder „Creep Show“). Delort, in jungen Jahren vom schwarz-weißen Artwork des einflussreichen Manga-Klassikers „Akira“ geflasht und von Videogames wie „Final Fantasy“ fasziniert, gehört dank der Schabpapiertechnik zu den unverkennbaren Kunstschaffenden xierer Generation, obwohl Photoshop ebenfalls einen festen Platz in Delorts Repertoire hat. Aktuell ist das herausragende Umschlagbild des international gefeierten, preisgekrönten Roman-Bestsellers „Babel“ von R. F. Kuang sicher Delorts bekannteste, zirkulierendste Arbeit, dazu kommen eine Handvoll „Magic: The Gathering“-Sammelkarten, Illustrationen zu Videogames wie „Castlevania“ oder „Diablo III“, Poster zu verschiedenen Anlässen und ferner mit Motiven aus „The Wolfman“, „Der Unsichtbare“ „Das Phantom der Oper“, „Die Peanuts“, „Nostferatu“ oder „Der Ozean am Ende der Straße“, und obendrein Cover und Illus des Buches „William Shakespeare’s Jedi the Last“, Band acht der erfolgreichen Shakespeare-Interpretation des Sternenkrieges durch Autor Ian Doescher.
Zusammen bringen Nico Delort und Gabriel Rodríguez, die sich die Kapitel-Vignetten nach dem Schema gerade/ungerade aufgeteilt haben (und darüber hinaus Vorsatz bzw. Nachsatz mit schmuckem Artwork versehen), nicht nur hübsche Bilder in die 900 Märchenbuch-Seiten starke „Fairy Tale“ von Stephen King. Sie geben diesem alles in allem eher unerwarteten Fantasy-Roman des Meisters der Spannungsliteratur, dessen Titel übersetzt ja wirklich schlicht Märchen lauten würde, auch ein wichtiges, althergebrachtes Element von eben vielen alten Märchen-Publikationen: Nämlich prägnante, die Fantasie unterstützende Schwarz-Weiß-Bilder zu den fantastischen Texten für junge wie ältere Lesende, sodass die Geschichte und ihre Moral sich noch besser im Unterbewusstsein verankern.
Insofern ergibt diese illustrierte Ausgabe von Stephen Kings „märchenhaftestem“ Roman seit „Der Talisman“ mit Peter Straub natürlich absolut Sinn. Sowieso mit einem Blick auf den Kalender und die Frage: Was könnte man nur schenken oder sich schenken lassen?
Stephen King: Fairy Tale (Illustrierte Ausgabe) • Roman • Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kleinschmidt • Heyne, München 2023 • 912 Seiten • Erhältlich als Paperback, Hardcover, Hörbuch MP3-CD, Hörbuch Download und eBook • Preis des Paperbacks: € 20,00 • im Shop
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Christian Endres berichtet seit 2014 als Teil des Teams von diezukunft.de über Science-Fiction. Er schreibt sie aber auch selbst – im Mai 2024 erscheint bei Heyne sein SF-Roman „Wolfszone“.
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