10. Mai 2018 2 Likes

In der Jugend liegt die Kraft

„Runaways“: Die Eltern sind immer die Bösen! IMMER!

Lesezeit: 6 min.

Ohne Superhelden geht seit ein paar Jahren nichts mehr: Kein Tag zieht vorbei, ohne dass nicht neue Ankündigungen für Comics, Filme oder TV-Serien die Hirne der Konsumenten fluten. Von einem „Hype“ zu sprechen, würde der Sache nicht gerecht werden, was man vor allem merkt, wenn man Kino-Einspielergebnisse aufmerksam verfolgt: Früher hießen Stars Will Smith oder Tom Cruise und zogen Millionen Menschen in die Lichtspielsäle, heute erledigen Captain America oder Black Panther den Job. Superhelden sind längst Alltag.

Da erstaunt es doch sehr, dass ein qualitativ hochwertiger Titel wie „Runaways“ erst rund 14 Jahren nach Veröffentlichung in den USA hierzulande aufschlägt und das auch nur, weil die obligatorische TV-Serie ansteht. Sei’s, wie’s sei, für die große Verspätung entschädigt Panini jedenfalls mit einem dicken Megaband, der gleich die kompletten 18 Hefte der ersten Serie enthält.

„Runaways“ wurde von Comic-Genie Brian K. Vaughan („Ex-Machina“, „Paper Girls“) und Zeichner Adrian Alphona („Ms. Marvel“) für Marvels kurzlebiges „Tsunami“-Label entwickelt, das Manga-Leser ansprechen sollte, wobei der Manga-Faktor sich hier stark in Grenzen hält, viel eher orientiert sich Vaughan an klassische Superheldenteam-Geschichten, stellt das Ganze aber auf einen ebenso simplen wie originellen Sockel, an den wohl die meisten Leser andocken können: Wohl jeder hat im Leben seine Erzeuger schon mal für das ultimative Böse auf Erden gehalten – egal ob Taschengeldkürzung, Stubenarrest oder peinliche Kommentare in Gegenwart des neuen Schwarms; den Augenblick, in dem Papa und Mama vor dem inneren Auge Teufelshörner wachsen, kennt man nur allzu gut.

In „Runaways“ müssen die sechs Kids Alex, Karolina, Gert, Chase, Molly und Nico herausfinden, dass ihre Eltern tatsächlich Bösewichte sind! Sogar Bösewichte mit Superkräften! Und zwar in Form einer gemeingefährlichen Organisation mit dem Namen „The Pride“ die jeden Zentimeter von Los Angeles kontrolliert, allerdings – wenn auch ganz schön diskussionswürdige – altruistische Zweck verfolgt, denn die Mitglieder von „The Pride“ dienen den „Gibborin“, drei Giganten, die die Welt in grauer Vorzeit regierten, als der Erdball noch ein ruhiger, friedvoller Ort war, auf dem die Bevölkerung in Einigkeit hauste. Um diesen Zustand wieder herzustellen planen die drei für einen Neuanfang die ganze Weltbevölkerung auszulöschen, allerdings fehlt für das Vorhaben noch die benötigte Stärke.

Hier kommen die Eltern der Kids ins Spiel, denn diese haben sich 1985 verpflichtet 25 Jahre lang jährlich ein Menschenopfer (jung, unschuldig und weiblich, klar) zu bringen, damit die Giganten ihre Batterien wieder aufladen können, dafür gab’s Reichtum und Superkräfte und das Versprechen, dass die sechs von den zwölf, die ihren Job am besten erledigt haben, zusammen mit den Gibborin die Welt regieren können. Die andere Hälfte geht mit der Menschheit hopps. Das jährliche Ritual, indem ein Menschlein über die Klinge springen muss, wird als Wohltätigkeitsveranstaltung getarnt. Das geht viele Jahre gut, doch plötzlich überraschen die Kids ihre Eltern…

So typisch die Zusammenfassung des Plots auch klingen mag, was den Comic ungemein vergnüglich macht ist die die Eigenwilligkeit und Bodenständigkeit mit der die Macher die Nummer durchziehen. Natürlich entdecken die Teenies im Laufe der Geschichte, dass sie ebenso Superkräfte haben, natürlich geht es im Kern erneut um das alte Gut-gegen-Böse-Spiel, das mehr oder weniger so endet, wie erwartet. Aber es sind halt die kleinen Eigenarten und die Menschlichkeit, die „Runaways“ so spaßig machen: So nutzt die Truppe trotz Anläufe schlussendlich keine Pseudonyme oder Kostüme und – anders als man angesichts des Titels vermuten würde – auch keinen Gruppennamen, denn die „Runaways“ werden – abgesehen von einer Ausnahme – im Comic nie als „Runaways“ benannt. Weiterhin entpuppt sich ausgerechnet das Nesthäkchen, die kleine Molly als die stärkste im Bunde, außerdem gibt es nicht viele Superhelden-Comics, in denen eine Heldin (gemeint ist Gertrude) als Superkraft eine telepatische Verbindung zu einem Dinosaurier (!!!) hat – eine im Grunde ziemlich bekloppte Idee, die aber erstaunlicherweise funktioniert, da einfach so ungezwungen präsentiert.

Vaughan begeht dabei nie den Fehler so vieler Autoren aus seinen jugendlichen Protagonisten junge Erwachsene machen zu wollen, die Kids in „Runaways“ sind schlichtweg einfach nur… Kids – in all ihren verschiedenen Facetten von total kindisch über altklug bis hin zu großmäulig ist alles vorhanden, weswegen das Sextett unheimlich lebendig und charmant rüberkommt und die Interaktionen untereinander fast interessanter macht als den eigentlichen Plot. Zumal Vaughan ein feines Händchen für knackige Dialoge hat und seine drollige Superheldengeschichte mit allerlei Anspielungen würzt, die man in einem Superheldencomic nicht unbedingt erwarten würde und die hier auch nicht verraten werden sollen, denn eigene Entdeckungen sind bekanntlich die Schönsten! Leider können die etwas statischen und karg wirkenden Zeichnungen nicht ganz zum Inhalt aufschließen, absolut mitreißend ist das Ganze trotzdem. Ein wirklich feiner, sehr liebenswerter Comic, der das Rad sicherlich nicht neu erfindet, aber das Herz am rechten Fleck hat, schön auch, dass Panini die Fortsetzungen ebenfalls auswerten will (einen Veröffentlichungstermin gibt es allerdings noch nicht).

„Runaways“ sollte bereits 2008 für die große Leinwand adaptiert werden, draus geworden ist nichts, stattdessen gibt es nun eine Serie von den Machern der Teenie-Soap „O.C, California“, Josh Schwartz und Stephanie Savage, die nicht, wie bisher von Marvel gewohnt, für Netflix, sondern für Hulu produziert wurde, was laut der etwas schwammigen Begründung von Marvel mit dem etwas leichteren Tonfall der Serie zu tun hat, die in erster Linie ein deutlich jüngeres Publikum ansprechen soll. Ob das eine mit dem anderen tatsächlich etwas zu tun hat, ist Spekulation, aber auffällig ist, dass sich „Runaways“ vor allem in einer Hinsicht von den Marvel-/Netflix-Kollaborationen abgrenzt: Die TV-Serie wirkt in ästhetischer Hinsicht weniger ausgefeilt, tatsächlich mehr wie eine Fernsehserie, die dank der etwas zu hippen und zuweilen arg aufdringlichen Musikuntermalung kaum verbergen kann, wer hier das Zepter in der Hand hält.

Was die beiden Pole Netflix und Hulu aber wieder verbindet ist der zeitgenössische, mittlerweile fast schon manische Zwang auch die leichtfüßigsten Vorlagen mit einer Prise Finsternis zu pudern, was sich schon in der ersten Folge bemerkbar macht: Während im Comic die Kids zum obligatorischen Treffen einfach mitkommen und aus von Langeweile gesteuertem Zufall entdecken, was ihre Erzeuger so treiben, bekommt TV-Nico noch eine verstorbene Schwester hinzugedichtet, die Grund sowohl für ihr exzentrisches Verhalten, als auch für Spannungen innerhalb der Gruppe sind, dessen Aufeinandertreffen hier keine lockeres Beisammensein, sondern eine Wiedervereinigung ist.

Das wäre aber bereits die größte Änderung, trotz weiterer Umstellungen (zum Beispiel wurde das Personal um ein Elternpaar gekappt und es gibt eine „Church Of Gibborin“) kann man erfreut attestieren, dass die Show dem Comic erfreulich treu ist. Die Charaktere wirken größtenteils wie von den Seiten gesprungen, am Plot an sich wurde nicht sonderlich herumgebastelt, sogar die irreren Einfälle der Vorlage wie der Dinosaurier haben überzeugend den Sprung auf den TV-Schirm geschafft und trotz einer nicht wirklich nötigen Extra-Portion Drama versinkt man nie in allzu große Grummeligkeit. Als weiterer Pluspunkt könnte sich erweisen, dass das netflixsche 13-Episoden-Format, was nur allzu oft für größere Durchhänger sorgt, hier ausbleibt, die Serie umfasst lediglich 10 Episoden. Wenn das Niveau der ersten beiden vorab gezeigten Folgen gehalten wird, kann man sich mit Fug und Recht auf eine nicht ganz perfekte, aber durchaus sympathische Serie freuen, die sich zu ihren Comic-Wurzeln bekennt.

„Runaways – Ausreißer“ ist im April 2018 bei Panini Comics erschienen.

„Marvel’s Runaways“ läuft auf SYFY.

Marvel’s Runaways (USA 2017) • Regie: diverse • Darsteller: Rhenzy Feliz, Lyrica Okano, Virginia Gardner, Ariela Barer, Gregg Sulkin, Allegra Acosta, Kevin Weisman, Angel Parker

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