14. November 2019

Galaktische Superhelden-Seifenoper

Neuer Anlauf: Robert Kirkmans Comic-Highlight „Invincible“ auf Deutsch

Lesezeit: 4 min.

Robert „The Walking Dead“ Kirkmans Superheld Mark Grayson alias Invincible hat den Nachnamen von Batmans originalem Robin, ähnlich viel außerirdische Power wie Superman und mehr Sorgen als Spider-Man Peter Parker. Auf Deutsch war dem Recken aus Kirkmans Feder bisher allerdings kein Glück beschieden. Nun probiert es Cross Cult mit einer neuen „Invincible“-Ausgabe.

Im Oktober 2003 startete US-Autor Robert Kirkman (im Shop) seine unabhängige Comic-Serie „The Walking Dead“, die ihn zum Re-Animator des Zombie-Genres und zum Superstar der Szene machte. Doch bereits im Januar jenes Jahres hatte Kirkman zusammen mit Zeichner Cory Walker das erste Heft der eigenständigen Serie „Invincible“ veröffentlicht – wie sich in den kommenden 15 Jahren herausstellen sollte, immerhin eine der besten neuzeitlichen Superheldencomic-Sagas. In deren Mittelpunkt steht der junge Titelheld Invincible (‚Unzerstörbar’) Mark Grayson, der dank des Alien-Erbes seines Vaters eines Tages unglaubliche Superkräfte entwickelt. Und wir alle wissen ja, dass mit großer Kraft große Verantwortung kommt … und noch größere Probleme. Besonders, wenn man das Blut galaktischer Eroberer hat, deren Stärke und Skrupellosigkeit nicht nur Invincible, der außerirdische Held Allen the Alien oder die irdischen Verteidiger von den Guardians of the Globe zu spüren bekommen. Hierzulande konnte „Invincible“ ungeachtet seiner Mischung aus packender Superhelden-Action und epischer Science-Fiction nie richtig durchstarten, geschweige denn einschlagen. Seit Oktober 2019 versucht es Kirkmans deutscher Stammverlag Cross Cult jetzt noch einmal mit einem übersetzten Pendant zur amerikanischen „Ultimate Collection“: dicken Sammelbänden, die immer erfreulich viel „Invincible“ mit massig Bonusmaterial enthalten und reichlich Lesespaß garantieren.

Im englischsprachigen Original brachte es die „Invincible“-Hauptserie bis zu ihrem Abschluss 2018 auf 144 Hefte, die u. a. in zwölf solch dicken Sammelbänden zusammengefasst wurden (die Spin-offs um Atom Eve und die Guardians oder das Crossover zwischen Spidey und Invincible, das der damals parallel noch für Marvel schreibende Kirkman mit Walker in der Reihe „Marvel Team-Up“ realisierte, sind nicht eingebunden). Die Serie ist im Image-Universum angesiedelt, ohne dass je die Kenntnis von „Savage Dragon“ oder anderen Titeln des revolutionären US-Verlags nötig wäre. Nach den ersten vielversprechenden Ausgaben (Checkliste: Kräfte ausloten, Familiengeheimmisse erfahren, Kostüm kriegen, an das Doppelleben gewöhnen, Superkollegen treffen) übernahm Newcomer Ryan Ottley als Stammzeichner Invincibles Abenteuer, der das schwungvolle, fesselnde Superhelden-Science-Fiction-Drama in teilweise spektakulär detailreiche und intensive, gelegentlich unglaublich brutale und blutige Bilder kleidete (ja: „Invincible“ steigert sich zeichnerisch noch innerhalb des eröffnenden Sammelbandes).

Heute illustriert Ottley, der von Kirkman auf einer Online-Plattform für Künstler entdeckt wurde und als ersten großen Gig auf Anhieb anderthalb Dekaden lang „Invincible“ visualisierte, Marvels „Spider-Man“, was eine geradezu karmische Entwicklung darstellt. Denn „Invincible“ war all die Jahre eine frische, mitreißende, actiongeladene und emotionale Superhelden-Seifenoper, die im Kern an die großen und prägenden Spidey-Geschichten der 60er und 70er erinnert, in denen der problembeladene Netzschwinger Peter Parker spürbar älter wurde, seine aufregende Welt und sein turbulentes Leben sich obendrein ständig veränderten (und klar, „Invincible“ widmet sich zentral Mark Grayson, aber auch vielen Nebenfiguren eines klassischen Supporting Cast, wie „Spider-Man“ in den besten Phasen). Genau das verkörpert „Invincible“, allerdings in einem zeitgemäßen Kontext, mit massivem Drang in die unendlichen Weiten der SF und immer weiter gehen wollend als Superhelden-Comics davor. Während Kirkman also einerseits auf Marvels bewährte Helden-mit-Problemen-Basics setzt und Mark ein kompliziertes Doppelleben gibt, baut der „Walking Dead“-Erfinder andererseits früh Parallelwelten, Alien-Invasionen und eine gut über Superhelden informierte US-Regierungsstelle in die Serie ein. Dabei beweist der 1978 geborene Kirkman, der in den 80ern selbst noch immer einen mustergültigen Spider-Man zu lesen bekam, ein feines Gespür für die erfolgreiche Vergangenheit des Superheldensujets, ohne in zu viel Nostalgie oder Continuity zu versumpfen. Die Anmutung des Artworks von Walker und mehr noch Ottley, die bunte Farbpalette, die flächige Kolorierung und selbst das Lettering heben sich ebenfalls vom Superhero-Standard ab.

Zumal sich Kirkman, Ottley und Co. niemals scheuen, ihre Protagonisten und Leser zu schocken, sie so richtig durch die Mangel zu drehen. Wenn man einen der über 300 Seiten starken Sammelbände von „Invincible“ liest, kann man sich auf mindestens einen Holy Shit!-Moment einstellen, und im Idealfall verschlingt man die Pageturner an freien Tagen oder an einem Wochenende, halbfertig aus der Hand legen will man sie nämlich ungern. Nur wenige Superheldenserien schaffen es dieser Tage noch, einen so an den Haken zu kriegen und so süchtig zu machen. Das hängt rein konzeptionell nicht zuletzt damit zusammen, dass Kirkman es nicht darauf anlegen musste, den Status des „Invincible“-Ensembles für einen Verlag und nachfolgende Kreative zu konservieren. Dadurch erweitert sich die Dimension des Dramas und seiner Möglichkeiten für heftige Einschnitte und Veränderungen, und als Leser weiß man irgendwann, dass jederzeit alles passieren kann – ein Gefühl, das „The Walking Dead“-Leser bestens vertraut sein dürfte. In späteren „Invincible“-Storys, die diesmal hoffentlich den deutschen Markt erreichen, wandelt sich die perfekt umgesetzte, moderne Superhelden-Soap schließlich zu einem exzessiven galaktischen Blockbuster-Epos, das auf seine Weise genauso überzeugt wie die Spandex-Nummer davor.

Wer „Invincible“ bisher verschmäht hat, dem gehen nach dem überraschenden Ende der „The Walking Dead“-Comics langsam die Ausreden aus, sich keine neue Lieblingsserie zu suchen. Erst recht, da 2020 die auf ein erwachsenes Publikum zugeschnittene „Invincible“-Animationsserie auf Amazon anlaufen soll. Es wäre wirklich schade, diesen zwar traditionsbewussten, nichtsdestotrotz fetzigen und mutigen US-Comic ein weiteres Mal auf Deutsch scheitern zu sehen, obwohl der Name Robert Kirkman wie ein Gütesiegel darauf steht und obwohl Superhelden und Science-Fiction aktuell Hochkonjunktur haben.

Also: Auf, auf und davon, Invincible!

Abbildungen: Cross Cult

Robert Kirkman, Cory Walker, Ryan Ottley: Invincible Bd. 1 • Cross Cult, Ludwigsburg 2019 • 352 Seiten • Softcover: 30 Euro

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