Tank Girl: Panzer-Punkerin der Postapokalypse
Bei Kult Comics erscheinen alte und neue Comics mit der feministischen Ikone
Seit den späten 1980ern heizt die britische Comic-Ikone Tank Girl durch die Postapokalypse und die Popkultur. Beim Verlag Kult Comics erscheinen nun deutschsprachige Sammelbände mit den klassischen ersten „Tank Girl“-Comics von Jamie Hewlett und Alan Martin sowie neuere Bildergeschichten über die unangepasste Antiheldin aus dem postapokalyptischen australischen Outback. Dort ging es bergab, nachdem Crocodile Dundee weggezogen ist, wie gleich die allererste „Tank Girl“-Kurzgeschichte erklärte. Zum Glück brettert Tank Girl in einem Panzer, dem sie ihren Namen verdankt, durch die Wüste in der Nähe des Weltuntergangs, auf dem Kopf nur wenige bunte Haare, das Herz voller Rebellion und Anarchie. Die selbstbewusste, selbstbestimmte Punkerin kennt keine Angst und keinen Respekt. Freiheit und Fun gehen ihr über alles, im Bett und sonst wo. Sie jagt und liebt Mutanten-Kängurus, bekommt es mit vielen Mistkerlen, Mutanten und Monstern zu tun und wird von Känguru-Lover Booga und Freundinnen wie Sub Girl und Jet Girl unterstützt. Dabei sind die Ideale, die sie verkörpert, heute so aktuell wie vor über einem Vierteljahrhundert.
Aus dem britischen Untergrund
1988 starteten die Engländer Jamie Hewlett und Alan Martin, damals noch keine 30, die Legende von Tank Girl aus der britischen Underground-Szene heraus – mit reichlich Fanzine-Feuer und Punk-Allüren. Steve Dillon („Preacher“) und Brett Ewins („Judge Dredd“) hatten gerade erst das wichtige Kultur- und Comic-Magazin „Deadline“ auf den Weg gebracht, das zur Bühne von Tank Girls Debüt und Aufstieg wurde. Die frühen Comic-Strips kamen und kommen aufgrund ihrer Wurzeln in Punk und Underground herrlich schräg, aggressiv, dreist und frech daher, komplett ungebremst und in your face. Früh durchbrach Tank Girl die vierte Wand zwischen sich und ihrer Leserschaft.
Aus feministischer Sicht befand sich Tank Girl sowieso immer schon auf der Überholspur und im Konsens mit den Riot Grrls, die in den 1990ern gegen die männliche Dominanz in der Punk-Szene aufbegehrten. Der „Spiegel“ schrieb bereits 1994, dass Tank Girl eine „Art Alice Schwarzenegger“ sei, eine „Mischung aus gewalttätiger Postemanze und femininem Terminator“. So wurde Tank Girl in England schnell eine Kultfigur, die den Comics entwuchs. Ihr Look, ihre Einstellung und ihr Symbolcharakter wurden von Punks, Bands, Modemachern, queeren Bewegungen und Feministinnen aufgegriffen und verbreitet. Selbst bei politischen Protesten gegen die Regierung Thatcher, die Homosexuelle per Gesetz diskriminierte, kam Tank Girl zum Einsatz.
Co-Schöpfer, Ideengeber und Zeichner Jamie Hewlett kennt man inzwischen hauptsächlich als Mitbegründer des Musikprojekts „Gorillaz“ – den Tank Girl-Look haben seine Gorillaz-Figuren in Artwork, animierten Videos und Merchandise noch heute Nach Hewlett trugen Comic-Macher wie Jim Mahfood, Philip Bond, Craig Knowles, Rufus Dayglo, Peter Milligan, Andy Pritchett und Brett Parson ihren Teil zum „Tank Girl“-Mythos bei, also meistens britische, aber auch ein paar amerikanische Kreative. Selbst ein deutscher Künstler hinterließ seinen Fußabdruck in der Welt von Tank Girl: Christian Krank, der vor einigen Jahren diverse „Tank Girl“-Comics kolorierte und mit „Tales of Dead Earth“ seine eigene postapokalyptische Comic-Serie inszenierte, die u. a. im „Heavy Metal“-Magazin abgedruckt wurde.
Krank erklärt den ungebrochenen Erfolg der britischen Multimedia-Ikone so: „Für eine Figur mit Ecken und Kanten wird immer mehr Sympathie empfunden als für glattgebügelte Pfadfinder. Tank Girl ist der Inbegriff davon, sie besteht sozusagen nur aus Kanten, Rebellion, Anarchie und derbem, absurdem und unter die Gürtellinie gehendem Humor, gepaart mit ein bisschen Sexyness. Das alles gestopft in einen Panzer ist ultra crazy, und du weißt einfach nicht, was passieren wird. Und das macht es auf seine Art einzigartig.“ Krank kann sich noch sehr gut an seine erste Begegnung mit der postapokalyptischen Rebellin im Panzer erinnern: „Als ich das erste Mal Tank Girl gelesen habe, wurde ich umgehauen von jedem Panel, in dem zig Überraschungen versteckt waren. Das hast du in kaum einem Comic mehr, dass dir diese WTF-Momente ständig in die Fresse geschlagen werden. Nichts ging nach dem Standardprinzip vonstatten. Punk-Attitude muss einfach sein.“
Auf Deutsch und im Kino
Es schadete Tank Girls Popularität überdies nicht, dass der große englische Verlag Penguin die Rechte erwarb, die Storys aus „Deadline“ in Sammelbänden gebündelt nachzudrucken. In den USA erschienen die ursprünglichen Storys 1991 in Heftform bei Dark Horse, zwischen Millers „Sin City“ und Mignolas „Hellboy“, weitere internationale Ausgaben in Brasilien, Argentinien, Spanien, Japan und Deutschland folgten. Hierzulande liefen die provokanten „Tank Girl“-Comics nach einigen wenigen Storys in den Alpha-Publikationen ab Mitte der 1990er eine Zeitlang bei Ehapas Imprint Feest Comics. Der damalige Feest-Redakteur Georg F. W. Tempel, heute Herausgeber und Verleger des „Zack“-Magazins, erinnert sich: „Das war ein langer Kampf, bis ich die Herren davon überzeugen konnte, Tank Girl zu veröffentlichen. War aber ein großer Spaß. Zumindest für mich. Unser Hersteller hat sich damals geweigert, die Heftserie zu betreuen. Er ist auch gern mal durch die Gänge gelaufen, um allen zu zeigen, welche Sauereien wir da veröffentlichen. Die Angst, dass man Disney vergrätzen und das Familien-Image schädigen könnte, war groß.“
Doch man ging das Risiko ein. Vermutlich nicht zuletzt, weil 1995 ein „Tank Girl“-Film in die Kinos kam – der für seine Zeit und Verhältnisse spektakulär floppte. Regisseurin Rachel Talalay spannte Lori Petty, Naomi Watts, Ice-T, Iggy Pop und Malcolm McDowell für ihre Verfilmung über Tank Girls Kampf gegen einen Mega-Konzern und ums Wasser ein, die über 25 Millionen Dollar kostete, an den Kinokassen allerdings nicht mal ein Fünftel ihres Budgets einspielte und eher mäßige Kritiken erhielt. Fans und Schöpfer waren ebenfalls enttäuscht und unzufrieden mit dem, was man aus ihrer Lieblingsheldin gemacht hatte.
Wenigstens schrieb Punk und Autor Martin Millar, der als Martin Scott für seine „Thraxas“-Romane später den World Fantasy Award erhalten sollte, die offizielle Romanadaption zum Film. Dafür hatte er nur fünf Wochen Zeit, wie er sich einmal erinnerte, und bekam 10.000 Pfund. Weil er das Drehbuch schrecklich fand, dachte er sich eine lustige Rahmenhandlung über den neuen Ich-Erzähler Trader, Tank Girl und andere beim Kartenspiel in einer Wasteland-Kneipe aus. Um ihre Gegner abzulenken, erzählt Tank Girl großspurig die Handlung des Films episodisch nach. Millar scheute nicht davor zurück, zu kommentieren, wie unlogisch und doof das in diesem Film alles gewesen ist. Ein großer Spaß, wenn man Tank Girl und Martin Millar mag, dessen rotziger Punk-Humor super gepasst hat. Bastei brachte die etwas wackelige Übersetzung des Taschenbuchs-zum-Film auf Deutsch.
Relevant trotz alter Referenzen
Jetzt ist Tank Girl also auf dem deutschsprachigen Comic-Markt zurück. Kult Comics veröffentlicht neben den regulären Editionen von „Tank Girl Colour Classics Bd. 1“ und „Tank Girl: Action Alley“ sogar limitierte Vorzugsausgaben mit Variantcovern und Exlibris. Der krude Charme und die enorme Energie der ersten Kurzgeschichten aus den späten 1980ern in den „Colour Classics“ sind nach all den Jahren ungebrochen, zudem hat Tracy Bailey die unverkennbaren, unerreichbaren Zeichnungen von Jamie Hewlett neu koloriert, was ihnen im heutigen Umfeld durchaus hilft. Das Bonusmaterial, das aus exklusiven Artikeln, Fotos aus der Entstehungszeit und massig zusätzlichem Artwork besteht, rundet die Zeitreise in die Postapokalypse von 1988 und Tank Girl wunderbar ab.
Die Übersetzung der rabiaten, referenzreichen Storys besorgt Claudia Kern, Lektorat und Redaktion Rebecca Haar, zwei ausgewiesene Fachfrauen für Geek- und Genre-Stoffe. Über die Relevanz der frühen Comics und deren feministischer Antiheldin sagt Kern: „Tank Girl ist als Figur heute noch so relevant wie vor dreißig Jahren. Sie verkörpert eine Vorstellung von Freiheit, die selbst in unseren gegenwärtigen Geschichten oft Männern vorbehalten ist. Tank Girl fährt nicht etwa in ihrem Panzer durch das postapokalyptische Australien, weil sie ihre vermissten Kinder/Eltern/Katzen oder sonst etwas sucht, sondern weil sie Bock darauf hat. Sie ist impulsiv, liebt Bier und prollige Kängurus, ballert herum und bringt versehentlich auch mal ein paar Dutzend Leute um. Kurzum tut sie, was sie will, scheiß auf die Konsequenzen.“ Beim Übersetzen gab es wegen der zeitlichen Distanz zum originalen Erscheinen aber auch knifflige Stellen, wie Kern verrät: „So relevant Tank Girl bis heute geblieben ist, viele Anspielungen haben die Zeit nicht so gut überstanden. Deshalb stand ich immer wieder vor der Hürde, wie ich Humor ins Deutsche übertrage, den selbst viele Briten heute nicht mehr verstehen würden. Mal habe ich Namen ausgetauscht, mal Witze komplett umgeschrieben. Ich hoffe aber, dass ich dem Geist des Originals dabei treu geblieben bin.“
Das ist sie. Wenn man die Qual der Wahl hat, sollte man definitiv die alten Sachen lesen, die roher, rasanter, spaßiger und pophistorisch wichtiger sind. Sie gehören in die SF- und Comic-Sammlung, spätestens heute. Im neuen Band „Tank Girl: Action Alley“, im Original 2019 publiziert, machen Tank Girl und ihre Crew im Panzer-Wohnmobil einen Road-Trip durchs mutanten-verseuchte Land. Mitschöpfer Alan Martin und Zeichner Brett Parson verwickeln die Antiheldin und ihre Freunde in ein längeres, moderner getaktetes und strukturiertes Abenteuer. Das zeigt die Entwicklung des grafischen Erzählens und des Tank Girl-Universums, rundet aber auch Tank Girls Ecken mainstreammäßig ab. Die Karacho-Kurzgeschichte und der Underground-Schmiss standen der Ikone besser.
Die Mutter von Furiosa
Heute lässt einen Tank Girl natürlich sofort an Imperator Furiosa aus „Mad Max: Fury Road“ denken, die 2015 im Science-Fiction-Filmkracher von Charlize Theron („The Old Guard“) gespielt wurde. Für das geplante Prequel schlüpft Anya Taylor-Joy („Queen’s Gambit“) in die Rolle der jungen Furiosa. Dass Furiosa, die aktuelle Powerfrau der Postapokalypse, die wie geistige Tochter von Tank Girl wirkt, ist dabei kein Zufall. Brendan McCarthy, der als Co-Autor und Designer am letzten herausragenden „Mad Max“-Film von George Miller mitwirkte, begann seine kreative Reise in der britischen Underground-Comic-Szene. Übrigens hat sich die Produktionsfirma von Tank Girls australischer Landsfrau Margot Robbie vor zwei Jahren die Filmrechte an „Tank Girl“ gesichert. Diese Neuverfilmung mit Harley Quinn würde man gerne sehen, heilige Dingo-Kacke!
Für den Augenblick reicht es aber, dass das Panzer-Mädel in den hiesigen Comic-Auslagen zurück ist und die Konkurrenz noch immer mühelos plattmacht.
Abb.: © 2018, 2019 Jamie Hewlett and Alan Martin. All Rights Reserved; © 2021 der deutschsprachigen Ausgabe Comic Combo, Leipzig
Alan Martin, Jamie Hewlett: Tank Girl Colour Classics Bd. 1 • Kult Comics, Leipzig 2021 • 152 Seiten • Paperback: 19 Euro
Alan Martin, Brett Parson: Tank Girl Action Alley • Kult Comics, Leipzig 2021 • 116 Seiten • Paperback: 17 Euro
Kommentare