9. September 2016 2 Likes

„Es geht um die menschliche Natur.“

Ein Vater, ein Sohn und viele Roboter: Im Gespräch mit „Giants“-Autor Sylvain Neuvel

Lesezeit: 7 min.

Sylvain Neuvel ist ein kanadischer Sprachwissenschaftler, Übersetzer und Software-Ingenieur, der in Montreal und Chicago studierte und in seiner Freizeit an einem R2-D2-Nachbau arbeitet und Ewok-Lieder übersetzt. Sein packendes Romandebüt „Giants – Sie sind erwacht“ ist diesen Sommer als Paperback und E-Book bei Heyne erschienen (im Shop) und zeigt, wie der Fund riesiger Roboter-Teile einzelne Leben und schließlich ganze Länder und globale Machtgefüge verändert. Dabei setzt Neuvel vor allem auf Interviews und andere Protokollformen, um seine vereinnahmende Geschichte zu erzählen, die außerirdische Artefakte mit politischen Intrigen, Geheimdienst-Verschwörungen und persönlichem Drama kombiniert und binnen weniger Kapitel regelrecht süchtig macht. Im Interview für diezukunft.de spricht der Kanadier über seinen eigenen Roboter zu Hause, die bereits in die Wege geleitete Verfilmung von „Giants“, die Ethik selbstfahrender Autos, den nächsten Roman der angedachten Trilogie, die Parallelen zu „Pacific Rim“ und darüber, was in seinen Augen bald schon die Welt verändern dürfte.


Foto © James Andrew Rosen

Hallo Sylvain. Was macht dein funktionstüchtiges R2-D2-Modell?

Ha! Ich habe die wichtigsten Teile und einiges von der Elektronik fertig, doch mein Sohn möchte unbedingt mitmachen, deshalb warte ich, bis er etwas größer ist und richtig helfen kann. Es ist ein großartiges Vater-Sohn-Projekt. Das möchte ich ihm nicht vorenthalten. Er ist ein größerer Star-Wars-Fan als ich, falls das überhaupt geht.  

Erzählst du uns ein bisschen was über die Science-Fiction-Sozialisierung eines Kanadiers deiner Generation?

Ich bin natürlich mit Star Wars (im Shop) aufgewachsen. Ich bin mir nicht sicher, wann und wo ich „Eine neue Hoffnung“ sah (ich war Vier, als der Film herauskam), aber ich habe lebhafte Erinnerungen daran, „Das Imperium schlägt zurück“ im Kino gesehen zu haben. Mein Dad mochte eher erwachsene Sci-Fi. Mit ihm schaute ich mir „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ an. Dann waren da noch „Dune“ (im Shop), das mich umgehauen hat, „Tron“ und viele mehr. Star Trek (im Shop) war für mich erst später dran. Neben Star Wars hatten vermutlich japanische Anime den größten Einfluss auf mich. Einige davon waren in Quebec eine große Sache, speziell „Goldorak“. Außerdem gab es „Die Abenteuer des fantastischen Weltraumpiraten Captain Harlock“ und „Captain Future“. Darüber hinaus wuchs ich vor allem mit dem Space-Shuttle-Programm auf. Ich sah, wie Menschen in All flogen. Ich sah Menschen, die bei dem Versuch starben, dorthin zu gelangen. Heute blicken mein Sohn und ich hoch zur Internationalen Space Station, die über unserem Haus vorbeizieht.

Wann war dir klar, dass du selbst eine Geschichte über außerirdische Roboter schreiben wolltest?

Ich sah mir „Goldorak“ mit meinem Sohn an, als mir die Idee kam. Ich hatte ihn gefragt, ob er wolle, dass ich ihm einen Spielzeugroboter baue, und anstatt Ja zu sagen, stellte er mir eine Menge Fragen über die Herkunft von Robotern und was sie alles so tun können. Einen japanischen Anime über einen gigantischen Roboter aus dem Weltall anzuschauen brachte mich dazu, mich selbst zu fragen, wie es wäre, wenn wir in echt gewaltige Alien-Artefakte finden würden. Mein erster Gedanke war, dass wir rein gar nichts darüber erfahren würden. Lediglich eine Handvoll Leute wüssten über ihre Existenz Bescheid, doch das Projekt würde eine Spur aus belastenden Dokumenten hinterlassen. Ich begann, diese Papierspur aus Beweisen jede Nacht zu schreiben. Nach neun Monaten war der Roman fertig.

Wusstest du von Anfang an, dass du das mit den Dokumenten wörtlich nehmen und den Roman in Form von Interviews und dergleichen realisieren würdest?

Ich wusste von Beginn an, dass das Buch episodenhaft sein sollte, doch erst als ich vom Interviewer als Figur dachte, nahm die Form Gestalt an. Er war nicht nur ein Hauptcharakter der Geschichte, sondern zudem der Leim, der das Team und das Buch zusammenhielt, und erlaubte es mir, zwischen den Figuren zu switchen und dabei alles zusammenhängend zu gestalten.

Hast du eine besondere Methode, Namen für deine Figuren zu finden?

Karas Nachname stammt zum Beispiel von der Astronautin Judith Resnik, die in der Challenger-Katastrophe gestorben ist.

Als Leser spürt man deinen Hintergrund in Linguistik und Morphologie. Musstest du dich bremsen, nicht zu viel Spezialwissen in „Giants“ einfließen zu lassen?

Ich habe mich ganz bewusst angestrengt, nicht zu viel Linguistik in das erste Buch zu packen. Schreibt ein Linguist einen Roman über Aliens, erwartet jeder unterwegs so etwas wie Klingonisch. Ich liebe allerdings Wissenschaft in allen Formen und Größen. Ich habe viel über Physik, Geologie und alle möglichen Dinge gelernt, während ich dieses Buch geschrieben habe. Für den Roman recherchierte ich mehr als für meine Doktorarbeit. Vieles davon hat es nicht ins Buch geschafft, jedoch habe ich keine Hemmungen, Wissen einzubauen, das nicht zwingend notwendig ist. Ich liebe es, Dinge zu lernen, wenn ich lese, und setze voraus, dass ich da nicht alleine bin.

„Giants“ ist ganz schön politisch. Denkst du, in der Welt globaler Politik und Geheimdienste geht wirklich wesentlich mehr vor, als wir normale Bürger wissen?

Die Sache ist, dass ich gar kein so großer Verschwörungstheoretiker bin. Als ich ein Kind war, raubten in meiner kleinen Heimatstadt zwei Kerle einen Geldautomaten aus. Ein paar Tage später wurden sie geschnappt, weil einer von ihnen damit vor seinen Freunden angegeben hat. Ich finde die Vorstellung, etwas geheim zu halten, wenn Tausende von Leuten involviert sind, immer etwas unglaubwürdig. Aber ich stelle mir gerne diese riesigen Verschwörungen vor.

Würdest du sagen, dass dein Roman im Kern vor allem von moralischen und ethischen Grenzen handelt?

Gewiss. Für mich geht es im Buch wirklich um die menschliche Natur. Wie sie das Ruder übernimmt, völlig egal, was auf dem Spiel steht. Wägst du deine eigenen Bedürfnisse gegenüber denen von anderen ab? Von deinen Freunden, deiner Familie oder völlig Fremden? Wie viele Opfer sind Fortschritt und Wissen wert? Mit Fragen dieser Art setzen wir uns seit Ewigkeiten auseinander, allerdings sind sie jetzt wesentlich augenscheinlicher, da wir Maschinen wie selbstfahrenden Autors beibringen müssen, ethische Entscheidungen zu treffen. Ist es für das Auto okay, eine andere Person zu töten, um den Fahrer zu retten? Wie sieht es mit fünf Personen aus? Würdest du ein Auto kaufen, das darauf programmiert ist, dich zu töten, um andere Menschen zu retten?


Space Pirates

Im Roman ist der Roboter das nächste Manhattan-Projekt. Was, denkst du, wird wirklich das nächste Manhattan-Projekt unserer Ära sein?

Super-Intelligenzen, Künstliche Intelligenzen. Ich sehe kein apokalyptisches Skynet-übernimmt-die-Welt-Szenario, doch wir werden definitiv in der Lage sein, Maschinen zu erschaffen, die uns sehr bald im Denken überholen. Wir sind nicht klug genug, alles zu verstehen, aber in Kürze werden wir Dinge bauen, die diesem allesumfassenden Verständnis sehr nahe kommen. Eine Intelligenz zu erschaffen, die sich dahingehend entwickelt, eine Millionen Mal schlauer zu sein als man selbst, bringt eine ganze Tonne an Problemen mit sich. Zugleich gibt es keine Grenzen, wie weit uns das in Wissenschaft, Medizin und Raumfahrt bringen kann.

Roboter sind also doch das nächste große Ding. Hast du eigentlich einen Lieblings-Roboterfilm?

Als ich ein Kind war, produzierten sie zwei der eben schon erwähnten Goldrak/Grendizer-Filme. Sie waren keine echten Filme, und doch waren sie ein wichtiger Bestandteil meiner Kindheit. Der erste war ein Gemisch der ersten Anime-Episoden, der zweite ein Mix verschiedener Kurzfilme, die gar nichts miteinander zu tun hatten, während der Erzähler versuchte, Sinn in die Übergänge zu bringen. Mein liebster guter Roboterfilm ist vermutlich … ein Unentschieden zwischen Terminator 2 und Pacific Rim, mit Blade Runner knapp dahinter.

Und dein Lieblingsroboter?

R2 selbstverständlich, und BB-8 ist ebenfalls cool. Ich mag Bishop in Aliens und habe auch eine Vorliebe für Wall-E.

Und was ist mit „Der Gigant aus dem All“ und dem titelgebenden Roboter?

Ich habe ihn als Erwachsener gesehen und mag ihn sehr. Er ist rührend, und der Zeichenstil ist absolut wundervoll. Wer möchte keinen riesigen Roboter-Kumpel haben? Es gibt eine echt teure Statue des Roboters, die ich schon länger im Auge habe. Ich stehe auf Spielzeug, falls das noch nicht klar sein sollte.

Was machst du, wenn dich jemand auf die eine oder andere Ähnlichkeit zwischen „Giants“ und „Pacific Rim“ anspricht?

Ich hatte ungefähr ein Drittel von „Giants“ geschrieben, als die ersten Artikel über „Pacific Rim“ veröffentlicht wurden. Am Anfang hab ich mir Sorgen gemacht wegen potentieller Ähnlichkeiten. Wie sich herausstellte, schrieb ich jedoch das, was einem Anti-Pacific-Rim am nächsten kommt. Trotzdem ist der Film super. Del Toro hat unglaubliche Arbeit geleistet, indem er einen japanischen Mecha-Anime in einen Live-Action-Film verwandelte. Es ist offenkundig, dass er das Genre liebt.

Das scheint die passende Gelegenheit zu sein, um nach dem Stand der früh auf den Weg gebrachten Verfilmung von „Giants“ zu fragen …

Man weiß nie, was aus diesen Dingen wird. Es gibt bereits ein Drehbuch, das David Koepp („Spider-Man“, „Jurassic Park“, „Mission Impossible“) schrieb. Ich habe es noch nicht gelesen und bin echt gespannt, zu sehen, was er daraus gemacht hat. Es ist aber sein Ding, seine Schöpfung. Ich habe gehört, dass sich manche Autoren Gedanken machen, die Verfilmung könnte sich radikal von ihrem Buch unterscheiden. Ich möchte nur, dass es ein guter Film wird, in den ich mein Kind mitnehmen kann.

Was können deine gespannten Leser vom zweiten Teil der „Giants“-Trilogie erwarten, der für 2017 geplant ist?

Der zweite Roman wird schneller und düsterer sein als der erste und spielt neun Jahre nach diesem. Es steht mehr auf dem Spiel. Es gibt massig Action und mehr Roboter. Er beantwortet einige der Fragen, die Leser nach „Giants – Sie sind erwacht“ haben werden, und stellt im weiteren Verlauf hoffentlich auch ein paar interessante neue Fragen. Wie der erste Band, behandelt die Fortsetzung zudem wieder einige ernste Themen. Ich denke dass jeder, der den Auftakt mochte, den zweiten Teil richtig gut finden wird.

Eine Leseprobe aus „Giants“ findet sich hier.

Sylvain Neuvel: Giants – Sie sind erwacht • Aus dem Amerikanischen von Marcel Häußler • Heyne, München 2016 • 416 Seiten • E-Book: 11,99 Euro

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