„Krimi und SF passen sehr gut zusammen“ – Das Interview mit Christian Endres
Der Autor des Cyberthrillers „Wolfszone“ im Gespräch mit seinem Lektor
Es gibt eine Frage, die mir in beinahe zwei Jahrzehnten Arbeit in der Buchbranche regelmäßig gestellt wurde: Wie wird man Autor oder Autorin? Wie bringt man ein Buch im Verlag unter? Dass dieser Weg für jeden unterschiedlich sein kann, das zeigt die Autorenbiografie von Christian Endres, seines Zeichens Redakteur hier bei diezukunft.de, aber auch Comic-Redakteur, Kritiker, Journalist – und Autor. Gerade ist sein Science-Fiction-Debüt „Wolfszone“ (im Shop) erschienen, und das habe ich zum Anlass genommen, ihn zu seinem Werdegang als SF-Autor sowie zu seinem Blick auf das gegenwärtige Genre zu befragen.
Frage: Lieber Christian, als Redakteur von diezukunft.de würde ich dich als Interviewpartner zwar siezen. Da ich aber auch dein Lektor für „Wolfszone“ bin, ist es vielleicht in Ordnung, wenn wir uns für dieses Interview duzen und die Leserinnen und Lesern gewissermaßen mein Lektoratsbüro und in die Entstehung deines Science-Fiction-Romans mit hineinnehmen. Meine erste Frage: Wer war eigentlich zuerst da, Christian Endres der Kritiker, Journalist und Comic-Redakteur, oder Christian Endres der Prosa-Autor?
ANTWORT: Christian Endres der Prosa-Autor – der für den Rest dieses Interviews allerdings nicht weiter in der dritten Person von sich sprechen wird. Hallo Sebastian, und hallo zusammen. Ich habe als Teenager tatsächlich erst Fanfiction zu „Star Wars“ und „Der Herr der Ringe“ geschrieben, rein zum Vergnügen. Gut, dass die Disketten mit den Storys irgendwo in einem rostigen Container auf Oskars Schrottplatz am Rande der Wolfszone begraben liegen. Als Kind bin ich im Anschluss an einen Schulausflug in ein Industriegebiet übrigens mal über einen verlassenen Schrottplatz geirrt, aber das ist eine andere Geschichte …
Nach der Jahrtausendwende habe ich online mit Buchrezensionen losgelegt, und mit meinen ersten Fantasy-Romanen für die Schublade. Von da aus ging es größtenteils im Gleichschritt: Wenn ich als junger Journalist damals angefangen habe, für die ZittyBerlin zu schreiben, habe ich parallel meine ersten Kurzgeschichten veröffentlicht. 2007 stieg ich zudem als Comic-Redakteur bei Panini ein, wo ich mich noch heute um die deutschsprachigen Ausgaben von Spider-Man, Batman, Wonder Woman, Conan und Co. kümmere.
Um die Zeit herum habe ich auch meinen ersten Wolf im Wald gesehen und ihm tief in die Augen geblickt – nein, Spaß. Hier in Mainfranken haben die Raubtiere erst Ende der 2010er ihr Comeback gefeiert. Und die Berichterstattung in der lokalen Presse dazu hat zum Jahreswechsel 2019/2020 meine Science-Fiction-Kurzgeschichte für Spektrum der Wissenschaft inspiriert, aus der am Ende „Wolfszone“ werden sollte.
Du beschäftigst dich also schon sehr lange mit Comics und Genreliteratur. Wie bist du zur Science-Fiction gekommen, zumal du ja, wie du in deinem Werkstattbericht verrätst, mit dem Hardboiled-Krimi eine zweite große Genreliebe hast?
Am Anfang habe ich hauptsächlich Fantasy und Sherlock Holmes gelesen, der Balrog und der Hund der Baskervilles kamen demnach lange vor den kybernetischen Wölfen. Meine ersten „literarischen Wölfe“ sind die Warge in Tolkiens „Der Hobbit“ gewesen; und der erste fiktive Wolf, wegen dem ich beim Lesen wirklich Rotz und Wasser heulen musste, war Nachtauge aus den „Weitseher“-Fantasy-Romanen von Robin Hobb.
Viele meiner liebsten Zeichentrickserien als Kind waren vorher aber bereits klar Science-Fiction: Masters of the Universe, Saber Rider, Galaxy Rangers, Captain Future, Marshall Bravestarr (mit dem kybernetischen Pferd, falls sich jemand erinnert?). Außerdem habe ich Babylon 5 geschaut, ehe ich SF-Bücher in die Hand nahm, und vorher waren auch noch Comics dran.
Zu meinen frühsten SF-Romanen kam ich so mit fünfzehn, u. a. via Douglas Adams’ „Per Anhalter durch die Galaxis“. Doch ich las auch die SF-Romane von Terry Pratchett, aus Verbundenheit zur Scheibenwelt – und nachdem ich Fritz Leibers Fantasy entdeckt hatte, suchtete ich mich durch Leibers gesamte SF, obwohl Leiber eher ein Katzen- als ein Wolfstyp war. Danach folgten Ray Bradbury, Philip K. Dick, Ursula K. Le Guin und J. G. Ballard.
In meinen 20ern las ich dann immer mehr Science-Fiction und immer mehr moderne Krimis – Raymond Chandler, Don Winslow, Ken Bruen, Sara Gran, Ian Rankin, William Gay, Ed Brubaker. Und nein, Der mit dem Wolf tanzt ist nicht mein liebster Western mit Kevin Costner, diese Ehre teilen sich Open Range und Yellowstone.
Wie stehst du generell zu Genreüberschneidungen? So ganz lupenrein war die SF ja nie, es hat immer wieder Einflüsse aus anderen Erzählformen gegeben. Wie siehst du das in deinem eigenen Schreiben, und was beobachtest du derzeit in der aktuellen Science-Fiction?
Es muss passen, es muss Klick machen, es muss gut geschrieben sein, allein darauf kommt es an. Dann spielt es keine Rolle, ob Genre-Mix oder klassisches Rezept. Diese Maxime gilt für mich als Leser wie als Autor.
Was die Verbindung von Krimi und SF angeht, sind die Übergänge teils fließend, finde ich. Der Krimi zeigt und seziert unsere gegenwärtige Gesellschaft, die Science-Fiction extrapoliert diese und betrachtet sie durch das Brennglas der Zukunft. Krimi und SF passen – weit über die Cyberpunk-Tradition hinaus – sehr gut zusammen. Ich habe jetzt schon von einigen Krimi-Fans gehört, die meine mutierten KI-Wölfe in „Wolfszone“ einfach als einen halben Schritt über die Gegenwart hinaus wahrgenommen haben, und nach ein paar Kapiteln gar nicht mehr als Near-Future. Genau so war es von mir gedacht, habe ich es mir erhofft.
Krimi-Gott Don Winslow hatte einen gewaltigen Impact auf mein eigenes Schaffen (ich kann es noch immer nicht fassen, dass wir just sein letztes Buch gelesen haben sollen, und umso glücklicher macht es mich, dass ich ihm mit Kiras zahmen Wolf Winslow in „Wolfszone“ Tribut zolle). Ob ich nun über einen Detektiv im Brandenburg der nahen Zukunft schreibe oder meine Prinzessinnen-Söldnerinnen ins Fantasy-Abenteuer schicke – es klingt, bewusst wie unterbewusst, bei mir inzwischen stets nach Noir und Hardboiled, und ich würde es nicht anders haben wollen.
Wenn man den aktuellen Trend herauspicken soll, dann ist es in der Science-Fiction wohl ebenfalls Romance – und damit eine weitere Mischung zweier Genres. Romance-Titel müssen sich vermutlich so gar keine Gedanken über Schubladen oder Etiketten machen, das geht derzeit überall. Auch in der Dystopie, in der Postapokalyse oder im All. Hey, sogar in der Wolfszone ist hier und da ein bisschen love in the air, wenngleich nicht aus Kalkül, sondern weil es zum Leben dazugehört.
Wenn wir schon bei Erzählformen sind, du schreibst Kurz- und Langprosa. Was liegt dir eigentlich näher, und inwiefern schreiben sich Storys anders als Romane?
Früher habe ich lieber Kurzgeschichten geschrieben, heute schreibe ich Storys und Romane gleich gern. Manche Geschichten sind eben Shortstorys, andere Romane, und gelegentlich können Kurzgeschichten am Ende zu Romanen mutieren, wie „Wolfszone“ – lag sicher an den Nanobots. In Storys kann man viel ausprobieren, und einige Ideen geben genau eine Kurzgeschichte her, was Länge und Tiefe angeht. In Romanen kann man Figuren und Handlungsstränge mit viel mehr Raum entwickeln und erkunden. Kommt immer drauf an.
Beim Schreiben macht es keinen Unterschied mehr für mich. Okay, Storys laufen gern auf eine Pointe hinaus, davon abgesehen will ich auf allen Strecken möglichst knackig schreiben, interessante Figuren und Plots inszenieren. Der größte Unterschied ist, dass man bei einer Story früher das Gefühl der kreativen Befriedigung kriegt. Dafür kann man sich in einem Roman länger verlieren. Es ist echt crazy, wie man im eigenen Werk über Wochen und Monate hinweg abtaucht, wie es das Denken und Tun im Alltag beherrscht. Die Cyborg-Wölfe haben mich während jenem Sommer zwischen Corona-Lockdowns und Hitzewelle ein Stück weit vor dem Wahnsinn der Welt abgeschirmt, hatte ich immer den Eindruck. Außerdem konnte ich abends beim Schreiben einige Dinge für mich verarbeiten.
Du warst dieses Jahr mit der Geschichte „Die Straße der Bienen“ für den Kurd Laßwitz Preis nominiert, für die du vergangenes Jahr bereits mit dem Hauptpreis des Klimazukünfte 2050 Literaturwettbewerbs ausgezeichnet worden bist. Nun sind Preise ein nicht unwichtiger Teil des Literaturbetriebs – wie blickst du darauf, auf welche Auszeichnung bist du besonders stolz?
Literaturpreise sind ein Zeichen der Wahrnehmung und der Wertschätzung – das freut und ehrt mich immer. Und wenn eine Geschichte noch durch ein Preisgeld vergoldet wird, ist das selbstverständlich auch nice. Trotzdem versuche ich bei jeder Nominierung oder Auszeichnung, die Relation nicht aus den Augen zu verlieren und auf den Teppich zu bleiben. Und man steckt ja meistens eh schon wieder in den nächsten Projekten.
„Die Straße der Bienen“ ist gut doppelt so lang geworden wie meine üblichen Kurzgeschichten für c’t – magazin für computertechnik und rund drei Mal so lang wie meine Storys für Spektrum. In der Geschichte stecken also wirklich viele, viele Stunden des Schreibens und Polierens. Da hat sich die Auszeichnung umso mehr wie eine Belohnung angefühlt, und klar, da ist man dann auch besonders stolz.
Es war aber z. B. auch eine schöne Überraschung heute Morgen, als ich kurz vor diesem Interview gesehen habe, dass „Wolfszone“ auf Platz 7 der Phantastik-Bestenliste für Juni eingestiegen ist – und da geht es jetzt wieder primär um das Gefühl des Wahrgenommenwerdens.
Sprechen wir noch ein wenig über „Wolfszone“. Neben dem Setting der Geschichte und dem Krimiplot, über die du schon geschrieben hast, haben mir auch deine Figuren gut gefallen. Ob nun Haupt- oder Nebenfiguren, Prota- oder Antagonisten, in deinem Roman haben alle eine eigene, unverwechselbare Stimme – zum Beispiel Joe Denzingers warmherziger Sarkasmus, Kiras kaum gezügelte Emotionalität oder die köchelnde Wut von Tariq. Wie findest du zu deinen Figuren und ihrer Stimme?
Sound ist mir unheimlich wichtig. Wenn ich meinen Plot habe, fange ich direkt mit ein paar Zeilen an, probiere ein paar Sachen aus, suche den richtigen Klang der Geschichte – manchmal habe ich die Erzählstimme beim ersten Versuch, manchmal dauert es etwas. Dass ich sie habe, kann ich dann nicht erklären, aber ich spüre und weiß sofort, wenn sie passt. Ähnlich ist es bei den Figuren und ihren Dialogen. Ich schreibe bei ihren ersten Szenen drauf los, und ausgehend von dem, was ich über die Charaktere weiß, wie sie sich für mich anfühlen, erhalten sie ihre innere und ihre äußere Stimme. Eine Wegbeschreibung dafür könnte ich nicht geben, und ehrlich gesagt mag ich es, dass das Schreiben hin und wieder eine Komponente hat, die man nicht exakt aufschlüsseln kann. Weil das zeigt, dass es immer auch mit Emotion zu tun hat.
Und du hast mich im Lektorat von „Wolfszone“ ja bewusst von der Leine gelassen, damit die Kapitel von Cyborg-Wolf DW-7X, der von seinem Rudel verstoßen wurde, unter PTBS leidet und im Clinch mit den Nanos in seinem Körper und seinem Bewusstsein liegt, sprachlich noch fremdartiger werden. Das hat großen Spaß gemacht: das Kantige, fast etwas Lyrische im Satzbau, der Blick in den und aus dem kybernetischen Wolfskopf, die Bewegungen, Aktionen, Reaktionen als Maschinenwolf im Wald. Da mutierte dann der Autor kurz mal selber zum kybernetischen Waldbewohner und strich durchs Unterholz und die Zone.
In deinem Roman gibt es zwei Sorten „Monster“. Hier die Cyborg-Wölfe, die als überlebensgroße Fratze über allem schweben (an einer Stelle sogar wortwörtlich), und dort die beiden Komplexe künstliche Intelligenz und Klimawandel, die viel weniger plakativ, dafür umso weitreichender das Alltagsleben deiner Figuren prägen. Wie blickst du auf die gegenwärtige KI-Debatte? Was beschäftigt dich dabei – als Journalist, aber auch als Autor?
Seltsamerweise bin ich noch relativ gelassen, was KI und Texte angeht, obwohl uns da vermutlich bald die Felle davonschwimmen werden, angefangen bei Gebrauchstexten und Übersetzungen. Viel größere Gedanken mache ich mir über andere Bereiche, in denen KI eingesetzt wird, und wie drastisch das unser Leben, unsere Gesellschaft, unsere Zivilisation verändern mag. Wegfallende Jobs und noch ganz andere, ziemlich SF-mäßige Konsequenzen, ich denke da etwa an Krieg, aus naheliegenden Gründen. Man hat die KI-Entwicklung viel zu schnell vorangetrieben, viel zu spät Grenzen gezogen. Ich habe das Gefühl, dass hier mit einer, hm, Macht hantiert wird, die uns unweigerlich entgleiten wird. Und wir werden diesen Geist nicht mehr in die Flasche zurückbekommen.
Wenn ich mir wegen künstlicher Intelligenz oder Krieg mal keine Sorgen mache, dann ist die Klimakrise der Abgrund, in den ich starre. Mit KI und Klima kann man als Science-Fiction-Autor viele spannende Dinge anstellen, doch kommt man sich dabei manchmal auch wie jemand vor, der pfeifend durch den nächtlichen Wald geht, wohl wissend, dass die mutierten Monster-Wölfe trotzdem kommen, wenn sie wollen, dass alles Pfeifen nichts bringt. Damit will ich keineswegs sagen, dass Literatur generell nichts bewirkt. Sie wird den Klimawandel oder die Ausbreitung von KI jedoch nicht aufhalten. Aber vielleicht immerhin das Bewusstsein der Menschen ein bisschen schärfen. „Wolfszone“ soll in erster Linie gut unterhalten und auf keinen Fall belehren, doch wer möchte, kann ein paar Impulse und Gedanken aus der Lektüre mitnehmen.
Zum Schluss eine Zukunftsfrage: Was, glaubst du, kommt eher – ein lesbarer, KI-erzeugter Roman, oder die bemannte Landung auf dem Mars?
Sehr wahrscheinlich ein von KI erzeugter, halbwegs lesbarer Roman über eine bemannte Landung auf dem Mars, wo aufgrund der Missions-KI nach und nach alle Astronauten und Astronautinnen in den roten Sand beißen. Was uns besser eine Warnung sein sollte …
Vielen Dank für das Gespräch!
Christian Endres: Wolfszone • Roman • Heyne, München 2024 • 512 Seiten • Erhältlich als Hardcover und eBook • Preis des Hardcovers: 20,00 € (im Shop)
Christian Endres: Maschinenwolf • Kurzgeschichte • Heyne, München 2024 • Gratis-eBook • im Shop
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