Sex und andere Gedankenexperimente
Im Gespräch mit „Der Spalt“-Autor Peter Clines
Anfang 2016 erschien „Der Spalt“ von Peter Clines bei Heyne (im Shop). Der Amerikaner studierte Literaturwissenschaft, Archäologie und Quantenphysik und verfasst u. a. noch die Superhelden-Romanserie„Ex-Heroes“. In „Der Spalt“, das auf glaubhafte Figuren und einen spannenden Science-Faktor setzt, soll der hochintelligente Mike Erikson mit seinem unfehlbaren fotografischen Gedächtnis den Wissenschaftlern des Albuquerque-Projekts auf den Zahn fühlen. Selbiges wird von Regierungsgeldern finanziert und ist nach Bugs Bunny benannt, der sich in einem bekannten Warner-Trickfilm aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs wie üblich durch die Erde buddelte, in New Mexico herauskam und sinnierte, dass er bei Albuquerque wohl doch besser links abgebogen wäre. Ergibt Sinn, denn das Albuquerque-Projekt in „Der Spalt“ hat ebenfalls mit Reisen und Abbiegungen zu tun und widmet sich den Möglichkeiten der Teleportation. Mike, in dessen Vorstellung Ameisen das ewig abrufbare, verlustfreie Wissen in seinem Kopf hin und her tragen und zwangsläufig Verbindungen herstellten, ist plötzlich mittendrin – ein liebenswerter moderner Mycroft Holmes im Angesicht der vielleicht größten Entdeckung unserer Zeit, die mit ihren Portalen alles verändern könnte. Dann wird aus dem kostspieligen wissenschaftlichen Unterfangen jedoch der reinste Horror, ja öffnen sich mehr Tore, Möglichkeiten und Abgründe als gedacht.
Da „Der Spalt“ ein cooler SF/Horror-Thriller und richtiger Sommer-Schmöker ist und Peter Clines’ für eine TV-Umsetzung vorgesehener Roman „14“ voraussichtlich im Frühjahr 2017 bei Heyne erscheinen soll, baten wir den in Südkalifornien lebenden Mr. Clines zum Gespräch. Im Interview plaudert er über den aktuellen Stand der Wissenschaft, die Angst vor dem Unbekannten, Billy Wilder, Gedankenexperimente, Sex in Geschichten und vieles mehr.
Hallo Peter. In deinem Techno-Thriller „Der Spalt“ gibt es viele Referenzen, egal ob in Richtung Marvel, DC, Star Wars, Star Trek oder Game of Thrones. Sind diese Nerd- und Geek-Stoffe endlich voll und ganz Teil des Zeitgeists?
Endlich, yeah. Obwohl ich denke, dass das zu einem Großteil daher kommt, dass die Menschen jetzt wesentlich offener bezüglich dessen sind, was sie lieben. Es ist nicht so, dass diese Leute alle plötzlich aus dem Nichts auftauchten. Sie waren schon immer da. Jungen, Mädchen, Männer und Frauen, die Sci-Fi und Superhelden lieben, Sword-and-Sorcery-Fantasy, Spielzeuge und Videogames. Und nun, da diese Liebe öffentlich wurde, reagieren und füttern die Märkte sie. Ehrlich, ich bin ziemlich neidisch auf alle, die jetzt aufwachsen.
Womit begann die Liebe bei dir?
Ich habe ganz früh angefangen, Comics zu lesen – Spider-Man, Hulk, die Micronauts, ROM, X-Men, und die Comics und Bücher zu Star Wars. Und im Fernsehen lief Star Trek, das zurückkehrte, und bei meinem nichtkommerziellen öffentlichen Lokalsender hatten sie einen Block Doctor Who‑Folgen, den sie immer und immer wieder ausstrahlten. Wo andere Kinder sich für Pro-Wrestling begeisterten, begeisterte ich mich für Transformers.
Hast du bis heute Favoriten?
Da gibt es so viele. Ich liebe das Universum von Warhammer 40.000 und nach wie vor Doctor Who. Die Filme und TV-Serien von Marvel sind einfach fantastisch. Ich stehe auf Klassiker wie Ray Bradbury (im Shop) und Edgar Rice Burroughs und Arthur C. Clarke (im Shop). Ich mag neue Autoren wie Dan Abnett (im Shop), Seanan McGuire, Cullen Bunn oder Autumn Christian. Um alle aufzuzählen, haben wir nicht genug Zeit.
In „Der Spalt“ erklärst du z. B. nicht die Bugs-Bunny-Anspielung, der das Albuquerque-Projekt seinen Namen verdankt. Ist das für dich eine Art interaktives Element, weil du weißt, dass heutzutage viele auf dem Tablet lesen oder immer ein Smartphone für eine schnelle Websuche in Reichweite haben?
Der legendäre Drehbuchautor Billy Wilder gewann einen Haufen Oscars und andere Preise – ich meine, echt jetzt, über ein Dutzend – für seine Art, Geschichten zu erzählen. Einer der Tipps, die er einmal gab, lautete, dass du das Publikum selbstständig Zwei und Zwei zusammenzählen lassen kannst, und es dich dafür lieben wird. Davon bin ich ein großer Verfechter. Ich versuche stets, der Annahme zu folgen, dass die Leser smart genug sind, etwas alleine herauszubekommen. Dass sie eine Referenz verstehen – oder genug davon verstehen –, sodass ich die Dinge nicht so weit verlangsamen und alles erklären muss. Zugegeben, dass setzt ein ordentliches Level an Einfühlungsvermögen und Kenntnis darüber voraus, was ich selbst und was ein Durchschnittsleser weiß. Ich habe einen breiten Hintergrund in Popkultur und Filmen, dazu kommen Comics und Spielzeuge. Doch ich weiß wahrscheinlich auch mehr, wenn es um Archäologie, Astronomie, Physik und Psychologie geht. Allerdings kann ich nicht voraussetzen, dass jeder Leser alles kennt. Ich selbst weiß ja auch so gut wie nichts über Sport oder Country-Musik. Also ist es ein Balance-Akt.
Wie hast du über hochbegabte Menschen mit überdurchschnittlichem IQ und fotografischem Gedächtnis recherchiert?
Es gibt viele Informationen da draußen, hauptsächlich in Interviews. Ich meine, dass es mit einem echt alten „GQ“-Artikel anfing, den ich eines Nachts in einem Waschsalon gefunden habe. Er drehte sich um Menschen mit hohem IQ in den USA, und da war definitiv ein Unterton von Isolation und Einsamkeit in den meisten der Interviews. Ich kannte auch einige Leute mit hohem IQ, und das bestätigte, was ich vermutete.
Mit dem ‚fotografischen Gedächtnis’ war es etwas schwieriger, denn es gibt keinen echten Beweis dafür, dass es existiert. Jedenfalls nicht in der Sci-Fi-Form, an die wir für gewöhnlich denken, wenn wir den Begriff hören. Aber es gibt andere Arten der Erinnerung: Ein eidetisches Gedächtnis oder ein außergewöhnliches Gedächtnis wie beim hyperthymestischen Syndrom. Ich studierte sie und machte eine Reihe von Gedankenexperimenten, um es mal so zu sagen. Ich bemühte mich herauszufinden, wie das Gehirn arbeitet, wenn man nichts jemals vergisst. Kein Bild, keinen Geruch, keine Empfindung, keinen beliebigen Gedanke. Das bis zum Ende durchzudenken führte zu der Idee der Ameisen in Mikes Gehirn, da ich erkannte, das s ich kein einiges der Gedankenexperimente je vergessen könnte.
Mir gefiel, wie du im Roman Sex handhabst. Ist das ein Thema, das in Büchern oft zu prüde oder zu effekthascherisch behandelt wird?
Sex ist eine harte Nuss in Geschichten. Ich kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass die meisten Leute große Fans von Sex und Körperlichkeit sind. Gleichzeitig haben wir in verschiedenen Bereichen alle bestimmte Grenzen, was als ‚too much’ gilt. Um dein Wort zu benutzen: Jeder ist bis zu einem gewissen Grad prüde, wir haben alle nur ein unterschiedliches Maß. Da ist, was du privat und öffentlich akzeptabel findest, und was ich akzeptabel finde, aber nichts davon wird exakt übereinstimmen oder zu ihren, seinen oder deren Ansichten passen.
Davon abgesehen beobachte ich Autoren, die Sex auf dieselbe Wese nutzen wie Gewalt – sie schreiben so bildlich und anschaulich wie möglich, um eine schnelle, intuitive Reaktion vom Leser zu bekommen. Das ist eine Art zu Schreiben, sicher, doch in meinen Augen keine besonders subtile. Mit dieser Vorschlaghammer-Methode kommt man nicht besonders weit.
Die Kehrseite davon sind Leute, die verleugnen, dass Sex existiert. In ihren Geschichten findet sich keinerlei Hinweis darauf, dass Menschen unter gewissen Umständen Sex haben. Dafür gibt es meines Erachtens eine Reihe von Gründen. Die Sorge, zu viele Grenzen zu vieler Menschen zu überschreiten, und die eigene Scham. Als Autor gebe ich einen Teil von mir zur öffentlichen Begutachtung frei, und Leute werden Urteile fällen. Es ist wie mit Nacktszenen bei Schauspielern. Einerseits ist es eine natürliche Sache, passt in die Geschichte und ist geschmackvoll umgesetzt. Andererseits … meine Freunde werden das sehen. Menschen, mit denen ich ausgegangen bin (oder vielleicht auch nicht), werden das sehen. Meine Mutter wird das sehen! Es kann Leute zögern lassen, bestimmte Dinge zu schreiben, besonders wenn man berücksichtigt, wo manche der Grenzen gezogen sind. Als Geschichtenerzähler will ich diese Grenzen angehen, aber man fragt sich immer nervös, wie weit man sie pushen soll. Mit diesem Gefühl bin ich vermutlich nicht allein.
Warum lassen sich Science-Fiction und Wissenschafts-Thriller so gut mit Horror vermischen?
Ich denke, dass es an der Spezialisierung liegt. Das allgemeine Verständnis der Wissenschaft ist in den letzten Jahrzehnten deutlich angewachsen – doch der wissenschaftliche Kenntnisstand ebenso, und dabei wurde er ausgesprochen spezialisiert. Wir sind uns vermutlich sogar viel deutlicher der Menge an Informationen bewusst, die wir nicht haben. Ich meine, ich spreche regelmäßig mit Doktoren, Genetikern, und Biochemikern, und sie hauen ständig Kleinigkeiten raus, die mir nie in den Sinn gekommen wären. Und wir haben Angst vor dem Unbekannten. Lovecraft wusste das vor hundert Jahren, und heute ist es nach wie vor wahr. Sobald Wissenschaftlicher versuchen, uns einfache Antworten auf komplexe Fragen zu liefern und wir die Lücken wahrnehmen, machen wir uns Sorgen. „Warum sagen sie es uns nicht? Was geht wirklich vor sich?“ Und diese Sorte Fragen steht am Anfang vieler guter Horror-Geschichten.
Denkst du, Science-Thriller sind auch eine Antwort auf die immer größere Rolle, die Technologie im Alltag jedes Einzelnen spielt?
Absolut. Technologie ist heute viel weiter verbreitet, und meiner Meinung nach sind wir uns alle darüber im Klaren, wie abhängig wir von ihr geworden sind. Und wie wenig wir – wie von den meisten Wissenschaften – überhaupt davon verstehen. Handys, Wi-Fi, Cloud-Speicher, GPS, GMO – wir haben eine vage Vorstellung, wie das alles funktioniert, doch wie viele Menschen wissen es wirklich? Und wie wir gerade erst festgestellt haben, dieses Unwissen kann einem Angst machen.
Das Albuquerque-Projekt in „Der Spalt“ ist ganz schön gefährlich. Haben das CERN und andere hypermoderne wissenschaftliche Einrichtungen und Projekte dieser Dimension in der Realität ebenfalls geradezu apokalyptisches Potential?
Das ist – auf eine schreckliche Art und Weise – eine lustige Idee, aber ich gehe nicht davon aus. Ich meine, es gibt auch dann immer Gefahren, wenn ich mit dem Auto fahre. Wir erkennen jedoch, dass sie relativ klein sind, wir wägen die Risiken ab, und bewegen uns voran. Wie bereits gesagt, spreche ich viel mit Wissenschaftlern, und eine Sache, die ich gelernt habe, ist, durch wie viele Reifen sie springen müssen, bevor sie irgendetwas tun können. Wir sehen es nicht, aber ich würde darauf wetten, dass die Leute beim CERN hunderte apokalyptische Szenarien durchspielen müssen, bevor sich an ihrem Projekt auch nur eine Schaufel Dreck bewegt.
Tatsächlich machte mein Vater so etwas beruflich. Er ist ein Strahlungsexperte und entwarf Worst-Case-Szenarien und Notfall-Protokolle für Atomkraftwerke hier in den Staaten. Wenn das passiert, tut man das. Wenn dies passiert, das. Wenn dies passiert …
Dein Roman „14“, der mit „Der Spalt“ zusammenhängt, soll fürs Fernsehen adaptiert werden. Kannst du uns schon etwas darüber erzählen?
„Der Spalt“ ist lose mit „14“ verbunden (oder nicht so lose; kommt drauf an, aus welchem Blickwinkel man es betrachtet). „14“ wurde von Robert Downey Jr. und WB Television optioniert, und gerade spielen sie damit herum. Je nachdem, wohin sie das bringt … und wenn ein Dutzend Dinge zusammenkommen und passen … sehen wir in ein, zwei Jahren eine Version von „Der Spalt“ im Fernsehen.
Wir drücken die Daumen! Möchtest du deinen deutschsprachigen Lesern noch etwas sagen?
Ehrlich gesagt, bin ich nach wie vor verwundert, dass so viele Menschen außerhalb meines Appartements lesen, was ich geschrieben habe. Vielen Dank euch allen für euer Interesse. Ich hoffe, dass ich leidlich unterhaltsam bin.
Peter Clines: Der Spalt ∙ Roman ∙ Aus dem Amerikanischen von Marcel Häußler ∙ Wilhelm Heyne Verlag, München 2016 ∙ 528 Seiten ∙ E-Book-Preis € 8,99 (im Shop)
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