24. August 2015 1 Likes 2

Atombusen versus Busenwunder

Wann wurde die Science Fiction eigentlich so prüde?

Lesezeit: 4 min.

Das Wort „Busenwunder“ ist noch heute in aller Munde; hier hat sich der Wunderglaube ein kleines, aber lustvolles Reservat geschaffen. Vom „Atombusen“ dagegen ist kaum noch die Rede ‒ und das nicht erst, seit unsere Kanzlerin den endgültigen Ausstieg aus der Atomwirtschaft verkündet hat.

Über Nuklearkraftwerke und nukleare Abfallwirtschaft sind wir bestens unterrichtet ‒ notgedrungen, wie wir leidgeprüft anfügen dürfen. Der Atombusen aber? Was wissen wir eigentlich noch über Atombusen?

Der Atombusen, soviel wenigstens sollte klar sein, ist ein Determinativkompositum aus den Substantiven Atom und Busen, will sagen: Der erste Bestandteil ‒ Atom ‒ bestimmt den zweiten ‒ Busen ‒ näher. Was für ein Busen? Ein Atombusen.

Eben.

Einen Atombusen attestierte man im goldenen Atomzeitalter beispielsweise Gina Lollobrigida und Sophie Loren. Aber wo kommt der Begriff des Atombusens her?

Im letzten Jahr, am 3. Dezember 2014, veröffentlichte die Zeitung Die Welt aus Anlass des Relaunches des Kalten Krieges ein „ABC des Kalten Krieges“, Titel: „Atombusen bis Zone“. Dort informierte ein gewisser Matthias Heine in Sachen Atombusen beinahe korrekt: „Im Schatten der Atombombe wurde manches, was gewaltig war, mit der (sic!) Präfix Atom- charakterisiert.“ Das klingt, als hätte das Atom das Erbe der Heiden angetreten; in den alten Zeiten nämlich waren die Heiden für alles Überbordende zuständig, schlugen ihren Heiden-Lärm, veranstalteten ein Heiden-Spektakel, kosteten ein Heiden-Geld und verbreiteten deswegen eine Heiden-Angst.

Aber weiter im Welt-Text: „Der Atombusen lässt sich paradoxerweise erstmals 1960 bei einem DDR-Schriftsteller belegen – aber natürlich gibt es so etwas Pervers-Faszinierendes nur im Westen: ‚Rita Hayworth mit ihrem Atombusen Nummer eins, ich werde ihr befehlen, in die Wolga zu springen‘, ließ 1960 Friedrich Wolf einen Amerikaner namens Kennedy in seinem Drama ‚Menetekel oder Die Fliegenden Untertassen‘ fiebern.“

Wolfs Drama aus dem Jahr 1960, von dem Die Welt hier Kund tut, ist kein Drama, sondern ein Roman; er stammt auch nicht aus dem Jahr 1960, sondern aus dem Jahr 1952. Und bevor zitierter Oberst Kennedy im Marihuanarausch fiebert, erklang im Radio „eine Art Samba von einer kehligen Frauenstimme gesungen:

Kennen Sie nicht Kitty Vayne?

No, Sir.

Dann haben Sie den Atombusen Nr. 1 nicht gesehen.

Yes, Sir.

Vor dem muß selbst Tarzan in die Knie gehen,

Ohe, immer munter runter,

Radikal,

So was gibt´s nur einmal

Wie Atombusenkitty in Cansas City ‒

Hands up!“

(Friedrich Wolf: Menetekel oder Die fliegenden Untertassen, Berlin 1952, Seite 114)

Friedrich Wolfs Roman ist durchaus amüsant. Es wimmelt und irrlichtert von atomaren Wortschöpfungen: Da ist die Rede von Atompanik, einer Atomfackel, einer Handkofferatombombe und einem Atombombenwerfer. Natürlich fehlt es nicht an der spießbürgerlich-herablassenden Bemerkung über die Comics, die es damals gleichlautend auch in West-Deutschland gab: „Auch nicht gerade beruhigend wirkten die aus USA importierten ‚Comic Strips‘ und ‚Comic Books‘ mit ihrem Sammelsurium von Mord- und Gewaltszenen, an Folterungen und perversen Grausamkeiten ihres Helden ‚Superman‘ ‒ des blonden athletischen Übermenschen.“ Hierauf ein erstauntes Huch: Superman ‒ blond? Seit wann das denn?

Wie auch immer: Schon einige Jahre vor Wolf hatte ein anderer Mann die Verbindung zwischen dem weiblichen Busen und der modernen Nukleartechnologie gestiftet. Im Jahr 1946 hatte der Automechaniker Louis Réard ein Kleidungsstück erfunden, das den Atombusen nachhaltig ins Bewusstsein der Öffentlichkeit heben sollte - am 18. Juli 1946 ließ er sich die Zeichnung einer zweiteiligen Badekleidung für Damen patentieren, bestehend aus vier Stoff-Dreiecken: Zwei durch eine Kordel verbundene Dreiecke bildeten die Hose, zwei weitere Dreiecke bedeckten andeutungsweise die Brust. Er taufte das gute Stück nach einer der Marshallinseln, wo im selben Jahr auf Anordnung von US-Präsident Harry S. Truman eine Serie von Atomwaffentests stattgefunden hatte: Bikini.

Als der Bikini am 5. Juli 1946 in Paris der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, beauftragte man mit der Präsentation die gelernte Nackttänzerin Micheline Bernardini ‒ die anderen Models hatten sich nicht getraut. Die Aktion brachte Bernardini 50.000 begeisterte Fan-Briefe ein. Es dauerte dennoch seine Zeit, bis der Bikini populär wurde. Noch 1947 untersagte die französische Polizeipräfektur den Bikini an den Badeorten der Atlantikküste; am Mittelmeer war er gestattet.

Die Verbindung zwischen weiblicher Brust und zukunftsträchtiger Technologie aber sollte sich als fruchtbar erweisen. Im Jahr 1962 führte der französische Comic-Künstler Jean-Claude Forest seine Heldin Barbarella in die Science-Fiction-Welt ein; die Handlung: Barbarella, eine brigitte-bardotöse Erscheinung, zieht hautenge Raumanzüge an und bei erstbester Gelegenheit (derer es manche gibt) wieder aus.

Barbarella, der nicht zuletzt dank der freundlichen Reklame durch die französischen Zensurbehörden einiger Erfolg beschieden war, folgten andere SF-orientierte -ellas nach wie Uranella oder Vampirella. Und es war erstaunlich, wie leichtgeschürzt und kurzberockt selbst im familienfreundlichen Fernsehen die Zukunftsheldinnen auftraten – man denke nur an Lieutenant Uhura.

Heute dagegen …

Ich habe mir mal ein aktuelles Titelbild der wahrscheinlich verdienstvollen SF-Reihe „Die neunte Expansion“ aus dem zweifellos verdienstvollen Wurdack-Verlag angesehen (Motto: „Bücher für Leute mit Fantasie“). Darauf sieht man: wenig Haut, reichlich Haar und ein Gewand, das der Heldin bis zum Kragen steht ‒ waren SF-Titelbilder jemals lustloser als heute?

Liebe Leute (möchte man den Frauenbilddesignern der Bücher für Leute mit Fantasie zurufen), da sieht ja Mario Draghi verheißungsvoller aus, Günter Verheugen verruchter, Gundula Gause nachtwandlerischer! Atombusen? Von wegen! Und dass man ersatzweise wieder an Busenwunder glaubt, glaube ich eher nicht.

Wann ist das passiert? Wann hat sich die Science-Fiction zu derart hochgeschlossener Zimperlichkeit bekehrt? Zukunft, scheint es, ist alles andere als sexy.

Was Wunder, dass SF-Abstinenz heute so vielen Lesern leicht fällt.

Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist. Alle Kolumnen von Hartmut Kasper finden Sie hier.

Kommentare

Bild des Benutzers klaus-future

Ist diese Kolumne ironisch gemeint? Nur weil weibliche Charaktere nicht mehr als leichtbekleidete Betthäschen dargestellt werden, ist "die SF prüde geworden"? Oder hab ich was falsch verstanden?

Bild des Benutzers Brokkoli

+1
Das kann doch niemand wirklich denken, dass man SF-Abstinenz am Fehlen von nackten Frauen auf Covern erklären kann. Ich habe ja ca. 1800 SF-Bücher, aber kein einziges mit so einem Cover, die wirken ja eher billig, unprofessionel und abschreckend.
Warum wird eigentlich nicht von Krimis verlangt, dass dort barbusige Frauen dargestellt werden?
Nein, die Kolumne ist sicher als Witz gemeint. Oder es ist das Sommerloch und die Hitze.

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