7. Dezember 2020

Corona, Kondome, Klopapier

Was wir 2020 gehortet haben – ein globaler Rückblick

Lesezeit: 4 min.

Bekanntlich horten Deutsche gerne Toilettenpapier – was sehr vernünftig ist. Schließlich ist Toilettenpapier eine praktische und vielfach (wenn auch nicht mehrfach) verwendbare Ware: Man kann das Papier ebenso gut als Taschentuch einsetzen wie als Serviette, bei Kindergeburtstagen lassen sich lustige Luftschlangen daraus basteln, und auf Hochzeiten ist es für neckische Bondage-Spiele mit dem Brautpaar unverzichtbar. Und wer mit offenen Augen durch die Welt wandelt und mit offenen Ohren ihren Narreteien nicht nur flüchtig lauscht, sondern sich die eine oder andere Notiz machen möchte, tut gut, immer eine Rolle Toilettenpapier bei sich zu führen – als rollendes Notizbuch.

Ferner: Wer hätte nicht schon einmal auf Toilettenpapier seinen Einkaufszettel geschrieben, mit lautem Herzklopfen die seligen Worte „Willst du mit mir gehen? Ja / Nein / Vielleicht“ auf ein Blatt gekrakelt oder darauf Tagebuch geführt – ja, hat nicht sogar der große Jack Kerouac seinen berühmten Roman „On the Road“ auf eine abgerollte Rolle Toilettenpapier geschrieben? Außerdem dient es, mehrfach um den Kopf gewickelt, als Verbandmaterial oder Mundschutz. Und wozu greift die Polizei, wenn sie mal kein weißrotes Absperrplastikband zur Hand hat, aber einen Tatort gegen Gaffer und illegitime Tatortbegeher abzusperren begehrt? Na bitte! Toilettenpapier ist eben ein echtes Wertpapier.

Dass man sogar mit dem pappenen Rest, der übrig bleibt, wenn alles abgewickelt ist, noch mancherlei anfangen kann, Männchen und Frauchen und Tierfiguren daraus basteln zum Beispiel oder dem Nachwuchs zeigen, wie man in die Röhre guckt, erwähne ich nur abschließend und nebenbei.

Der Deutsche und sein Toilettenpapier – eine innige, ja man möchte sagen: eine Liebesbeziehung eigener Art, fast wie zwischen Winnetou und Old Shatterhand. Da überrascht es manchen zu hören, dass diese Zuneigung durchaus nicht von allen Kulturen geteilt wird.

In der Türkei, wo man sich noch von keiner Krise hat unterkriegen lassen („Crisis? What crisis?“, so Recep Tayyip Erdogan), hortet das Volk aus Anlass der Pandemie nämlich bevorzugt Kölnisch Wasser – ein für meinen Geschmack etwas heftiges Gebräu, aber Geschmäcker sind halt verschieden (Alkoholanteil: siebzig Prozent). Wie man hört, begeisterte das Parfüm aus den Ölen der Bergamotte, Limette, Mandarine, Pampelmuse, Zeder und Zitrone Männer von Welt wie Wolfgang Amadeus Mozart, Wolfgang Goethe und Napoleon Bonaparte. Erfunden wurde es anno 1709 in der Kölner Firma Johann Maria Farina gegenüber dem Jülichs-Platz. Wohl dem, dessen Unternehmung einen solchen und vermutlich nur in der heiligen Stadt Köln (der letzten Ruhestätte der heiligen drei Könige!) möglichen Namen trägt.

Jedenfalls stelle ich mir nun Istanbul, Ankara und dergleichen von einem derart sultanös-bergamottesk-pampelmusischen Dampf geschwängert vor. Ah! Oh! Hmmja!

In Frankreich, das wiederum irgendwie anders ist als die Türkei, gingen den Läden der Wein und die Kondome aus; die Wein- und Kondomhändler saßen auf dem Trockenen.

In Bulgarien stürzten sich die Bulgaren auf Zitrusfrüchte. (Gemeint wahrscheinlich: große Gebinde von Knoblauchknollen, helfen die doch gegen Thrombosen, Fußpilz und nachlassende Liebeskraft.) Oder halt: Sollten dort illegale Duftwasserfabriken mit nachgeahmtem Parfüm ihr Glück versucht haben? Echt Kölnisch Wasser made in Bulgaria?

Die Russen horteten Fleischkonserven und bäriges Bargeld. Banknoten oder rollende Rubel? Auf dem alten Hundert-Rubel-Scheinchen war ja der Gott Apollo zu sehen, wie er auf einer Quadriga steht und die Leier schlägt; sein Rock ist leicht gelüpft, darunter trägt er: nichts, nur schiere, unverhüllte, wohlig erschlaffte Männlichkeit. Auf der Zweitausend-Rubel-Note dagegen sieht man das Kosmodrom mit einem stolz erigierten Raketchen. Was, fragt man sich, wird die Moskauer Dorfjugend gesammelt haben in diesen herben Tagen? Göttliche Penisse oder Raketen? Für beides gäbe es gute Gründe.

In der Schweiz bildeten sich lange Schlangen vor den Schaltern der Goldhändler. Was sonst?

In Dänemark ging der Versand von Sexspielzeugen durch die Decke.

In Holland? Mussten die Coffeeshopjes (Alkohol streng verboten) schließen - ausverkauft!

In US-Amerika: stundenlanges Warten vor den (als systemrelevant eingestuften) Waffenläden, Waffensupermärkten, Waffenmegastores. Wahrscheinlich gab es bei Abnahme von zehn Sturmgewehren und 20.000 Schuss Munition eine Panzerfaust gratis. Bekanntlich bietet der gut sortierte Gun Shop („Guns, Ammo & Accessoires“) auch besonders leichte Gewehre für die sechs- bis zwölfjährigen Kinder feil und pinke Mädchenrevolver; auf diese Weise ist für den Spaß in der ganzen Familie gesorgt.

So führt uns der Virus vor Augen: Alle, aber auch alle Vorurteil stimmen! Oder können wir es uns anders vorstellen? Den Holländer als waffen- und munitionslüsternen Holzfällerhemd- und Baseballkäppiträger mit Sturmgewehr und über der Brust gekreuzten Patronengürteln? Den Schweizer kiffend? Den Amerikaner mit tausend One-Gallon-Kanistern Kölnisch Wasser auf den Ladeflächen seines Pritschenwagen? Den Türken mit einem Einkaufsbummelbeutel voller klackernder Weinflaschen und daneben die praktische Familienpackung Kondome Marke „Kriz? What Kriz?“.

Unsere Fantasie mag es sich nicht ausmalen. Die Welt geriete aus den Fugen. Der Verschwörungsmythenindustrie wären Tür und Tor geöffnet. Nein: Auch in Zukunft werden wir wie die Eichhörnchen sammeln und uns bevorraten mit dem, was unserem Wesen eigen.

Ich sitze übrigens noch auf etwa achtzig Rollen Toilettenpapier, feinster Premium-Ware, vierlagig, feucht & fröhlich, reißfest und extra weich; dank seiner luxuriösen Mandelmilchlotion sorgt es für einen besonderen Wohlfühlmoment und überzeugt durch das elegant geprägte gold-schimmernde Muster auch optisch.

Nimm das, Virus!

 

Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist. Alle Kolumnen von Hartmut Kasper finden Sie hier.

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