Die Schätze des Mars
Warum wir in Wahrheit zum roten Planeten fliegen werden
Man sagt, unser globaler Verbrauch an Energie und Rohstoffen sei so groß, dass wir mittlerweile zwei Erden bräuchten. Kann es sein, dass hinter dieser Aussage ein wirtschaftliches Kalkül steckt? Ein geleakter Geschäftsbericht der MIMIC (Mars International Mining Corporation) vom Oktober 2049 birgt interessante Fakten:
„Werte Geschäftspartner,
als unser Konsortium im Jahr 2016 MIMIC gründete, hatte es bei allem Vorausblick nicht erwartet, mit welchen wirtschaftlichen Erfolgen, aber auch akuten Gefahren wir es heute zu tun haben.
Wie Sie wissen, erkannte die aus Stahl- und Baukonzernen, Internet- und High-Tech-Firmen sowie Investmenthäusern bestehende Gruppe damals ein global unterschätztes Problem: Der Erde würden auf absehbare Zeit die zum modernen Leben nötigen Rohstoffe ausgehen. Während sich die Regierungen und NGOs fast ausschließlich auf den Energiesektor konzentrierten, sahen einige Weitblickende, dass Industrie und wachsende Weltbevölkerung in viel zu hohem Ausmaß Metalle, darunter vor allem Kupfer irreversibel verbrauchten oder in ungenügendem Maße recycelten. (Beachten Sie hierzu bitte beiliegende historische Studie und die damals schon bekannten Informationen.)
Zu unserem Glück hatten just in den Jahren zuvor Marssonden erfreuliche Analysen der am roten Planeten vorkommenden Rohstoffe erbracht. Dass unser Nachbarplanet große Mengen Eisen aufweist, war natürlich schon länger bekannt, immerhin führt der von Eisenpartikeln durchsetzte Sand auch zur roten Farbe der Oberfläche. Nun aber gab es auch Hinweise, dass beispielsweise die Oberfläche des Mars zu großen Teilen aus vulkanischem Gestein besteht, das weitgehend den irdischen Komatiiten und Ferropicriten ähnelt. Die wirtschaftliche Bedeutung von Komatiiten kennt man seit Anfang der 1960er Jahre, da mit Komatiiten sowohl Kupfer- als auch Nickel-, Gold- und Platin-Vorkommen vergesellschaftet sind. Anhand der Sondendaten erkannten wir, dass die Marsformationen potenziell förderbare Mengen enthalten. Besonders interessant war auch, dass in einigen vom Mars stammenden Meteoriten nicht nur Nickel und Eisen, sondern auch die auf unserem Heimatplaneten fast schon verbrauchten seltenen Erden Lanthan, Neodym und Europium vorhanden waren, sowie Lithium, Kobalt, Niob und Molybdän – extrem kostbare Rohstoffe etwa für die Herstellung von Computer- und Smartphone-Bestandteilen.
Im Grunde überraschte das nicht, denn der Mars durchlief in seiner Entstehungsgeschichte wie unsere Erde hydrologische und vulkanische Prozesse, die zur Absonderung und Differenzierung verschiedener Elemente entsprechend ihrer Dichte und anderer Merkmale geführt haben. Tatsächlich hatte sich schon bei den Viking-Missionen erwiesen, dass unser Nachbarplanet auch große Mengen der industriell attraktiven Elemente Schwefel und Phosphor beherbergt. Schon das Oberflächengestein, der Regolith, enthält zahlreiche Mineralien in Oxidform: Hauptsächlich Silizium (43 Prozent), aber auch Aluminium, Magnesium, Kalium, Kalzium, Titan, Chrom, Mangan und natürlich Eisen. Letzteres zeigt sich vor allem in winzigen Kügelchen, die reich an Hämatit sind, einem Hauptbestandteil von Eisenerz. Wie sich herausstellte, lässt sich aus diesen Erzen hervorragender Stahl produzieren.
Die NASA dachte damals nur daran, dass die ersten Siedler auf dem Planeten eigene Metalle gewinnen, Nahrung anbauen, Kunststoffe herstellen und Energie erzeugen könnten. Unserem Konsortium war jedoch klar, dass es unter der Marsoberfläche riesige natürliche Erzlagerstätten geben musste, die sich relativ leicht ausbeuten ließen. Die obere Schicht besteht großteils aus feinkörnigen Partikeln von 0,05 bis 1 Milimeter. Sie konnten von unseren autonomen Fahrzeugen einfach eingesammelt und ohne weitere Aufbereitung dem Verarbeitungsprozess zugeführt werden.
Wie wir feststellten, enthalten die Randzonen der Partikel zusätzlich durch den Sonnenwind eingelagerte Ionen von wertvollen Gasen, die wir sozusagen nebenher mit verwerten konnten. Im Gegensatz zum Erdmond, der zwar tausendmal näher ist, aber kaum lebenswichtige Elemente in leicht gewinnbarer Form aufweist, lassen sich aus der Marsatmosphäre, aus dem Wassereis seiner Polarkappen und aus dem unter der Sandoberfläche vorkommenden Grundeis Kohlenstoff, Stickstoff, Wasserstoff und Sauerstoff direkt gewinnen.
Da Sauerstoff meist in mineralischen Oxiden gebunden ist, darf unser Unternehmen angesichts eines jährlichen Umsatzes von 150 Milliarden Dollar allein in diesem Bereich von sich behaupten, der größte Lieferant marsianischer Gase für die irdische Industrie zu sein. Unsere Abbauanlagen am roten Planeten erbringen beständige Mengen von Natriumoxid, Magnesiumoxid, Aluminiumoxid, Siliziumoxid, Schwefeloxid, Eisenoxid sowie zahlreichen Phosphaten.
Sogar gewöhnliche, im Marsboden allgegenwärtige Mineralien lassen sich hervorragend nutzen: Olivin etwa für hitzeresistentes Glas und Wärmespeicherbauteile, Feldspat zur Herstellung von vielfältig einsetzbarer Keramik, die verschiedenen Pyroxene als exotische Schmucksteine, Gips als Grundlage für Baustoffe – und mit dem als Abfallprodukt gewonnenen Natriumchlorid bedienen wir einen weltweiten Markt unter dem Markenzeichen „Original Mars-Salz“.
In welchem Bereich wird sich MIMIC als nächstes engagieren? Unsere führenden Wissenschaftler sind sich einig, dass im Gegensatz zum Ölzeitalter die Ära nuklearer Brennstoffe noch lange nicht zu Ende ist. Und da der hierfür benötigte zweiwertige Wasserstoff – Deuterium – in Marswasser fünfmal so häufig vorkommt wie in irdischem, ergibt sich für uns ein riesiges Marktpotenzial von bis zu einer Billion Dollar, das wir nutzen wollen und werden.
All dem standen in unserer Anfangszeit noch relativ hohe Kosten für die Transportflüge zwischen Erde und Mars gegenüber. Mittlerweile sinken diese jedoch massiv – auch durch die am Mars selbst gewonnenen Treibstoffe -, wodurch unsere Aktionäre schon seit sechzehn Jahren und auch weiterhin mit einem stabilen return on investment und steigenden Gewinnen rechnen dürfen.
Abschließend möchten wir jedoch auf zwei bedenkliche Punkte hinweisen. Erstens die areopolitische Situation. Den Weltraumvertrag von 1967, die erste völkerrechtliche Vereinbarung des Weltraumrechts, hatten seinerzeit zwar nur etwas mehr als hundert Staaten unterzeichnet, und auch das Mondabkommen von 1979 sowie die internationale Marsvereinbarung wurden von zahlreichen Ländern ignoriert. Das gab uns als supernationalem Wirtschaftskonsortium bisher sämtliche Spielräume, die wir brauchten. Mittlerweile stoßen jedoch immer mehr staatliche oder staatsnahe Konzerne dazu und die Abbauclaims am Mars rücken enger zusammen. Einbußen konnten wir bisher durch entsprechende Maßnahmen – juristische Konfrontation, Lobbying, Joint Ventures – verhindern. Aber das wirtschaftliche Umfeld wird schwieriger und dürfte sich in den nächsten drei bis fünf Jahren zu einem gewinnmindernden Faktor entwickeln.
Zweitens kommt es auf dem Mars, wie Sie sicherlich aus aktuellen Medienberichten wissen, immer öfter zu sozialen Herausforderungen. Obwohl wir und auch andere Unternehmen den dort beschäftigten Minenarbeitern Löhne zahlen, die um ein Vielfaches höher als auf der Erde sind, steigt die Unzufriedenheit und es kam bereits zur Gründung von Marsgewerkschaften. Für Unmut sorgt vor allem die erhöhte Krebsrate sowohl unter Siedlern als auch Arbeitern. In unserer Anfangszeit schickten wir zwar nur Personen zum Mars, die älter als 55 Jahre waren und somit trotz der stärkeren Weltraumstrahlung kein höheres Krebsrisiko als auf der Erde hatten – oder den Ausbruch der Krankheit zumindest nicht mehr erlebten. Doch mittlerweile hat sich der Arbeiterbedarf aufgrund der gesteigerten Abbaumengen derart erhöht, dass auch Jüngere zum Mars auswandern. Obwohl unsere Mediziner und Vorarbeiter sie genau auf das vorbereiten, was ihnen dort blüht, sind sie überrascht, dass sie praktisch die ganze Zeit über Schutzanzüge tragen und in der knappen Freizeit in den Wohnkuppeln bleiben müssen. Zudem sinken aufgrund vermehrter Konkurrenz schon seit einiger Zeit die Löhne und tragen oft die Kosten der Heimkehrer für die medizinische Behandlung auf der Erde nicht mehr.
Es kommt also immer wieder zu Arbeitsverweigerung, Streiks und sogar schon zu Aufständen. Unsere autonomen Wächtersysteme konnten zwar bisher noch jedes Mal einen Zusammenbruch verhindern, doch der Einsatz von Waffen und die damit verbundene Häufung von Todesfällen sickert zu den irdischen Medien durch und verringert unseren Marktwert. Daher unterbreiten wir, nach den aktuellen Quartalsergebnissen und Gewinnaussichten, unseren Aktionären im Anhang konkrete Vorschläge, wie den sozialen Problemen zu begegnen wäre. Unter Berücksichtigung steigender Gewinnerwartungen, härterer Konkurrenz und leicht verfügbarer Arbeitskräfte empfehlen wir an dieser Stelle, die Waffentechnik auszubauen und den Arbeitern von MIMIC zukünftig weder die Heimreise noch jedwede Kommunikation mit der Erde zu erlauben. Wir sind sicher, dass dies – in Verbindung mit entsprechenden Vergünstigungen und Freizeitangeboten - auch unter dem Personal auf hohe Akzeptanz treffen wird. Schließlich lautet unser Motto nach wie vor: A free Mars for a free Mankind!
Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung!“
Mehr zum Thema Mars und Mars-Besiedelung finden Sie in Uwe Neuholds Beitrag zu dem Sachbuch Der Weg zum Mars – Aufbruch in eine neue Welt (im Shop). Uwe Neuhold ist Autor und bildender Künstler, der sich insbesondere mit naturwissenschaftlichen Themen befasst. Alle Kolumnen von Uwe Neuhold finden Sie hier.
Kommentare
Was die wollen uns da oben erschießen ist das echt euer ernst ??