9. Dezember 2024

Blut und Weltraumziegel

Wer auf andere Planeten reisen will, muss sich mitunter ziemlich unkonventionelle Gedanken machen

Lesezeit: 4 min.

Manchmal ist eine unglaubwürdige Geschichte – die eigentlich nichts anderes als Clickbait sein kann – viel besser als gedacht.

Okay, so etwas kommt so gut wie nie vor, aber alle Jubeljahre, wenn die Sterne günstig stehen, stößt man tatsächlich auf eine so unheimlich gute Story wie diese. Ja, mir scheint es fast, als hätten sich alle, die an dieser Sache beteiligt waren, zusammengesetzt und gesagt: „Oje, Rob fällt gerade kein Thema für seine Kolumne ein, da wollen wir ihm mal etwas unter die Arme greifen.“

Und so kam es, dass ich heute Morgen auf folgende Schlagzeile gestoßen bin: „Für Weltraumziegel sind Kartoffeln besser geeignet als menschliches Blut“.

Mit solchen Kleinoden muss man behutsam umgehen. Man muss sich jedes Wort auf der Zunge zergehen lassen, bevor man sich in aller Ruhe der Geschichte widmet, die dahintersteckt. Wollen wir also in achtsamem Genuss die Umstände erkunden, die dazu geführt haben, dass Kartoffeln, Menschenblut und Weltraumziegel – was immer das auch sein mag – in einer Schlagzeile zusammengefunden haben.

Fangen wir mit den Ziegeln an. Wenn man auf einem anderen Planeten oder sonstigem Himmelskörper, zum Beispiel dem Mars, eine wie auch immer geartete, gebäudeähnliche Struktur errichten will, benötigt man jede Menge Baumaterial. Dazu gibt es ein paar Möglichkeiten. Und zwar genau ein Paar, also zwei. Entweder man bringt alles mit. Oder man stellt es vor Ort her.

Das Material für alles, was größer als ein Iglu ist, über Millionen Kilometer von der Erde heranzukarren ist viel zu aufwendig. Diese Möglichkeit fällt also aus. Man muss das, was man braucht, an Ort und Stelle produzieren – was aber auch nicht ganz einfach ist, da es auf dem Mars (oder sonst irgendwo im Weltall) keine Fabriken gibt. Die Wissenschaftler haben sich also überlegt, wie sich im Weltraum am einfachsten etwas bauen lässt. Überraschenderweise lautet die Antwort: Mit Ziegelsteinen, einem robusten, leichten, überall verfügbaren und standardisierten Baumaterial, lassen sich Gebäude am einfachsten planen und errichten.

Wie man sie dann auch noch luftdicht kriegt, ist ein anderes Problem, das ich in einer eigenen Kolumne behandeln werde, sobald ich größeres Interesse daran habe. Im Moment freue ich mich einfach über die Tatsache, dass es Weltraumziegel überhaupt gibt. Das Material dafür ist nicht allzu schwer aufzutreiben, schließlich ist der Mars voll mit Staub und Steinen, die nur darauf warten, für etwas Sinnvolles verwendet zu werden. Aber was nimmt man als Bindemittel? Wie bringt man den Staub dazu, in ungefähr der gewünschten Form zusammenzukleben?

Klar, könnte man sagen, dann bringt man eben Mörtel mit (oder was auch immer man auf der Erde verwendet, um Ziegel miteinander zu verbinden). Denn dass man etwas Ähnliches auf dem Mars findet, ist eher unwahrscheinlich. Und so stehen wir wieder am Anfang, weil es, wie gesagt, unmöglich ist, Baumaterial über diese weiten Entfernungen zu transportieren.

Aber weit davon entfernt, die Flinte ins Korn zu werfen, haben sich unsere emsigen Ziegelforscher auf die Suche nach erneuerbaren Rohstoffen gemacht. Einer davon ist, und ich kriege schon beim Schreiben Gänsehaut, menschliches Blut. Ehrlich. Das haben sie ernsthaft in Betracht gezogen. Blut und Urin. Zehn Punkte für den Einfallsreichtum, aber Minus mehrere Millionen Punkte dafür, dass sie die Reise zum Mars noch unattraktiver gemacht haben, als sie ohnehin schon ist.

Wenn man Blut und Urin mischt und entsprechend behandelt, wird daraus in Verbindung mit Regolith ein recht stabiles Baumaterial. Doch glücklicherweise müssen die Astronauten der Zukunft keine Angst davor haben, was geschieht, wenn sie auf dem Mars landen – man hat inzwischen eine praktischere Lösung gefunden. Wie sich nämlich herausstellte, ist Kartoffelstärke viel besser geeignet als Menschenblut. Zur großen Erleichterung der gesamten Astronautenzunft werden die Gebäude auf dem Mars wohl aus Kartoffeln errichtet werden.

Der Leiter dieses Forschungsprojekts an der Uni Manchester brachte die diesbezüglich herrschende Verunsicherung gut auf den Punkt: „Vermutlich werden unsere Astronauten nicht in Häusern aus Schorf und Urin wohnen wollen.“ Und vermutlich hätten sich dafür auch nicht allzu viele Freiwillige gefunden.

Manchmal ist das Faszinierende am Weltraum nicht, wie weit wir darin reisen oder hineinblicken oder was wir sonst für wundersame Dinge in unserem Sonnensystem anstellen können. Manchmal ist dieser Zauber – und das ist mein voller Ernst – auch in scheinbar lächerlichen Dingen zu finden.

Ist es nicht erstaunlich, dass diese Wissenschaftler über den Tellerrand hinausgeblickt und sich Lösungen für Probleme überlegt haben, auf die wir niemals gekommen wären? Natürlich will kein Astronaut etwas aus Blut und Urin bauen, dennoch bin ich froh, dass wir darüber nachgedacht haben. Es beweist mir, dass es Menschen gibt, die solche Probleme ernst nehmen und nicht ruhen, bis sie sie gelöst haben. Das ist doch großartig.

Außerdem freut es mich, dass mir das Thema dieser Kolumne einfach so in den Schoß gefallen ist. Vielen Dank, Freunde!

 

Rob Boffard wurde in Johannesburg geboren und pendelt als Autor und Journalist zwischen England, Kanada und Südafrika. Er schreibt unter anderem für „The Guardian“ und „Wired“. Seine Romane „Tracer“ (im Shop), „Enforcer“ (im Shop) und „Verschollen“ (im Shop) sind im Heyne-Verlag erschienen. Alle seine Kolumnen finden Sie hier.

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