Der blinde Fußgänger
Warum man Spaß an Asteroiden haben kann – trotz ihrer Gefährlichkeit
Ich liebe Asteroiden.
Seit ich Bill Brysons „Eine kurze Geschichte von fast allem“ gelesen habe (übrigens immer noch eines der besten Wissenschaftsbücher aller Zeiten), bin ich von Asteroiden fasziniert. Laut Bryson gibt es selbst in unserer unmittelbaren galaktischen Nachbarschaft zu viele (etwa eine Milliarde), um sie alle im Auge zu behalten. Doch auch wenn wir jeden Himmelskörper finden und seine Laufbahn verfolgen könnten – so ein Asteroid bewegt sich sehr, sehr schnell. Und falls tatsächlich einer Armageddon-mäßig auf Kollisionskurs mit der Erde ist – wir könnten nichts dagegen unternehmen.
Am wahrscheinlichsten ist, dass wir den Asteroiden, der uns den Garaus macht, gar nicht kommen sehen. Dafür gibt es einfach zu viel Himmel zu beobachten und zu wenige qualifizierte Menschen, die genau das tun. Ein Asteroid von ungefähr einer Meile Durchmesser würde die menschliche Zivilisation mehr oder weniger auslöschen. Eine Meile ist keine Kleinigkeit. Erinnern Sie sich noch an die Videos von dem Asteroiden, der 2013 in Chelyabinsk runterkam? Über tausend Menschen wurden verletzt – und dabei war dieser Steinbrocken gerade mal zwanzig Meter breit. Gesehen hat ihn übrigens niemand, weil er von der Sonnenseite auf uns zukam.
Entschuldigung, ich habe gerade einen hysterischen Lachanfall.
Die Erkenntnis, dass der Himmel über unseren Köpfen voller Objekte ist, die einen ohne Vorwarnung umbringen können, gibt dem Leben erst die richtige Würze. Warum seine Zeit verschwenden, wenn genau in diesem Augenblick eines dieser Objekte auf uns zu gerauscht kommen könnte? Vielleicht schaffe ich es noch nicht mal, diesen Satz zu Ende zu schreiben – weil vorher ein bisher unbemerkter, mehrere Millionen Stundenkilometer schneller Asteroid mich, meine Wohnung, meine Nachbarschaft, meine Stammkneipe und alles im Umkreis von tausend Meilen pulverisiert.
Andererseits: Für Science-Fiction-Schriftsteller wie mich sind Asteroiden Gold wert. Man könnte einen einfangen und auf ihm nach Mineralien schürfen – sehr praktisch für den Fall, dass einer Weltraumkolonie das Baumaterial ausgeht. Sie können auch ausgehöhlt und als Behelfsraumschiffe verwendet werden. Wenn die Umstände stimmen und sie die richtige Form haben, sind sie ein prima Hitzeschild, hinter dem ein Raumschiff in die Atmosphäre eintauchen kann. Diese Idee stammt übrigens von einem Raketentechniker. Wenn man einem Schriftsteller so etwas erzählt, blinken sofort eine Menge seltsamer und wunderbarer Lichter in seinem Gehirn auf.
Aber auch in der realen Welt kann man viel mit Asteroiden anstellen. Um Missverständnisse zu vermeiden: Ein Asteroid ist ein Felsbrocken, der zu klein für einen Planeten oder einen Mond ist. Gegenwärtig bereiten Studenten am MIT eine Sonde vor, die Apophis vermessen soll – einen Asteroiden, den wir tatsächlich beobachten und der im Jahre 2029 ziemlich nah, also in etwa 31.000 Kilometern Entfernung, an der Erde vorbeifliegen wird. (Nur zum Vergleich: Bryson bezeichnet einen Asteroiden, der in 170.000 Kilometern an uns vorbeifliegt, als das kosmische Äquivalent einer Pistolenkugel, die einen Hemdsärmel durchlöchert, ohne den darin steckenden Arm zu berühren. Uff. Da kommt es mir doch etwas vermessen vor, diesen potentiellen Planetenkiller nach dem altägyptischen Schlangengott des Chaos zu benennen.)
Die Asteroidenbeobachtung war – kaum überraschend – lange eine Spezialität der NASA, die ein eigenes Zentrum für Erdnahe Objekte (NEOs) am berühmten Jet Propulsion Laboratory in Kalifornien unterhält. Die Leute dort wissen, dass die Erde, kosmisch gesehen, ein blinder Fußgänger ist, der eine dreispurige, stark befahrene Autobahn überquert. Und das wollen sie ändern. Ihre diesbezüglich jüngste Erfindung ist ein Frühwarnsystem namens Scout, das dabei hilft, Asteroiden aufzuspüren, zu beobachten und sie dann dem sogenannten Sentry-Programm zu melden, das wiederum berechnet, ob einer dieser Felsbrocken unserem Planeten zu nahe kommen könnte. Dieses System ist sozusagen ein Gemeinschaftsprojekt, bei dem professionelle und Hobby-Astronomen ihre Entdeckungen dem Minor Planet Center (MPC) in Massachusetts mitteilen, woraufhin Scout automatisch die Daten nach möglichen Gefahren auswertet.
Asteroiden könnten sogar nützlich sein – wenn die Menschheit nicht so dumm wäre. Unter Obama wurde geplant, einen Asteroiden in eine Umlaufbahn um den Mond zu bringen, um ihn auf Bodenschätze oder gar bisher unbekannte Nutzungsmöglichkeiten zu untersuchen. Donald Trump hat dieses Projekt aus dem NASA-Budget gestrichen, weil … nun ja, weil Trump ein riesiger orangefarbener Idiot ist.
Anders als sein Vorgänger würde er wohl nicht zögern, einen sich nähernden Asteroiden mit Atombomben zu beschießen. Was natürlich nicht funktionieren wird – der einzige halbwegs brauchbare Plan lautet gegenwärtig, eine kleine Sonde auf den Asteroiden prallen zu lassen und ihn dadurch von seinem Kurs abzubringen. Aber was soll’s. Immerhin dürfen wir so vor unserem Untergang noch ein schönes Feuerwerk bewundern.
Rob Boffard wurde in Johannesburg geboren und pendelt als Autor und Journalist zwischen England, Kanada und Südafrika. Er schreibt unter anderem für „The Guardian“ und „Wired“. Seine Romane „Tracer“ (im Shop) und „Enforcer“ (im Shop) sind im Heyne-Verlag erschienen.
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