25. März 2025

So viele schöne Lichter

Einmal im Leben sollte man eine Aurora borealis gesehen haben – mindestens

Lesezeit: 4 min.

Ich werde bald vierzig, aber sobald ich „Aurora borealis“ höre, benehme ich mich wie ein Fünfjähriger im Zuckerrausch.

Klar, der Weltraum ist mein Ding. Raketen, Planetenbewegungen und spannende Geschichten über die großen Persönlichkeiten der Weltraumforschung faszinieren mich. Aber erst ein paar schöne Lichter am Himmel lassen mich so richtig ausflippen.

Was gelegentlich Auswirkungen auf mein Berufsleben hat. Vor einigen Jahren wurde ich zusammen mit ein paar anderen Journalisten von einem Magazin namens Boat (das sich auf internationale Begebenheiten spezialisiert hatte, über die die Medien nicht ausführlich genug berichteten) zu einer Forschungsreise nach Island eingeladen. Dort sollten wir über Interessantes und Ungewöhnliches schreiben. Eine Aufgabenstellung, die die Kollegen umsetzten, indem sie über geothermale Energie, kreative Landwirtschaftstechniken oder vergessene literarische Helden (von denen es in Island weiß Gott jede Menge gibt) schrieben.

Ich dagegen schrieb über Nordlichter.

Ich konnte nicht anders. Wenn ich schon einmal in Island war, musste ich mich auf dieses Thema stürzen – auch wenn das ungefähr so war, als würde man für einen Leitartikel von The Paris Review ein paar Swifties bitten, über ihre Lieblingssängerin zu schreiben. Ich tat mein Bestes, um dem Artikel einen Anstrich von seriösem Journalismus zu verleihen, und ließ es auch etwas menscheln, indem ich über die Fotografen berichtete, die das Nordlicht knipsten. Aber seien wir ehrlich: Ich brauchte nur einen Vorwand, um mir die schönen Lichter ansehen zu können.

Dabei kann ich durch einschlägige Referenzen beweisen, dass ich ein ernstzunehmender Journalist bin. Aber in diesem Fall habe ich mich, wie man so schön sagt, nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Bis heute frage ich mich, warum die Redaktion mein Geschreibsel stillschweigend angenommen hat. Mein Text war keine Reportage, sondern das Hohelied der oberen Atmosphäre.

Oder um genau zu sein: Das Hohelied der von der Sonne elektrisch aufgeladenen Teilchen, die in Interaktion mit dem Magnetfeld diese wunderbare Lichtershow erzeugen. Wobei das Auftreten des Polarlichts völlig unzuverlässig ist. Auch unter Idealbedingungen – richtige Jahreszeit, richtiger Ort, richtiger Zeitpunkt – ist nicht garantiert, dass man es zu sehen bekommt. Dann wieder verlässt man spätabends das Büro, und obwohl man sich für eine Aurora viel zu weit südlich befindet, ist sie plötzlich … einfach da. Eine stumme Explosion am Himmel.

Der Zeitpunkt für Polarlichter ist gerade recht günstig. Das hat ausnahmsweise nichts mit dem Klimawandel zu tun, denn der Himmelskörper, dem wir das Nordlicht verdanken, ist viel, viel größer als die Erde und außerhalb jeder menschlichen Einflussnahme. Die Sonne erreicht etwa alle zehn Jahre ein sogenanntes solares Maximum, das mehrere Jahre dauert und bei dem es zu einem gehäuften Auftreten von Sonnenflecken kommt. Das letzte Maximum war 2014.

Die Auswirkungen des aktuellen Maximums sind seit Längerem zu spüren. Hier in Kanada hatten wir in den vergangenen Monaten schon öfter die Gelegenheit, eine Aurora borealis zu sehen – theoretisch zumindest. Die erste war im April letzten Jahres, und obwohl ich in einer ländlichen Gegend ohne große Lichtverschmutzung wohne, hatte ich Pech. Die Aurora war nur als schwacher rosafarbener Schein auf einem Foto, aber nicht mit bloßem Auge zu erkennen.

Beim zweiten Mal war ich in Alberta, mitten auf dem platten Land, aber auch hier gab es nicht das Geringste zu sehen. Es macht eben die Faszination des Polarlichts aus, dass es so unberechenbar und vergänglich ist wie der Wimpernschlag Gottes.

Wer dieses Schauspiel erleben will, sollte sich schlauerweise so weit nördlich wie möglich begeben. Momentan muss man allerdings nicht bis nach Skandinavien reisen, auch in Schottland, Kanada und Alaska kann man auf seine Kosten kommen. Natürlich empfehle ich Ihnen, nach Kanada zu fahren. Wir haben Poutine und Craft Beer. Und ich bin ebenfalls da – auch wenn man mich beim besten Willen nicht als Touristenattraktion bezeichnen kann.

Jedenfalls, nachdem ich damals auf meiner Islandreise mehrere überraschte Fotografen interviewt hatte, fuhren meine Frau und ich mit dem Bus aufs Land, um uns selbst auf die Jagd nach dem Polarlicht zu machen. Dabei hatten wir großes Glück: Sanft dahingleitende Wellen aus Grün, Blau und Rosa erstreckten sich über den gesamten Horizont. Wir befanden uns in einem vergleichsweise abgelegenen und dunklen Teil jener neunzig Prozent Islands, die ohnehin schon dunkel und abgelegen sind. Aber wir hätten keinen besseren Platz finden können. Wir legten uns rücklings auf den gefrorenen Boden und staunten.

In diesem Augenblick war es leicht nachzuvollziehen, weshalb sich so viele Mythen und so viel Aberglauben um ein derart außergewöhnliches Himmelsereignis ranken. Wir können aus der ersten Reihe mitverfolgen, wie sich die Götter mit Lichtschwertern duellieren.

Das entschuldigt natürlich nicht den dämlichen Artikel, den ich dem Magazin geschickt habe. Selbstverständlich hätte ich die Aurora borealis betrachten und eine ordentliche Geschichte schreiben können. Aber wissen Sie was? Das war mir egal. Einmal im Leben war ich zufrieden damit, etwas weniger Professionalität an den Tag zu legen.

 

Rob Boffard wurde in Johannesburg geboren und pendelt als Autor und Journalist zwischen England, Kanada und Südafrika. Er schreibt unter anderem für „The Guardian“ und „Wired“. Seine Romane „Tracer“ (im Shop), „Enforcer“ (im Shop) und „Verschollen“ (im Shop) sind im Heyne-Verlag erschienen. Alle seine Kolumnen finden Sie hier.

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