„Nathanaëlle“ von Berberian & Beltran
Schwermetallreiches Comic-Design trifft retrofuturistischen Schwindel
Im Comic „Nathanaëlle“ von Autor Charles Berberian und Zeichner Fred Beltran ist die Oberfläche der zukünftigen Erde ein Ort, an dem die Dinge sauber und geregelt laufen. Familienväter können nach ihrem Tod sogar als leicht manische Kaffeemaschinen-Roboter ins Leben zurückkehren, obwohl das zugegebenermaßen nicht alle Beteiligten glücklich macht. Auch sind Überwachung und Polizeigewalt überall präsent – der Preis für die Ordnung oben. Darunter brodelt es aber noch viel heftiger, denn Menschen wie Nathanaëlle, die dort wie vergessen und verborgen hausen, glauben seit Langem die Fake News über den Aufstand der Roboter, die Apokalypse und eine unbewohnbare Welt über ihnen. Bis Nathanaëlle eines Tages an die Oberfläche getrieben wird, wo sie sich selbst ein Bild machen will. Da die junge Frau mit den Cyborg-Teilen das gesellschaftliche Gleichgewicht bedroht, geraten Nathanaëlle und alle, die von früher oder heute mit ihr in Verbindung stehen, ins Visier der Herrschenden und ihrer Vollstrecker …
Szenarist Charles Berberian wurde in Bagdad geboren, wuchs in Beirut auf und lebt seit Langem in Frankreich. Man kennt ihn in erster Linie für die preisgekrönte Serie „Monsieur Jean“, die er gemeinsam mit Philippe Dupuy umgesetzt hat. Zeichner Fred Beltran, Vollblutkünstler und obendrein Musiker, visualisierte u. a. Alejandro Jodorowskys „Megalex“ und „Die Techno-Väter“. Beltran und Berberian kannten sich schon ewig, praktisch noch aus „Schwermetall“-Zeiten, und nach all den Jahren kam es nun zu einer direkten Zusammenarbeit. Passenderweise hat ihr Album „Nathanaëlle“ in Sachen Perspektiven und Plastizität einen wirklich auffallend „schwermetallhaltigen“ Look wie aus „Metal hurlant“ und „Heavy Metal“. Berberians retrofuturistischer, grotesker Zukunftsentwurf und seine Story tragen unterdessen das Erbe von Terry Gilliam (im Shop) und George Orwell (im Shop) in sich – und am Ende fragt man sich, wann Luc Besson wohl um die Ecke kommen und das Ganze verfilmen wird.
„Nathanaëlle“ wird am Ende sicher nicht der beste Science-Fiction-Comic des Jahres 2021 sein, dafür ist das alles dann doch ein Stück zu old-fashioned und vorhersehbar. Allerdings bietet der Band eine interessant designte und dargebrachte Genre-Groteske.
Abb.: © 2019 Éditions Glénat by Charles Berberian and Fred Beltran
Charles Berberian, Fred Beltran: Nathanaëlle • Splitter, Bielefeld 2021 • 112 Seiten • Hardcover: 22 Euro
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