15. März 2017 3 Likes

Zwei Dimensionen sind genug

„Adolars phantastische Abenteuer“ ist ein subversiver Schatz des ungarischen Zeichentricks aus den 1970ern

Lesezeit: 3 min.

Alles muss heute dreidimensional sein. 3D-Filme, 3D-Fernsehen, 3D-Internet, 3D-Ultraschallbilder und was weiß ich nicht noch alles. Das Zweidimensionale ist verdächtig, und manche Politiker scheinen gar nur noch eindimensional zu denken, wenn man die blühende Szene der Nationalisten und Neurechten in und um Europa betrachtet.

Diesem Anlass zum Trotz ist deshalb meine aktuelle Klassiker-Wiederentdeckung eine Zeichentrickserie aus dem Ungarn der 1960er und 1970er, und zwar so zweidimensional, wie’s nur irgend geht – es handelt sich um die TV-Serie Adolars phantastische Abenteuer. Bevor ich aber erkläre, was ich an der Serie so liebe, noch kurz ein Blick in die (dreidimensionale) Gegenwart.

Der Klassiker - Aladars phantastische Abenteuer
Man nehme Heimsprudler, Geigenkasten und Aufblasrakete – Adolars phantastische Abenteuer

Im heutigen Ungarn ist der Zustand der Kunst leider prekär. Vielerorts ist man entweder nicht mehr willens oder nicht mehr in der Lage, den nationalistischen und neurechten Zukunftsfantasien der Regierung von Viktor Orban noch einen kritischen Gegenwartsspiegel vorzuhalten, wie das Magazin Magyar Narancs laut Perlentaucher.de berichtet. So sei die Kunsthalle Budapest „unfähig, sich mit der Welt zu unterhalten, und will das auch nicht mehr“.

Das war früher einmal anders. Gerade zu Zeiten des Kalten Krieges pflegte man in Ungarn ein durchaus distanziertes Verhältnis zu straffen russischen Linie der Ostblockpolitik. Ein wunderbar-subversives Beispiel dafür sind nämlich Adolars phantastische Abenteuer, die 1969 bis 1974 in Ungarn ausgestrahlt wurde und 1977 dann in der DDR, und die auch in der ehemaligen Tschechoslowakei und sogar in Brasilien und Italien enorm beliebt war.

Der Klassiker - Aladars phantastische Abenteuer
Vom Dach der bürgerlichen Idylle direkt ins Reich der Fantasie – Adolars phantastische Abenteuer

Hauptfigur ist der zwölfjährige Adolar, der mit seinem sprechenden Hund Schnuffi und einem in einem Geigenkasten aufbewahrten, aufblasbaren Raumschiff ins Weltall fliegt. Dabei muss er zu Beginn jeder Folge seiner so aufdringlichen wie spießigen Familie entfliehen, bis er – in ein Nachthemd gekleidet und mit einem Soda-Heimsprudler zum Aufpusten seiner Rakete ausgerüstet – aufs Dach steigen kann. Dann geht es mit der Überlichtgeschwindigkeit von v = 5 Adolar zu fremden Planeten.

Der Klassiker - Aladars phantastische Abenteuer
Science-Fiction bietet im Trickfilmklassenkampf eine Dimension mehr – Adolars phantastische Abenteuer

Ich erinnere mich noch, wie ich als Kind gerade von diesen Fantasiewelten fasziniert war. Gleich in der ersten Folge etwa geht es auf einen scheibenförmigen Planeten, auf dem nur zwei Dimensionen existieren. Kaum landen Adolar und sein Hund auf der Pfannkuchenwelt, als er auch schon mitten in einen sprachphilosophischen und ontologischen Disput gerät – denn alles Dreidimensionale ist höchst verdächtig. Außerdem wurden alle Vokale außer „u“ und „i“ verboten. Im Nachhinein betrachtet verstecken sich schon hier feine Spuren der Systemkritik, wie sie in Literatur und Kunst der Ostblock-Ära immer wieder zu finden sind – hervorragende Beispiele sind etwa Autoren wie Arkadi und Boris Strugatzki (im Shop).

Ansonsten stecken Adolars phantastische Abenteuer voll von allerschönstem Unsinn, der mit scharfem Wortwitz und nicht geringem intellektuellem Tiefgang aneinandergereiht ist. Als Aladar und Schnuffi etwa auf dem Planeten Kuriosum landen, begegnen sie einem Mann, der auf den Händen läuft, Fische auf dem Land fängt und Wörter rückwärts spricht. Die Erklärung des sprechenden Hundes ist erkenntnistheoretisch so lapidar wie einfach: „Du musst dich nur auf den Kopf stellen, dann übersetzt es sich reichlich mühelos. Der Weg zur Erkenntnis führt nun einmal über Kopfarbeit.“ Daraufhin Aladar: „Na schön, aber deshalb muss ich doch meinen Standpunkt nicht aufgeben!“

Der Klassiker - Aladars phantastische Abenteuer
Standpunkte sind Kopfsache, gestern wie heute – Adolars phantastische Abenteuer

Das Ungarn von heute sieht definitiv anders aus, da helfen auch ostalgische Kopfstände nix. Aber manche Eindimensionalisten von heute möchte man am liebsten an den Füßen packen und einmal ordentlich den Standpunkt durchschütteln. Wie das geht, sieht man hier in der ersten Folge – es gibt eine DVD mit den zwölf Folgen der DEFA-Synchronisation. Ich sage nur: Rakete ab!

Adolars phantastische Abenteuer • Trickfilmserie, Ungarn 1969-1974 • Regie: József Romhányi und József Nepp • Synchronisation: DEFA, 1977

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