21. August 2017 1 Likes

Jetzt neu: Die Welt in 3-D

Von den magischen Formeln der Science-Fiction

Lesezeit: 4 min.

Die Science-Fiction steht manchmal noch im Verdacht, sie habe etwas mit Wissenschaft und Technik zu tun. Nun ist jede Gebrauchsanweisung für eine Multifunktions-Küchenmaschine technisch orientierter als der handelsübliche Science-Fiction-Roman, und wer technoide Texte liebt, wäre hier, bei Thermomix und Obstpresse, ohnehin bestens bedient. Da brauchte es nicht Hinz und Kunz, die mit Raketen ins Weltall fliegen, mit Zeit-U-Booten in die Vergangenheit tauchen oder hastunichtgesehen in die virtuellen Welten hinter dem Computerbildschirm stürzen.

Ja, ich weiß, das Wort „Technik“ ist auch ein Emblem, und in der Science-Fiction der 1950er und 1960er Jahre hat man es gerne auf die Weltraumromane geklebt. Ich schmökere gerade in „Dunkles Universum“, einem alten Roman des großen Daniel F. Galouye, der 1965 auf Deutsch in der Reihe „Goldmanns WELTRAUM Taschenbücher“ erschienen ist; im Untertitel wird das Werk als „Ein utopisch-technischer Abenteuerroman“ bezeichnet. Im Anschluss an den Roman findet sich ein Verzeichnis der bisher erschienenen Bände dieser Reihe; dazu heißt es von Verlagsseite: „In einer Zeit stürmischen wissenschaftlichen und technischen Fortschritts entstand besonders in den angelsächsischen Ländern die Science-Fiction-Literatur, deren beste utopisch-technische Romane und Erzählungen jetzt in deutscher Sprache erscheinen.“ Und hinter die Titel der Arbeiten von Poul Anderson, Isaac Asimov, James Blish, Arthur C. Clarke, Robert A. Heinlein, Clifford Simak, John Wyndham und eben Daniel F. Galouye treten Gattungsbezeichnungen wie „Utopisch-technischer Roman“, „Utopisch-technischer Abenteuerroman“, „Utopisch-technischer Kriminalroman“ oder „Technischer Zukunftsroman“.

Man sieht: Ohne Technik ging in der Zukunft nichts; und die Utopie war technisch definiert.

Übrigens auch bei dem Werk der einzigen Autorin, die Aufnahme in diese Reihe gefunden hat: Zenna Henderson. Ihr Beitrag – „Wo ist unsere Welt?“ – wird als utopisch-technisch deklariert, obwohl es darin um eine Gruppe von Außerirdischen geht, die auf der Erde notgelandet sind und sich als Menschen tarnen, was nicht eben leicht fällt, weil sie über besondere geistige Fähigkeiten verfügen. Dieses Motiv wurde übrigens 1972 für‘s US-Fernsehen verfilmt; William Shatner spielte einen Dr. Curtis, Produzent war Francis Ford Coppola. Wissenschaft und Technik? Eher naja.

Der Sache näher kommt man, wenn man sich andere Titel ansieht: José van den Eschs Roman heißt „Januar im Jahr 2000“; schon im Jahr 1888 hatte Edward Bellamy einen „Überblick aus dem Jahr 2000“ geworfen (und gilt seither als Prophet der Kreditkarte); der Ordensgeistliche Hermann Skolaster verfasste „Sango Matip – Afrika im Jahr 2000“; seit 1977 erscheint in Großbritannien das wöchentliche SF-Comicmagazin 2000 AD (dem wir mythische Größen wie Judge Dredd, Nikolai Dante oder Strontium Dog und Durham Red verdanken); in Deutschland erschien in den 1970er Jahren die Heftromanserie „Erde 2000“ (als Fortsetzung der „Zeitkugel“); und die TV-Serie Mondbasis Alpha 1 hieß im Original Space: 1999, sie verfehlte damit das magische Jahreszahlziel 2000 knapp und wurde nach der zweiten Staffel eingestellt.

Ja, ich sage „magisch“. Denn ich glaube, genau darum handelt es sich. Ähnlich wie andere Texte der phantastischen Literatur, operiert auch die „Science“-Fiction bevorzugt mit magisch-verheißungsvollen, zeitenwendenverkündenden Formeln. Das Science-Fiction-romantische „Jahr 2000“ hat, wie man mittlerweile weiß, wenig mit dem realen, technisch-wissenschaftlich eher okayen Jahr 2000 zu tun: Damals im wirklichen Jahr 2000 wurde der Königsfliegenpilz zum Pilz des Jahres ernannt; Adolf Ogi wurde Bundespräsident der Schweiz; Tuvalu wurde Mitglied der Vereinten Nationen, und Michael Schumacher wurde zum ersten Mal Formel-1-Weltmeister.

Und im Bereich Wissenschaft und Technik? Auf dem früheren sowjetischen Atomwaffentestgelände Semipalatinsk in Kasachstan wurde der letzte Tunnel gesprengt, und die ehemalige nukleare Nutzung beendet; das Wissenschaftsmagazin Nature teilte die Entdeckung der einzigen bekannten Argon-Verbindung Argonfluorohydrid mit; das Wrack des 1864 untergegangenen konföderierten U-Boots CSS Hunley wurde vor Charleston, South Carolina geborgen. Nichts (oder doch wenig), was die Herzen der Science-Fiction-Leser heftig erbeben ließ.

Immerhin (und das soll nicht verschwiegen werden): Am 31. Oktober startete mit der Mission Sojus TM-31 die erste Besatzung zur Internationalen Raumstation.

Aber, seien wir ehrlich, vom utopisch-technischen Weltraumhocker gehauen hat und hätte uns das alles (hätten wir anno 1965 einen Roman dazu im Weltraumbüchersortiment gefunden) nicht. Es fehlte das spezifisch sciencefictionale, inkantationale Simsalabim.

Wie wirkungsvoll solches Vokabular sein kann, wurde mir in diesem Jahr klar, als wir im fernen, phantastischen Südtirol (genauer: in Naturns) am Abend auf einem Minigolfplatz spielten, der an einer Waldesgrenze lag. Die Laternen waren eben angegangen; die Fledermäuse machten sich lautlos über das Insektenvolk her, das sich leichtsinnig zu einem späten Ausflug im Lichtkreis der Laternen versammelt hatte; und meine Tochter, begeistert von Land, Wald, Bergen und Reinhold Messner, bemerkte: Dieser Minigolfplatz sei einfach wunderbar, und jetzt, in der reich besternten Dunkelheit, erinnere er sie an den 3-D-Minigolfparcours in Duisburg.

Ich war wie elektrisiert: In Duisburg gibt es jetzt 3-D-Minigolf? Das klang nach Raumpatrouille Orion, Star Trek, Visor, nach Hologrammen von Sternenprinzessinnen, die durchscheinend aufleuchten und sprechen: Helft uns, Obi-Wan Kenobi, ihr seid unsere letzte Hoffnung!

Bis mir einfiel, dass sich Minigolf, wie jede andere Art von Golf und jede andere Sportart auch, ja in 3-D abspielt, notgedrungen sogar, solange wir Bewohner einer dreidimensionalen Welt sind. Natürlich meinte sie das Moonlight-Schwarzlicht-Laser-Minigolf, zu dem der Veranstalter gegen Aufpreis eine 3-D-Brille reicht.

Aber ihre Bemerkung hatte diesen magischen Moment, so, als eröffnete der Begriff selbst eine neue, über den Alltag hinausgehende Dimension, einen neuen Raum und eine neue Zeit. Und von diesem Zauber lebt eben auch die Science-Fiction.

 

Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist. Alle Kolumnen von Hartmut Kasper finden Sie hier.

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.