16. Mai 2018 2 Likes

Hexenmeister und Rassisten

Matt Ruffs Roman „Lovecraft Country“ ist endlich auf Deutsch erschienen

Lesezeit: 3 min.

Matt Ruff schrieb u. a. den aberwitzigen Fantasy-Roman „Fool on the Hill“, den grellen Post-Cyberpunk-Klamauk „G.A.S. – Die Trilogie der Stadtwerke“, die geniale Philip K. Dick-Hommage „Bad Monkeys“, das mit dem James Tiptree Jr. Award ausgezeichnete „Ich und die anderen“ sowie den provokanten Alternativweltroman „Mirage“. Nach zweieinhalb Jahren Freuen, Warten, Hoffen und Bangen ist nun endlich die deutsche Übersetzung seines neuesten Buches „Lovecraft Country“ bei Hanser auf Deutsch erschienen. Darin widmet sich der 1965 geborene Amerikaner der pulpigen Vergangenheit von Science-Fiction, Horror und Fantasy, aber vor allem auch dem Rassismus gegenüber Afroamerikanern in den USA.

1954 herrschen in den Staaten noch die Jim-Crow-Gesetze zur Rassentrennung, und entsprechend werden Schwarze von ihren Mitmenschen diffamiert und schikaniert. Nicht umsonst wird der The Safe Negro Travel Guide herausgegeben, der Afroamerikanern hilft, sich in den Hochburgen der Rassisten halbwegs sicher zu bewegen oder diese am besten gleich zu umschiffen. Anfeindungen und Gefahren lauern im Alltag und besonders auf Reisen trotzdem zuhauf. Das bekommt auch der schwarze Korea-Veteran Atticus Turner bei seiner Rückkehr ins heimatliche Chicago zu spüren. Doch Atticus hat nicht nur Ärger mit weißen Rassisten – Atticus’ Familie und Freunde werden außerdem in den okkulten Konkurrenzkampf mehrerer Geheimlogen und Hexenmeister gezogen. Plötzlich müssen Atticus und Co. mit übernatürlichen Opferritualen, monströsen Shogothen, Zeitreisen, der Jagd auf sagenumwobene Zauberbücher, Spukhäusern, Entführungen, Portalen, Bannsprüchen, Gestaltwandlungen, fernen Planeten und vielem mehr klarkommen …

Wer im Fall von „Lovecraft Country“ eine Mischung aus Alan Moores detailversessenem Comic und Lovecraft-Remix „Providence“ und einem Roadtrip wie in Neil Gaimans multimedialem Hit „American Gods“ erwartet, wird überrascht, aber dennoch nicht enttäuscht. Ruff nutzt eine Reiseagentur (ein historisches Pendant zum Safe Negro Travel Guide gab es übrigens wirklich), jedoch keine klassische Heldenreise; und die Lovecraft-Referenzen sind zwar durchaus vorhanden und als Backdrop und Vibe jederzeit spürbar, aber niemals so deutlich, wie man es angesichts des Titels vermutet. „Lovecraft Country“ will ganz sicher kein Pastiche sein. Nichtsdestotrotz überzeugt der neue Ruff als fantastischer Episodenroman, der sich vor H. P. Lovecraft und der Pulp-Vergangenheit des Genres verbeugt, und als modernes Werk, das sich trotz seiner fantastischen Textur seriös mit der Historie des Rassismus in den USA befasst. Aktuell muss sich Trump Country schließlich wieder verstärkt mit Rassenhass und Polizeigewalt gegenüber Schwarzen auseinandersetzen. Zudem beschäftigt die Szene sich kritischer denn je mit H. P. Lovecrafts verbrieftem Rassenwahn – der World Fantasy Award trennte sich z. B. nach über 40 Jahren von seiner bisherigen Trophäe, die bis dahin eine Lovecraft-Büste zierte. Matt Ruff beweist also wieder einmal ein gutes Gespür für zeitgemäße Themen, während er am Anfang seiner Geschichte ebenfalls kurz über den Rassismus bei Lovecraft oder Edgar Rice Burroughs spricht.

Ursprünglich wollte Ruff aus seiner Idee zu „Lovecraft Country“ eine TV-Serie entwickeln – ironischerweise arbeiten Jordan Peele („Get Out“, „Fargo“), J. J. Abrams („Star Wars“, „Lost“), Misha Green („Heroes“, „Sons of Anarchy“) und andere derzeit an einer Serienadaption für den profilierten US-Sender HBO, wo im Original z. B. „Game of Thrones“ beheimatet ist. Wer nicht bis zur Ausstrahlung der TV-Fassung warten will, schnappt sich einfach schon jetzt das höchst lesenswerte Buch, das zu Matt Ruffs besten Romanen und definitiv zu den fantastischen Highlights des Jahres 2018 gehört. Und will letztlich nicht jeder ernstzunehmende Adept zuerst das Buch lesen und die niedergeschriebenen Geheimnisse vor allen anderen erfahren?

Matt Ruff: Lovecraft Country • Hanser, München 2018 • 431 Seiten • Hardcover: 24,00 Euro

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