25. Juni 2018 4 Likes

„Ich bin schrecklich darin herauszufinden, wie Ereignisse ablaufen werden“

Im Gespräch mit Mur Lafferty („Das Sechste Erwachen“)

Lesezeit: 7 min.

In den USA ist sie im Fandom schon seit längerem bekannt, in der Podcaster-Szene gilt sie sogar als Königin des Mediums. Nicht nur Mur Laffertys Podcasts sind preisgekrönt. 2013 bekam sie den „John W. Campbell Award for Best New Writer“ für ihre Kurzgeschichte „1963: The Argument Against Louis Pasteur“. Die US-Amerikanerin ist in der Phantastik zuhause, hat aber erst vergangenes Jahr mit „Das Sechste Erwachen“ (im Shop) ihren ersten Science-Fiction Roman für Erwachsene veröffentlicht. Dieser ist dieses Jahr für gleich drei begehrte Auszeichnungen nominiert: den Philip K. Dick Award, den Nebula Award und den Hugo Award. Zur Veröffentlichung ihres Deutschlanddebüts sprach Mur Lafferty mit diezukunft.de über das Podcasten, Schreibängste, „Das Sechste Erwachen“ und ihre Arbeit an der Romanfassung zu „Solo: A Star Wars Story“.


Foto @ JR Blackwell

Hallo Mur, danke, dass Sie sich für uns Zeit nehmen! „Das Sechste Erwachen“ wird Ihr Deutschlanddebüt sein. Viele deutsche SF-Fans hören vermutlich zum ersten mal von Ihnen. Möchten Sie sich daher selbst vorstellen?

Hallo, ich bin Mur. Ich lebe in Durham, North Carolina, USA. Ich bin Podcasterin und Autorin, und meine Bücher decken das gesamte Spektrum von humorvoller Urban Fantasy bis zum Science Fiction-Thriller ab. Ich liebe es zu Laufen, mag Computerspiele, Brettspiele und Hunde.

Am Anfang Ihrer Karriere schrieben Sie für verschiedene Rollenspiel-Verlage. Danach begannen Sie mit dem Podcasten. Während alle anderen die Möglichkeiten des Self-Publishing ausloteten, haben Sie angefangen, Essays und Geschichten zu vertonen und online zu stellen. Warum haben Sie mit dem Podcasten angefangen?

Ich fing mit dem Podcasten an, weil dieses Medium viele Möglichkeiten bot und damals, Anno 2004, zum Großteil unentdecktes Terrain war. Wir konnten neue Dinge ausprobieren, erfolgreich sein oder scheitern und dann wieder etwas Neues ausprobieren. Selbst Scheitern war ein Novum!

Ihr populärster Podcast ist „I Should Be Writing“, der seit 2005 läuft. In der Sendung reden Sie über die Freude und die Leiden des Autorenlebens. Müssen Sie nach all den Jahren beim Schreiben immer noch Herausforderungen meistern?

Ja, leider. Ich leide immer noch unter dem Hochstapler-Syndrom und bin davon überzeugt, dass jedes geschriebene Wort von mir Müll ist, ich bin darüber hinaus neidisch auf die Konkurrenz und befürchte, dass jedes Wort der Ablehnung persönlich gemeint ist. Was mich diese Erfahrungen gelehrt haben, ist, dass all diese Gefühle auf mein Gehirn zurückgehen, das versucht Ängste aufzuzeigen. Darum spreche ich über sie: Wenn ich diese Art von Angst habe, dann geht es anderen vielleicht genauso und ich kann ihnen sagen, das alles OK ist.

Wo wir gerade beim Thema Schreiben sind. Haben Sie Vorbilder? Vor allem solche, die phantastische Literatur verfassen?

Als Kind wurde ich motiviert durch Madeline L’Engle, Anne McCaffrey, und Ursula K. LeGuin. Als Erwachsene, die ihren eigenen Schreibstil entwickelte, fand ich vor allem Connie Willis, Agatha Christie, Neil Gaiman, und China Miéville inspirierend.

Sie schreiben als Autorin nicht nur alleine, sondern auch im Team. Eines Ihrer aktuellen Projekte ist „Bookburners“, bei dem Sie u. a. mit Max Gladstone zusammenarbeiten. Wie kann ich mir diese Zusammenarbeit vorstellen?

Es ist eine erstaunliche Erfahrung mit dem „Bookburners“-Team zusammen zu arbeiten. Wir treffen uns einmal im Jahr persönlich und reden über die kommende Staffel. Wir tüfteln die Geschichten aus, die Arcs für die verschiedenen Figuren, und entscheiden dann, wer welche Episoden schreibt. Zwischendurch führen wir Videogespräche und reden über das Konzept und erste Entwürfe, und jeder kann sagen, was funktioniert und was nicht. Es läuft immer professionell und freundlich ab, wir arbeiten wirklich gut zusammen.

Beim Blick auf Ihr Werk fällt mir auf, dass Sie sich bereits jedem Sub-Genre gewidmet haben. Da hätten wir u. a. eine Superhelden-Satire („Playing for Keeps“), einen Zombie-Podcast („The Takeover“) und eine Urban-Fantasyreihe („The Shambling Guide“-Serie). „Das Sechste Erwachen“ ist Ihr erster SF-Roman. Was mögen Sie so an der Phantastik?

An der Phantastik mag ich die Tatsache, dass man buchstäblich über alles schreiben kann, was man sich auch vorstellen kann. Fantasy, Science Fiction, Monster, abstruses Zeug, der Freiheit werden nur durch die eigenen Ideen Grenzen gesetzt. Man kann eine Geschichte erzählen über ein Land in der Zukunft mit einem schon lange toten Präsidenten, einer Vampirin als First Lady, Wohnen auf dem Mond, Ermittlungen in einem Mordfall. Ich weiß nicht, ob man sie verkaufen könnte, aber keine „Realitäts-Regeln“ könnte einen davon abhalten sie zu schreiben.

Können Sie uns etwas über die Entstehungsgeschichte des Romans erzählen? Was war Ihre Ausgangsidee für die Geschichte? Vielleicht der Mord im All?

Ich wollte schon lange eine Geschichte über ein Generationenschiff schreiben, das über die gesamte Reisezeit von einer Crew geflogen wird. Ich dachte über die Möglichkeit nach, das Klonen als lebensverlängernde Maßnahme darzustellen, anstatt die Menschen an Bord zu vervielfachen, und brachte beides zusammen.


Die Originalausgabe

„Das sechste Erwachen“ ist voller spannender, aktueller Themen (Klonen, KI, Gehirnscans). Das erfordert doch sicherlich jede Menge Recherche, oder?

Um die Wissenschaft des Schiffs zu verstehen, lernte ich einiges über Astronomie und Physik und las sehr viel Science Fiction. Auch das ein oder andere über das Klonen habe ich gelesen, doch das war eher „Wischi-Waschi-Wissenschaft“. Um ehrlich zu sein, war der schlimmste Moment der, in dem ich realisierte, dass ich dabei war einen Mysteryroman zu schreiben, ohne vorher viel aus dem Genre gelesen zu haben. Also las ich sehr viele Agahta Christie Romane und recherchierte, was sie zum Schreiben zu sagen hatte. Das war wirklich hilfreich.

Meinen Sie, dass einiges von dem Geschilderten bald Realität werden könnte? Immerhin können wir den Entwicklungen im Bereich der KI regelrecht zuschauen…

Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung! Ich bin schrecklich darin herauszufinden, wie Ereignisse ablaufen werden. Ich versuche bloß mich so gut es geht an sie anzupassen.

Die Geschichte spielt sich zum Großteil an Bord der „Dormire“ ab. Als Leser kriegen wir aber auch ein bisschen etwas von der Geschichte des Klonens und den ethischen Debatten auf der Erde und dem Mond mit. Gerade die Zeit, in der die ersten Klone auf der Bildfläche erscheinen, ist sehr spannend. Was war Ihnen an diesem Teil der Geschichte besonders wichtig?

Das Gesetz braucht sehr lange, um zu der sich sehr schnell weiterentwickelnden Technik aufzuschließen. In der Geschichte verursachten Menschen durch ihr Handeln Chaos, während das Klonen sich entwickelte. Sie haben sich selbst viele Male geklont, haben dabei jedes Mal viele Kinder gezeugt, die DNS manipuliert, Familien verunsichert, indem sie sich selbst als Erben einsetzten, und noch vieles mehr. Daher mussten die Menschen Regularien entwickeln, um den Frieden zu bewahren. Sobald die Regeln in Kraft traten, konnte ich entscheiden, wo unsere Klone sie gebrochen hatten.


Laffertys Podcast als Buch

Jedes Crewmitglied an Bord der „Dormire“ ist ein Verbrecher. Obwohl einige Mitglieder zutiefst unsympathisch sind, stechen Maria, Hiro und IAN positiv heraus. Sie sind klever, gewitzt und man muss sie einfach mögen. Was war Ihnen bei der Erschaffung Ihrer Helden besonders wichtig?

Ich habe versucht verschiedene Persönlichkeiten zu entwerfen, die durch Erfahrungen aus hunderten von Jahren geprägt wurden. Wenn man unsympathische Figuren entwirft, musst man auch Eigenheiten entwerfen, die sie sympathisch und zugänglich machen. Und man muss den sympathischen Figuren unsympathische Charakterzüge geben, ansonsten erscheinen sie nicht menschlich.

Mit einer Ausnahme hat jeder von ihnen mehrere Leben gelebt. Sie hatten Zeit, sich auszuprobieren und haben unfassbar viel erlebt. Dennoch fokussieren sich einige auf eine Profession, in der sie gut sind. Würden Sie gern mit ihnen die Plätze tauschen und noch einmal die Chance auf ein anderes Leben bekommen?

Nein, ich wollte immer Autorin sein und fühle mich momentan einfach nur glücklich!

„Das Sechste Erwachen“ ist ein wunderbar cineastisch erzählter Roman. Gibt es bereits irgendwelche Pläne für eine Verfilmung?

Noch nicht!

Momentan schreiben Sie die Romanfassung von „Solo: A Star Wars Story“. Wie kam es dazu? Ich vermute, dass es für jeden „Star Wars“-Fan eine Ehre ist, etwas zu dem Franchise beizutragen. Es muss aber auch eine sehr herausfordernde Erfahrung sein…

Meine Agentin kennt die Redakteurin der „Star Wars“-Bücher bei Del Ray und hat sie über mein Interesse an „Star Wars“ in Kenntnis gesetzt. Ich wurde engagiert ein paar Kurzgeschichten zu schreiben, die in dem Universum spielen. Sie mochten meine Arbeit und als sie einen Autor für „Solo“ brauchten, haben sie an mich gedacht. Es ist eine große – und auch beängstigende – Ehre. Das gute daran, an einer Welt von jemand anderem teilzuhaben, ist, dass zwischen einem selbst und der Veröffentlichung einige Leute stehen, die dabei helfen alles richtig zu machen. Sollte ich also L3-37 falsche Worte in den Mund legen oder eine subtile Andeutung im Film falsch interpretieren, wird es meiner Herausgeberin oder den Leuten von Lucasfilm auffallen.

Danke für das Interview und viel Glück bei den Preisverleihungen!

Danke euch!

Mur Lafferty: Das Sechste Erwachen • Aus dem Amerikanischen Bernhard Kempen • Wilhelm Heyne Verlag, München 2018 • 480 Seiten • E-Book: 8,99 € (im Shop)

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