1. August 2018

Der Geist in der Maschine

Copy/Paste: Fünf Geschichten von Bewusstseinen, die in Computer und andere Maschinen transferiert werden

Lesezeit: 6 min.

Bob Johansson ist reich. Und weil Bob Johansson außerdem ein Nerd ist, investiert er einen Teil der Summe, um nach seinem Tod sein Gehirn von CryoEterna Inc. bewahren zu lassen, damit es in der Zukunft wieder in einen neuen Körper transferiert werden kann. Allerdings konnte Bob nicht ahnen, dass sein Leben so schnell zu Ende sein würde: noch am selben Tag stirbt er bei einem Autounfall. Als er über hundert Jahre später wieder erwacht, hat sich nicht nur die Welt radikal verändert, auch diese Sache mit der Unsterblichkeit sieht ganz anders aus, als er sie sich vorgestellt hat: Bob hat nicht etwa einen neuen Körper bekommen, sondern einen Server. Der obendrein noch religiösen Fanatikern gehört, die jetzt über einen Teil der USA herrschen. Die gute Nachricht: Bob soll als KI einer Von-Neumann-Sonde das Universum erkunden. Klar sagt er zu, und nachdem er sich mit seiner neuen Existenz abgefunden hat, ist auch alles gar nicht so schlimm – zumindest so lange, wie feindliche Sonden und die Kopien seiner selbst ausreichend Abstand halten … Mit Bob hat Dennis E. Taylor einen der coolsten Helden aller Zeiten geschaffen, dessen Abenteuer man in „Ich bin viele“ (im ShopLeseprobe) nachlesen kann. Wem die 460 Seiten zu kurz sind: Hier sind fünf weitere Geschichten von (nicht immer menschlichen) Bewusstseinen, die in Maschinen hochgeladen wurden:

Rudy Rucker: „Software“

Cobb Anderson hatte die ersten Roboter gebaut, die über ein eigenes Bewusstsein verfügten, und freute sich, als sie revoltierten und auf dem Mond ihre eigene Gesellschaft errichteten. Dafür wollen sie sich nun bei ihrem Schöpfer revanchieren: Sie versprechen ihm Unsterblichkeit. Für einen siebzigjährigen Anarchisten kurz vor einer Herztransplantation ein verlockendes Angebot. Die Roboter haben Cobb allerdings darüber im Unklaren gelassen, was sie unter „Unsterblichkeit“ verstehen. Für sie zählt nur die Software: die persönlichen Erinnerungen, die Art des Denkens, das Ich-Bewusstsein. Schließlich ist es doch vollkommen unlogisch, dass jemand an diesem hinfälligen, ständig defekten Anhängsel aus kohlenstoffhaltigen Verbindungen hängen sollte …

Zwei Jahre vor William Gibsons „Neuromancer“ (im Shop) spielte Rudy Rucker mit jeder Menge Ideen rund um künstliche Intelligenzen: wenn eine Maschine ein Bewusstsein entwickelt, was unterscheidet sie dann noch vom Menschen? Und wenn umgekehrt ein Mensch zur Maschine wird?

Rudy Rucker: Software • Roman • Aus dem Amerikanischen von Karl Bracharz • Wilhelm Heyne Verlag, München 2014 • E-Book • € 6,99 • im Shop

 

Greg Egan: „Cyber-City“

In ferner Zukunft ist Unsterblichkeit nicht mehr unmöglich. Der menschliche Verstand kann gescannt und in eine künstliche Umgebung einprogrammiert werden. Das Ergebnis: Die „Kopien“, künstliche Menschen mit denselben Erinnerungen und Gefühlen wie ihre Vorbilder – jedoch abhängig von einem Computersystem. Paul Durham träumt von einer Zufluchtsstätte, einer Stadt für die „Kopien“, in der sie sicher und eigenständig leben können. Seine Vision könnte das ganze Universum verändern: Raum, Zeit, Materie und Evolution …

Rechenpower ist alles, wenn man etwas so komplexes wie ein menschliches Bewusstsein in eine Maschine übertragen und dort am Laufen halten will, deswegen ist Leistung hier alles: wer es sich leisten kann, kann sein Bewusstsein beinahe in Echtzeit in einer perfekten VR verpflanzen. Wer es sich nicht leisten kann, kommt in die virtuellen Slums und muss sich mit Verzögerungen und Glitches herumschlagen. Und dann ist da ja noch die „echte“ Welt, deren Ereignisse sich auf die virtuelle auswirken, sowie die Frage, inwiefern man ein Bewusstsein, das nur noch aus Zahlen besteht, hacken kann. Kurz: „Cyber-City“ hat einfach alles!

Greg Egan: Cyber-City • Roman • Aus dem australischen Englisch von Axel Merz und Jürgen Martin • Wilhelm Heyne Verlag, München 2016 • E-Book • € 4,99 • im Shop

 

Cory Doctorow: „Walkaway“

Die Walkaways sind Menschen, die die Nase voll haben. Während die Reichen immer noch reicher werden und alle anderen sich irgendwie durchs Leben schlagen, haben sie der Gesellschaft den Rücken gekehrt, sind in die Wildnis gezogen und haben dort eine Parallelgesellschaft aufgebaut, die nicht auf der Anhäufung von Kapital beruht. Jede Menge Technik, vor allem 3D-Drucker, die aus Müll so ziemlich alles herstellen können, ermöglichen sogar eine Walkaway-Universität. Dort erforschen Wissenschaftler die Möglichkeit, Gehirne zu scannen und sie in Computern zu speichern. Das würde jedem Unsterblichkeit ermöglichen, was den Superreichen nicht gefällt. Schneller, als ihnen lieb ist, müssen die Walkaways ihre neue Technologie testen, denn als die Universität angegriffen wird, kommt Disfunctional, eine der Wissenschaftlerinnen, zu Tode. Die Walkaways laden ihren letzten Gehirn-Scan hoch – doch ganz so einfach ist die Sache nicht, denn Dis‘ Bewusstsein muss sich erst an den Gedanken gewöhnen, keinen Körper mehr zu haben …

Neben vielen anderen genialen Ideen, denen Cory Doctorow in diesem Roman nachgeht, ist die des Bewusstseinsuploads die weitreichendste, zumindest, was seine Figuren betrifft. Die Schilderungen, wie ein Team aus Hackern, Wissenschaftlern und Freunden versucht, Dis‘ Persönlichkeit mit einer Mischung aus Algorithmen und Psychologie stabil zu halten, ist selbst für DAUs spannend zu lesen!

Cory Doctorow: Walkaway • Roman • Aus dem kanadischen Englisch von Jürgen Langowski • Wilhelm Heyne Verlag, München 2018 • Paperback • 736 Seiten • € 16,99 • im Shop

 

Ann Leckie: „Die Maschinen”

Einer der ungewöhnlichsten Geister, die jemals in eine Maschine geladen wurde, ist die Kämpferin Breq. Wenn wir ihr in „Die Maschinen“ zum ersten Mal begegnen, ist sie auf ein einzelnes Wesen beschränkt. Doch einst war sie so viel mehr als das: sie war ein ganzes Schiff! Die Gerechtigkeit der Torren ist ein Truppentransporter/Landungsschiff der Radchaai, das ganze Planeten im Handstreich erobern kann, weil eine zentrale KI die Truppenbewegungen kontrolliert. Diese Truppen bestehen unter anderem aus den sogenannten Hilfseinheiten, die auf ziemlich grausame Weise rekrutiert werden. Jede dieser Einheiten ist jederzeit mit allen anderen ebenso verbunden wie mit dem Schiffscomputer. Als die Gerechtigkeit der Torren bei einer Annexion in eine Intrige um die Herrscherin des Imperiums hineingezogen und zerstört wird, schafft sie es gerade noch so, sich in eine einzelne Hilfseinheit zu retten: Breq. Die muss sich fortan nicht nur in einem ihr feindlich gesonnenen Universum durchs Leben schlagen, sondern sich auch irgendwie damit abfinden, dass sie kein alles sehendes, alles hörendes Raumschiff mehr ist …

„Die Maschinen“ sollte man aus verschiedenen Gründen gelesen haben, und einer davon ist Ann Leckies Umgang mit dem Thema KI und Bewusstseinsupload. Die „Phantomschmerzen“, die Breq hat, weil ihre Wahrnehmung plötzlich darauf beschränkt wird, was wir als normal erachten würden, sind beinahe fühlbar – selbst für unseren bescheidenen Verstand!

Ann Leckie: Die Maschinen. Die Imperial-Radch-Trilogie, Band 1 • Roman • Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen • Wilhelm Heyne Verlag, München 2015 • E-Book • € 11,99 • im ShopReviewEssay des Übersetzers zu „Die Maschinen“

 

Harlan Ellison: „Zauberhafte Maggie Moneyeyes“

Strenggenommen passt „Zauberhafte Maggie Moneyeyes“ nicht in diese Liste, weil sie ein Geist ist, der einen Spielautomaten heimsucht, und kein in einen Computer hochgeladenes Bewusstsein. Trotzdem kommt man an Maggie nicht vorbei, wenn man über Geister in Maschinen schreibt. Kostner hat am Blackjack-Tisch in Vegas alles verspielt – bis auf seinen letzten Dollar. Weil sein Leben ohnehin keinen Sinn mehr hat, seit ihn die Liebe seines Lebens verlassen hat, steckt er ihn in einen Spielautomaten – und gewinnt den Jackpot. Und wieder. Und wieder. Und immer sieht er dabei diese unwahrscheinlich blauen Augen, die Maggie gehören, einer Schönheit, die längst tot ist …

Maggie Moneyeyes war zu Lebzeiten eine Prostituierte, die mit ihrem Freund/Zuhälter nach Las Vegas kam, um das schnelle Geld zu machen, dann aber sehr viel länger in der „Stadt der Sünde“ blieb, als ursprünglich gedacht. Bereits damals war sie in einem gewissen Sinne eine Maschine. Und sie verlangt bis heute einen hohen Preis für ihre Dienste.

Harlan Ellison: Zauberhafte Maggie Moneyeys • Erzählung • Aus dem Amerikanischen von Alfred Scholz • Wilhelm Heyne Verlag, München 2014 • E-Book • € 1,99 • im Shop • auch enthalten in „Ich muss schreien und habe keinen Mund“ (im Shop)

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