13. August 2018 5 Likes

Der Science-Fiction-Sommer

Niemand weiß, wie es den Kindern des Klimawandels einmal ergehen wird

Lesezeit: 5 min.

Ich schreibe diese Zeilen an einem kleinen beschaulichen See mitten in den Alpen. Die Sonne strahlt vom tiefblauen Himmel, ein sanfter Wind weht von den Bergen hinunter, Kinder springen fröhlich kreischend in das kühle Wasser. Urlaub. Es könnte kaum schöner sein, lägen da nicht all diese Zeitschriften und Magazine um mich herum, die ich mir (eine alte Angewohnheit) kurz vor der Abreise gekauft habe und die, als hätten sie sich verschworen, ein veritables Kontrastprogramm zu unserer Ferienidylle bieten.

Im Nachrichtenmagazin etwa ist vom „Dürresommer“ und „meteorologischen Ausnahmezustand“ in Europa zu lesen, von Waldbränden, Ernteausfällen und Notfalleinsätzen. Die populärwissenschaftliche Zeitschrift beschäftigt sich mit der Frage, wie extrem das Wetter denn noch werden kann und was das für unsere hochtechnisierte Infrastruktur bedeutet. Das philosophische Magazin macht sich Gedanken darüber, wie man es ethisch verorten kann, wenn man das Klima schädigt, und ob Ethik überhaupt der passende Begriff ist. Und allerorten ist von einer aktuellen Studie die Rede, die für den Planeten Erde eine „Heißzeit“ prognostiziert …

Zugegeben, so richtig neu ist dieses Kontrastprogramm nicht. Im Gegenteil fühlt es sich inzwischen so an, als wären wir in einer Art Zeitschleife gelandet. Der wievielte „Jahrhundertsommer“ ist das jetzt schon? Zum wievielten Mal sind wir mit dramatischen Hitzerekorden konfrontiert? Seit wann reiht sich nun schon das jeweils heißeste Jahr an das andere? Und läuten diese medialen Alarmglocken nicht schon so lange, dass wir sie gar nicht mehr als alarmierend empfinden?

Die Erinnerung trügt oft, vielleicht ist es da hilfreich, für einen Moment innezuhalten und zu rekapitulieren: Genau dreißig Jahre ist es jetzt her, dass James Hansen, der damals für die NASA arbeitete, den Zusammenhang zwischen dem vom Menschen bewerkstelligten Ausstoß von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen einerseits und dem Anstieg der globalen Mitteltemperatur andererseits erstmals in der breiten Öffentlichkeit thematisierte. Seither hat sich ein zäher politischer Prozess in Gang gesetzt, der das Ziel hat, diesen Ausstoß zu reduzieren – mit, wie man weiß, sehr überschaubarem Erfolg, denn im Thema Klimawandel bündelt sich so ziemlich alles, was internationale Politik kompliziert macht. Fast wichtiger aber ist: Seither tobt ein wissenschaftlicher und politischer Streit um dieses Thema, bei dem sich die Attribute „wissenschaftlich“ und „politisch“ auf so bizarre Weise miteinander vermischt haben, dass trotz unzähliger Evidenzen und tatsächlicher Vorkommnisse (vulgo: Katastrophen) politische Bewegungen stark wurden, deren Absicht es ist, die Evidenzen und Vorkommnisse zu ignorieren. Weil sie nicht ins ideologische Bild passen. Weil sie vor allem die berühmten „Anderen“ betreffen. Weil es ein großer Teil des heimischen Publikums leid ist, ständig mit diesem Thema belästigt zu werden. Weil nicht sein soll, was nicht sein darf. Und so hängen wir in der Zeitschleife fest. Und das recht gut gelaunt, schließlich ist es doch so schön kühl hier an diesem See in den Bergen. Klimawandel? Katastrophen? Nicht da, wo wir gerade sind.

Und doch: Etwas scheint anders in diesem „Dürresommer“ des Jahres 2018. Ein neuer Sound ist in den einschlägigen Artikeln vernehmbar, der offenbar therapeutisch wirken soll: Der Klimawandel ist von einem A-priori- zu einem A-posteriori-Sachverhalt geworden. Aus „Das Klima ändert sich, weil bestimmte Menschen auf eine bestimmte Art und Weise wirtschaften“ wurde „Das Klima ändert sich, weil es den Klimawandel gibt“. Wir haben es nicht mehr mit einer politischen Krise zu tun, die man so oder so lösen könnte, sondern mit einer gesellschaftlichen Realität, der man sich zu stellen hat. Selten ist in den Artikeln überhaupt noch vom Kohlendioxid-Ausstoß die Rede, kaum noch vom Pariser Klimaabkommen, praktisch gar nicht mehr vom Zwei-Grad-Ziel. Sehr viel dagegen liest man von „Anpassung“, davon, dass wir uns „alle umstellen müssen“ und dass es dabei „kein Tabu geben darf“. Auch das Wort „Klimaschutz“ bedeutet nun etwas anderes: nicht mehr den Schutz des Klimas, sondern den Schutz vor dem Klima.

Mit anderen Worten: Der Klimawandel hat sich in ein Science-Fiction-Ereignis verwandelt.

Allerdings kein Science-Fiction-Ereignis vom Typ „Roboter räumen meine Wohnung auf“ oder „Die künstliche Intelligenz führt Böses im Schilde“, sondern ein Science-Fiction-Ereignis im holistischen, also eigentlichen Sinn: Die Bühne, auf der das Menschheitsstück in den letzten zehn Jahrtausenden gespielt wurde, beginnt sich zu verändern. Der einigermaßen stabile geoökologische Raum jenes Zeitabschnitts, den wir „Holozän“ nennen und in dem sich unsere Zivilisation mit all ihren großen und kleinen Dramen entfaltet hat, gerät in Bewegung, nicht nur an einigen exponierten Stellen, sondern als Raum insgesamt.

Das ist etwas, womit wir nicht gelernt haben umzugehen, denn seit Menschengedenken nehmen wir diese Bühne als gegeben und für unsere Zwecke beliebig manipulierbar wahr. Immerhin waren wir die Hauptfiguren in unserem Stück, und wenn sich plötzlich die Kulissen, das Dekor, ja das ganze Theater ebenfalls als Hauptfiguren erweisen, wenn wir also zu ahnen beginnen, dass „Mensch“ und „Welt“ untrennbar miteinander verbunden sind (wie es die Science-Fiction schon immer geahnt hat), dann setzt ein gigantischer kollektiver Verdrängungsprozess ein – dann machen wir es uns recht gut gelaunt in einer Zeitschleife gemütlich.

Und da bin ich also: an einem kleinen beschaulichen See in den Alpen, während die Welt „irgendwo dort draußen“ ins Rutschen gerät. Wenn man darüber nachdenkt, ist es eine einigermaßen gespenstische Situation, aber es zwingt einen ja niemand, darüber nachzudenken. Man muss diese ganzen Zeitschriften und Magazine ja nicht lesen, man kann sich entspannt zurücklehnen, die Sonne genießen und dem fröhlichen Kreischen der Kinder zuhören, die …

… einmal auf diese gespenstische Zeit zurückblicken werden, auf uns, die heutigen Erwachsenen, auf unsere Art zu leben, auf unsere „Normalität“. Die Kinder, die einmal in einer Welt leben werden, von der man mit Sicherheit sagen kann, dass man darüber nichts mit Sicherheit sagen kann. Denn das ist die ultimative Science-Fiction-Pointe: Die Zukunft, in der diese Kinder leben werden, liegt jenseits unseres Vorstellungsvermögens – und trotzdem sind wir es, die diese Zukunft definieren.

Werden diese Kinder einmal voller Wut auf uns zurückblicken? Vielleicht. Vielleicht werden sie aber auch nur erstaunt darüber sein, was wir in unserer Zeit so gedacht und getan haben. Vielleicht werden sie unsere Zeit lediglich mit einem Achselzucken bedenken, weil sie andere, wichtigere Dinge zu tun haben werden. Oder vielleicht werden sie auch gar keinen Gedanken an uns verschwenden. Was völlig angemessen wäre.

Wir verschwenden ja auch keinen Gedanken an sie.

 

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