12. September 2019

Neubewertung

Auch der James Tiptree, Jr. Award wird umbenannt

Lesezeit: 2 min.

Jeder kennt vermutlich das Problem aus seiner eigenen Heimatstadt: Straßen- oder Schulnamen werden geändert, weil Dinge aus der Vergangenheit des Namengebers ans Licht kamen, die vorher eher unbekannt waren oder denen meist Jahrzehnte später eine andere Bedeutung zugemessen werden, weil sich die gesellschaftliche Wahrnehmung dieser Dinge verändert hat. Meist wird noch der Gegenwert in die Waagschale geworfen (also der Grund, warum die Person überhaupt zum Namensgeber wurde), aber oft möchte man den Makel loswerden, die Diskussion beenden und kommt dem Wunsch nach Änderung nach.

In jüngster Zeit hat sich auch die fantastische Gemeinde von großen Namen getrennt. Die Gewinner des World Fantasy Awards bekommen keine Büste mit dem Konterfei von H.P. Lovecraft mehr, und der John W. Campbell Award wurde in Astounding Award umgetauft. Campbell und Lovecraft hatten zu Lebzeiten Meinungen geäußert – und nicht nur einmal–, die heute allgemein als rassistisch bezeichnet werden.

Nun soll auch der James Tiptree, Jr. Literary Award umbenannt werden.

Als ich die Diskussion vor ein paar Tagen zum ersten Mal aus den Augenwinkeln wahrnahm, war mein erster Gedanke: Da stört bestimmt jemanden, dass die Autorin Alice Sheldon sich zehn Jahre hinter einem männlichen Pseudonym versteckt hat und dieser männliche Name nun auch noch einen Preis verziert, der sich ausdrücklich fortschrittlichen Gender-Themen in der SF verschrieben hat.

Aber der eigentliche Grund ist mindestens ebenso banal und gleichzeitig hochkompliziert. Sheldon hatte nämlich 1987 ihren durch Krankheit schwerbehindert gewordenen Mann getötet und sich anschließend selbst das Leben genommen. Von einem verabredeten Selbstmordpakt war die Rede. Das ist ein sensibles, schwieriges Thema, keine Frage. Und eins, das man wohl auch nicht abschließend klären kann.

Mehrere Tage hat man sich im Komitee des Preises die Köpfe heißgeredet, nun will man auf die Stimmen hören, die Sheldons Tat als Mord an einem Behinderten bezeichnen. Das Komitee hat gestern, am 11. September, erklärt, dass man den Preis nicht unter dem existierenden Namen weiterverleihen wird. Man bereite einen längeren Text vor und werde in den nächsten vier Wochen mitteilen, wie es weitergeht.

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.