8. November 2019 2 Likes

Muss man das Sehen?

Die erste große Apple-Serie „See“ lädt zu Wortspielen ein

Lesezeit: 3 min.

Es war natürlich abzusehen, das Apple zum Start seines TV-Abenteuers nicht kleckert, sondern klotzt. Eine kleine, intime Serie hätte nicht zu den Ansprüchen des Mega-Konzerns gepasst, der sich mit schier unbegrenzten finanziellen Mitteln in das stürzt, was schon jetzt als Streaming-Wars in die Geschichte eingeht.

Um die Hoheit über das Sehverhalten möglichst vieler Menschen geht es Apple, Disney, Warner und dem bisherigen Platzhirsch Netflix und so heißt die erste große Apple-Serie dann sinnigerweise auch schlicht und einfach „See“. Was sich schon auf den zweiten Blick als etwas weniger einfach erweist, denn die Dystopie der Serie ist zwar eine, in der die Menschheit nach allzu vielen Umweltkatastrophen auf wenige Millionen reduziert ist und vor allem blind geworden ist. Doch sehen bedeutet eben auch und hier vor allem: Erkennen.

Nicht nur ein, sondern gleich zwei Propheten werden dann auch gleich in der ersten Folge geboren und vom Clan-Anführer Baba Voss (Jason Mamoa) gerettet. Diese Zwillings-Kinder haben eine seltene, seit Jahrhunderten unbekannte Gabe: Sie können Sehen. Wie die anderen Menschen dies erkennen ist eine der vielen Fragen über Sinn und Logik des ganzen Unterfangens, die man sich fortwährend stellt und dafür sorgen, dass „See“ zumindest in den ersten drei Folgen ständig zwischen unterhaltsam bis eindrucksvoll und merkwürdig bis doof changiert.


Sylvia Hoeks in „See“


Archie Madekwe in „See“

Merkwürdig ist etwa, dass die verbleibenden Menschen sich in einer Art zurückentwickelt haben, die bestenfalls an die Steinzeit erinnert, schlimmstenfalls an „Game of Thrones“, die Mega-Serie, die deutliches Vorbild ist. In Hütten leben die Stämme, beherrschen dennoch das Feuer, Brandwunden hat aber niemand und auch die Kleidung ist zwar rustikal, aber von solch rustikalem Schick, das sie heutzutage als ländliche Mode durchgehen würde. Wie diese Menschen überleben, wovon sie leben, wie es ihnen gelingt, so viel Kalorien zu produzieren, dass Jason Mamoa zu seiner stattlichen Statur kommt, all das und mehr bleibt ein Rätsel.

Man tut also gut daran, das Gehirn ein wenig auszuruhen, allerdings nicht zu sehr, denn die von Steven Knight geschriebene und von Francis Lawrence inszenierte Serie rast anfangs geradezu dahin. Hexen und Sklavenhändler kommen vor, Stammesfehden, und man begreift schnell, dass das Sehen nicht nur verloren, sondern sogar das Sprechen darüber verboten war, die beiden Kinder, die schon in der dritten Folge zu Teenagern herangewachsen sind (gespielt von Archie Madekwe und Nesta Cooper) und die – man frage nicht wie – in Kürze lesen gelernt haben. Denn in einer Kiste bewahrte die Gemeinschaft seltsame Dinge auf, die der Legende nach das Wissen der untergegangenen Ahnen beinhaltet: Bücher! Doch Wissen kann nicht nur zum Guten verwendet werden, es birgt auch Gefahren, kann missbraucht werden.

Und in diese Richtung scheint sich die Handlung zu entwickeln, scheint die Zwillinge als Antagonisten aufzubauen, die um die Hoheit über das Wissen und der Erkenntnis und damit die Herzen und Hirne der Menschen kämpfen. Möglicherweise lohnt es sich also, ein wenig Geduld mit „See“ zu haben, den Qualitäten von Knight zu trauen, der ja immerhin eine Serie wie „Peaky Blinders“ zu Stande gebracht hat und vor allem einen modernen Klassiker wie „Tödliche Versprechen – Eastern Promises.“ Apple jedenfalls hat Vertrauen in die Macher: Eine zweite Staffel ist schon in Planung.

Abb.: Apple TV+

See - Reich der Blinden • USA 2019 • Regie: Francis Lawrence • Autor: Steven Knight • Darsteller: Jason Momoa, Alfre Woodard, Hera Hilmar, Sylvia Hoeks, Christian Camargo, Archie Madekwe, Nesta Cooper • ab sofort bei Apple TV+

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