29. Juni 2020

Autobahnotter bieten Waren feil

Ein Rückblick auf Ostern 2020 – und eine Prognose

Lesezeit: 4 min.

Während wir – es war in tiefsten Seuchenzeiten – die leeren Tonnen der Tage durch den April rollten, war es plötzlich Ostern geworden. Die Kinder (21, 25, 26) hatten tags zuvor die Ostereier bemalt: mit Odo, dem Osterhai, Olga, dem Osterfaultier, und Frau Klimek, der Osterputzfrau. Nun hatten sie mir aufgeregt und voller Vorfreude, was ich denn finden würde, beim Geschenkeentdecken im Wohnzimmer zugesehen. Wir hatten den Festbraten vom Bürgermeisterstück verspeist und saßen im Garten, wo, als wäre nichts gewesen, die Sonne schien.

Lasst uns was spielen!, rief meine Tochter. Aber was? Stadt-Land-Fluss, ward entschieden, wenn auch mit leicht verwandelten Kategorien: Gründe, an der Autobahn anzuhalten; Fiktiver Charakter; Instrumente, die keine sind; Scheidungsgrund, Kosenamen, Wolkenformationen. In den Wolken sah meine Tochter meist etwas Pflanzliches: einen Kaktus oder Rhabarber, mein Sohn den Papst, dem hatten wir am Mittag im TV zugeschaut.

Bei „Instrumente, die keine sind“ gingen „Lerche“, „Oropax“, „Rhabarber“ und „Fieberthermometer“ anstandslos durch; Diskussion gab es bei „Folterinstrument“, das zwar keineswegs ein Musikinstrument ist, aber durchaus, wie der Name schon sagt, ein Instrument. Schwierig.

Als Scheidungsgründe hatte meine Tochter unter anderem notiert: „Papagei entdeckt Fremdgehen und krächzt es lauthals hinaus!“ Dann musste sie niesen, sie hat Heuschnupfen. Aus dem Nachbargarten lief ein Kind, wie alle Kinder in Eile, vorbei, ein vielleicht fünfjähriger, aber nobel gekleideter Knirps (Linkshänder).

Hallo!, riefen wir.

Hallo!, rief der Knabe.

Frohe Ostern!, riefen wir.

Frohe Ostern!, rief der Knabe.

Hast du denn auch etwas zu Ostern bekommen?, riefen wir.

Ja!, rief der Knabe.

Dann war er wieder wusch weg. Die Jugend hat immer Eile.

Der Freund meiner Tochter notierte in der Rubrik „Gründe, an der Autobahn anzuhalten“: Ottern, die Muscheln verkaufen. Mein Sohn nickte. Genau. Otter, die etwas Verschlagenes haben. Eine Sonnenbrille auf und eine kriminelle Vergangenheit. Wenn sie Muscheln verkaufen, dann nicht nur so, sie waschen Geld.

Der Freund meiner Tochter sagte: Ich dachte eher an ganz normale Otter in einer ganz normalen Holzhütte an der Autobahn mit einem Schild, handgeschrieben: „Muscheln. Drei Euro“.

Mein Sohn schüttelte den Kopf. Nein, unbedingt Otter mit Sonnenbrillen. Das ist ganz und gar nicht normal, man weiß sofort: Da ist doch was im Busch!

Was hast du denn bei „Grund, an der Autobahn anzuhalten“?, versuchte der Freund meiner Tochter abzulenken.

Opulente Fee, sagte der Bruder der Freundin des Freundes meiner Tochter.

Opulente Fee? Du wolltest schreiben: Korpulente Fee!, sagte der Freund meiner Tochter.

Nein, sagte mein Sohn. Eigentlich wollte ich schreiben: Jungfräuliches Küken. Das passt aber nicht zu „o“.

Verstehe, sagte der Freund meiner Tochter. Der Freund meiner Tochter arbeitet im Archäologischen Park Xanten (was von „ad sanctos“ kommt: „bei den Heiligen“) als Gästeführer. Jeden Morgen trifft er sich zu einem Dienstgespräch mit seinen Kolleginnen und Kollegen, da denken sie sich neue, lustige Geschichten aus und erzählen sie denn den geführten Gästen. Buchungen über den Park direkt – oder über mich (ich bekomme 5 Prozent). Jedenfalls, seine Mutter ist gelernte Berberprinzessin, behauptet er. Sie habe, bevor sie ihn zur Welt brachte, eine Mamelukenstreitmacht geführt, wohin, weiß man nicht. Mit ihm an der Brust, musste sie diesen Beruf aber aufgeben. Diese Anekdote erzählt er gerne, wenn er Gäste durch den Archäologischen Park Xanten führt.

Meine Tochter hatte inzwischen ihre Freundin Claudia angewhatsappt und gefragt, ob sie ein Bild malen könnte: Otter, die am Rand der Autobahn Muscheln verkaufen?

Sie schrieb zurück: Ja. Cool und lässig, ganz so, als hätte sie ihr Lebtag lang (sie ist so alt wie meine Tochter) nichts anderes gemalt als Otter, die auf den Standstreifen der Autobahn eine Bretterbude aufgebaut haben, um dort Muscheln zu verkaufen.

Als wir später beim Kuchen saßen, den der Freund meiner Tochter gebacken hatte, und wir den Kuchen lobten, verriet er uns: Kuchen muss man vor allem mit Liebe backen und mit Butter.

Und so wurde es insgesamt noch eine besinnliche Osterfeier fast wie in jedem Jahr.

Ach ja, es geht doch nichts über Ostern. Nicht umsonst wird es seit vielen Jahren gefeiert. Manche Feste und Feiertage, gestehen wir es freimütig, werden dagegen heute ohne großes Zinnober begangen, wenn überhaupt: Am 2. Januar ist Waldmännchentag, zugleich in den dafür gepriesenen USA der Nationale Science-Fiction-Tag (zugleich Isaac Asimovs Geburtstag). Den Waldmännchentag feiert man zuvörderst in der hessisch-thüringischen Grenzregion, zudem in Hainich und im Eichsfeld, den Science-Fiction-Tag landesweit. Der 18. Januar gilt als Winnie-der-Pooh-Tag, der 21. April als Tag des Tees (wo? In Groß-Britannien! Wo sonst?). Am 8. Juni gedenkt man des Geburtstags von Perry Rhodan, tags darauf ist das Wiegenfest von Donald Duck. Der 29. August ist der Tag des 29. Augustes, und der 1. Oktober in Deutschland der Tag des Kaffees (nimm das, Tee-Britannien!).

Meine Prognose: Auch in den kommenden Jahren wird wieder Ostern gefeiert. Und, wer weiß, der Tag des frischemuschelfeilbietenden Autobahnotters.

 

Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist. Alle Kolumnen von Hartmut Kasper finden Sie hier.

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