21. September 2020 2 Likes

„Quantenträume“: Eine SF-Anthologie aus China

Storys von Autoren mehrerer Generationen zum Thema künstliche Intelligenz

Lesezeit: 3 min.

Vor ein paar Jahren waren die Werke chinesischer Science-Fiction-Autoren im Rest der Welt praktisch nicht existent. Dann kam der Erfolg von Cixin Lius „Trisolaris“-Trilogie um „Die drei Sonnen“ (im Shop), deren Adaption als Netflix-Projekt durch die „Game of Thrones“-Fernsehserienmacher gerade erst angekündigt wurde, und plötzlich ist Zukunftsliteratur aus China ein weltweiter Exportschlager. Umso passender, dass Cixin Liu das Vorwort zu Quantenträume“ (im Shop) geschrieben hat, einer exklusiv für Heyne zusammengestellten Anthologie mit SF-Erzählungen rund um künstliche Intelligenz, geschrieben von chinesischen Genre-Autoren aus mehreren Generationen – der alten Garde um Wang Jinkang, den jungen, preisgekrönten und international bekannten Erfolgsautoren um Hao Jingfang oder Qiufan Chen (im Shop), aber auch nachrückenden Talenten. Als Herausgeber des Bandes fungieren die seit Jahren zwischen ihrem Geburtsland China und ihrem Heimatland Deutschland vermittelnde Literaturwissenschaftlerin, Übersetzerin und Kulturberaterin Dr. Jing Bartz sowie Shi Zhanjun, der Chefredakteur der renommierten chinesischen Literaturzeitschrift „Volksliteratur“.

Sie haben Geschichten chinesischer Autoren ausgewählt, die zwischen 2000 und 2019 in Anthologien und Magazinen veröffentlicht wurden. Alle haben gemein, dass sie sich mit künstlicher Intelligenz und künstlich erschaffenem Leben beschäftigen, absoluten Fokusthemen unserer Gegenwart und noch mehr, unserer Zukunft. In den Storys in „Quantenträume“ gibt es Supercomputer mit einem Blick auf die menschengemachte Endzeit, eine AR-Gerichtsverhandlung um die vermeintliche Seele, Persönlichkeit und Gerichtbarkeit einer sprechenden Fußbadewanne, eine allem Anschein nach ziemlich mörderische Roboterhaushälterin auf einer Insel und eine junge Frau, die in einem Online-Game menschliche und digitale Liebhaber becircen muss, ohne zu wissen, wer was ist. Darüber hinaus geht es um Menschen, die nach Unfällen künstliche Ersatzkörper erhalten, die auf technologisch erzeugte Doppelgänger und digitale Assistenten setzen – und selbst Roboter, die den Buddhismus für sich entdecken.

Bei Anthologien ist das mit den Glanzlichtern und Gurken ja immer so eine Sache, aber um mal ein paar subjektive Favoriten aus „Quantenträume“ zu nennen: Fei Daos Science-Fiction-Märchen über einen König und dessen Geschichten erzählenden Roboter, das einen hinreißenden Meta-Kniff hat, ist absolut wunderbar. Luo Longxiangs satirische Story über eine Gruppe Roboter auf den Uranus-Trabanten Titania, die dort in der Ruhesaison ein Hotel für Erdenmenschen umbauen und perfektionieren wollen und dabei komplett übers Ziel hinausschießen, kommt auf die beste Weise oldschool und überzogen daher. Liu Weiijas Story über einen Roboter, der eine postapokalyptischen Welt mit einer Mission durchquert, die ihn in die Wüste, in den Krieg und letztlich zu einer bitteren Erkenntnis führt, ist gleichermaßen packend wie einfühlsam. Baoshu, der Cixin Lius „Trisolaris“-Trilogie mit einem Roman fortsetzen durfte, glänzt mit den Erlebnissen eines Nano-Cyborg-Gestaltwandler-Mädchens, das erst in der Tiefsee und dann auf der postapokalyptischen Erde ohne Ozeane unterwegs ist. Und A Que beschwört in einer Krimi-Story, in der ein Roboter als Hauptverdächtiger gilt, massig Hardboiled-Stimmung, wenn nicht gar ein bisschen „Blade Runner“-Atmosphäre.

Ob Science-Fiction aus China ein Dauergast auf dem westlichen Markt bleiben wird, muss sich herausstellen – im Moment bereichern die Werke chinesischer Autoren die Programme der Verlage jedoch ungemein. Auch „Quantenträume“ ist eine sehr ordentliche SF-Anthologie zum topaktuellen Thema künstliche Intelligenz, die mit locker einem halben Dutzend echter Genre-Highlights aufwarten kann, und ein Schauraum für die Kollegen von Cixin Liu und die Zukunftsliteratur aus China.

Jing Bartz & Shi Zhanjun (Hrsg.): Quantenträume. Erzählungen aus China über künstliche Intelligenz • Heyne, München 2020 • 512 Seiten • E-Book: 12,99 Euro (im Shop)

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