29. Oktober 2022 3 Likes

Von Hexen, Monstern und Gespenstern

Neue und alt bewährte Schauerliteratur von Roald Dahl, Pénélope Bagieu, Drew Weing, Kai Mayer und Jonathan Stroud

Lesezeit: 6 min.

Süßes oder es gibt Saures? Egal ob die Jüngeren zu Halloween um die Häuser ziehen oder nicht, gute Grusellektüre daheim zu haben schadet nie. Viereinhalb Tipps für den schaurigsten Tag des Jahres und nasskalte Herbstabende.

 

Mäuse auf dem Hexenkongress

Es gibt Klassiker und Held:innen, die man nicht mehr vorstellen muss. Roald Dahls (im Shop) Figuren gehören zweifellos dazu. Dank Penguin Junior kommt nun eine neue Generation in den Genuss fantastischer Geschichten wie „Charlie und die Schokoladenfabrik“, „Matilda“ oder „James und der Riesenpfirsich“ – als wundervoll aufgemachte und von Quentin Blake illustrierte Hardcover. Mit dazu gehört auch Hexen hexen“ (im Shop), neu übersetzt vom preisgekrönten Kinderbuchautor Andreas Steinhöfel („Rico und Oskar“-Reihe, Carlsen). Die Geschichte aus dem Jahr 1983 ist natürlich die gleiche geblieben und hat nichts von ihrem Charme verloren. Im Mittelpunkt steht ein namenloser Ich-Erzähler, der von seinen Begegnungen mit Hexen berichtet. Besonders verhängnisvoll ist dabei der Hexenkongress, dem der Junge aus Versehen im Urlaub beiwohnt. Dort erfährt er alles über den perfiden Plan der äußerst grantigen, kinderhassenden, glatzköpfigen Damen, mit einer Tinktur alle Kinder Großbritanniens in Mäuse zu verwandeln. Ein Schicksal, das auch ihn ereilt und zum Kampf gegen die übermächtigen Magierinnen anstachelt. Übrigens: Wer Dahls zeitlosen Roman auf eine wunderbare Art neu entdecken möchte, kann auch zur Comicadaption der „Eisner“-Gewinnerin Pénélope Bagieu („Unerschrocken“, Reprodukt) greifen. Ein wirklich schönes Leseerlebnis!

Roald Dahl: Hexen hexen • Aus dem Englischen von Andreas Steinhöfel • Penguin Junior, München 2022 • 225 Seiten • € 18,00 • Empfohlen ab 8 Jahren • im Shop

Roald Dahl, Pénélope Bagieu: Hexen hexen • Aus dem Französischen von Silv Bannenberg • Reprodukt, Berlin 2020 • 320 Seiten • € 18,00 • Empfohlen ab 9 Jahren

 

Die Monstervermittlerin im Einsatz

Wovor hat jedes Kind Angst? Natürlich vor den Monstern im Kinderzimmer: unterm Bett, im Schrank, hinter dem Vorhang. Gefühlt sind sie überall ‒ und zum Glück nur Einbildung. Die Monster in Drew Weings Webcomic „The Creepy Case Files of Margo Maloo“ sind hingegen quicklebendig. Doch alles der Reihe nach. Es beginnt mit einem Umzug. Und wer als Kind schon einmal umgezogen ist, der weiß: Umzüge können richtig doof sein. Vor allem dann, wenn die Freunde nicht mit umziehen und es vom Land in die Stadt geht. Genauso ergeht es Charles. Weil sein Vater den Auftrag erhalten hat, in Echo City ein altes Hotel umzubauen, wohnt die Familie nun genau dort. Und das Gemäuer ist so heruntergekommen, wie man es sich kaum vorstellen kann. In der ersten Nacht bekommt Charles dann auch ungebetenen Besuch von einem Monster. Oder hat er sich das alles nur eingebildet? Nachbarsjunge Kevin weiß Rat: Einfach Margo Maloo anrufen, die löst das Problem schon. Für Hobbyjournalist Charles ist das der Auftakt zu monströsen Abenteuern. Drew Weings Monsterspaß ist farbenfroh, wenn auch nicht knallig bunt. Inzwischen ist sein Webcomic auch gedruckt zu haben. Hierzulande sind bei Reprodukt bereits drei Bände von „Die geheimnisvollen Akten von Margo Maloo“ als hübsche Hardcover im klassischen Hochformat erschienen. Doch die Form ist Nebensache, was zählt ist der Inhalt – und der ist erstklassig: Die Reihe ist ein herrlich schräger Gruselspaß voller sammelwütiger Trolle, einsamer Geister und verschreckter Kobolde. Da freuen sich Monsterfans doch jetzt schon auf mehr schaurig schöne Schreckensgestalten ‒ denn jeder Band hat neue Wesen an Bord, die den armen Charles zum Fressen gern haben.

Drew Weing: Die geheimnisvollen Akten von Margo Maloo 1 • Aus dem Englischen von Matthias Wieland • Reprodukt, Berlin 2020 • 72 Seiten • € 18,00 • Empfohlen ab 8 Jahren

 

Willkommen in der Geisterapokalypse

Kurze Frage zwischendurch: Was ist der Inbegriff der Schauerliteratur? Dämonen? Vampire? Zombies? Alle haben ihre Daseinsberechtigung. Aber bei so einer richtig schönen Geistergeschichte, sagt doch niemand „nein“. Genau so eine hat Kai Meyer bereits 2014 veröffentlicht: „Phantasmen“ ist seine Interpretation der wabernden Schemen ‒ und eine echt gute Halloweenlektüre. Wer den Roman damals verpasst hat, kann nun zur werkgetreuen Comicadaption von Jurek Malottke greifen, die die gruselige Stimmung perfekt einfängt. Worum geht es? Die traumatisierte Rain und ihre jüngere Schwester Emma sind in die Wüste von Tabernas gereist. Drei Jahre zuvor sind hier ihre Eltern bei einem Flugzeugabsturz gestorben. In wenigen Stunden sollen an der Absturzstelle die Geister der Toten erscheinen. Seit einiger Zeit tauchen sie regelmäßig und in der ganzen Welt auf. Die Schemen starren ins Leere, folgen dabei der Sonne, sind aber ansonsten harmlos. Doch mitten in der Wüste bekommen Rain und Emma mit, dass sich die Zeiten geändert haben. Plötzlich fangen die Gespenster an zu lächeln ‒ und es ist ein tödliches Lächeln, das bei den Lebenden einen Herztod verursacht. Die Schwestern können sich gerade noch retten und begegnen dem Norweger Tyler. Er ist auf der Suche nach dem Geist seiner Freundin, die ebenfalls bei dem Absturz starb. Doch sie ist nicht unter ihnen. Tyler sieht sich in seinem Verdacht bestärkt, dass das Flugzeug absichtlich zerstört wurde, um etwas zu vertuschen. Kurz darauf befindet sich das Trio auf der Flucht und bekommt dabei dem verstörenden Geheimnis hinter den Schemen auf die Spur. Für Zeichner Jurek Malottke ist es bereits der zweite Ausflug in Meyers Œuvre. Nach „Das Fleisch der Vielen“ (2018, Splitter Verlag) legt er nun mit „Phantasmen“ nach. Seine zweite Graphic Novel traut sich dabei etwas Neues: Anders als bei seinem Debüt verzichtet Malottke komplett auf Outlines. Ob Figuren, Landschaften oder Szenerien, alles wirkt bisweilen expressionistisch und genauso schemenhaft wie die Geister, mit denen es die Held:innen zu tun bekommen. Das mag nicht allen Leser:innen gefallen, passt aber wunderbar zur Geschichte. Und wann wäre die beste Gelegenheit, diese schaurig schöne Erzählung kennenzulernen, wenn nicht zu Halloween?

Kai Meyer, Jurek Malottke: Phantasmen • Splitter Verlag, Bielefeld 2022 • 240 Seiten • € 35,00 • Empfohlen ab 14 Jahren

 

Berühmt und berüchtigt

Neues Jahr, neuer Stroud ‒ welch liebgewonnene Routine! Nachdem sich der Brite bereits in seiner „Lockwood & Co.“-Reihe (im Shop) mit Geistern befasst hat, geht es bei „Scarlett & Browne“ erneut auf die Insel ‒ und in die Postapokalypse. Und die hat es in sich: Jonathan Stroud beschreibt ein in Königreiche zersplittertes Großbritannien, in dem menschenfressende Riesenotter nur eines von vielen Problemen sind. Mittendrin: Scarlett und Albert, zwei Teenager, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie: die Draufgängerin mit der Lizenz zum Schießen und Fluchen. Er: der Tollpatsch mit einer dunklen Gabe, die ganze Städte dem Erdboden gleichmachen kann. Das Schicksal hat sie zusammengeführt. In „Scarlett & Browne 2. Die Berüchtigten“ sind beide inzwischen ein eingespieltes Duo, wenn es um Raubzüge aller Art geht ‒ und hat sogar ihre eigene Räuberballade! Kaum haben die beiden ein Glaubenshaus erfolgreich geplündert, wird ihnen der nächste große Coup angeboten. Doch es braucht etwas Nachdruck: Um sie zu dem Bruch zu zwingen, entführen Scarletts ehemalige Arbeitgeber, ein berüchtigtes Verbrechersyndikat, Joe und Ettie, die einzige Familie, die beide haben. Wenn Scarlett und Albert nicht eine vergrabene Stadt im Norden plündern, sterben beide einen qualvollen Tod. Im zweiten Band schildert Jonathan Stroud ein nervenaufreibendes Wettrennen gegen die Zeit, das die ungleichen Held:innen an ihre Grenzen bringt und mit ihrer Vergangenheit konfrontiert. Apropos Vergangenheit: Hier lässt der beliebte Autor ab und an aufblitzen, wie das Vereinigte Königreich vor der Apokalypse aussah. Ob wir im nächsten Band mehr erfahren, warum unsere Welt dem Untergang geweiht war? Das zeigt sich hoffentlich im kommenden Jahr. Bis dahin: Viel Spaß beim Gruseln mit diesem fantastischen Nach-der-Endzeit-Western!

Jonathan Stroud: Scarlett & Browne 2. Die Berüchtigten • Aus dem Englischen von Katharina Orgaß und Gerald Jung • cbj, München 2022 • 448 Seiten • € 22,00 • Empfohlen ab 14 Jahren • im Shop

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Fehlt was? Oh ja! Der Abschlussband von Naomi Noviks Scholomance-Trilogie, „Die goldenen Enklaven“ (cbj). Warum er fehlt? Er erscheint leider erst nach Halloween, am 9. November. Das sollte aber niemanden davon abhalten, schon jetzt zum ersten und zweiten Band zu greifen und sich ordentlich zu gruseln bei all den Monstern, die den Schüler:innen das Leben schwermachen.

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