2. Februar 2023 1 Likes

Jonathan Strouds „Lockwood & Co.“ auf Netflix

Ein Fest für Fans und solche, die es werden wollen

Lesezeit: 4 min.

Die einen sind freundlich, die anderen eine Plage: Geister. Die Gespenster in „Lockwood & Co.“ von „Bartimäus“-Papa Jonathan Stroud (im Shop) fallen eher in letztere Kategorie. Sie haben sich für ihre Heimsuchung ein besonderes Ziel ausgesucht: ein Alternativwelt-Großbritannien. Nun hat Netflix acht Folgen einer hoffentlich aus mehreren Staffeln bestehenden Serie veröffentlicht. Lohnen sich die? Oh ja!

Worum geht es? In der „Lockwood & Co.“-Pentalogie (im Shop) wabern und spuken die tödlichen Schemen seit über 50 Jahren umher. Wo auch immer jemand auf brutale Weise das Zeitliche gesegnet hat, sucht dessen Geist die Lebenden heim. Das kann – man ahnt es bereits unangenehm werden, vor allem für Erwachsene. Die sind der Geisterapokalypse schutzlos ausgeliefert. Zwar spüren sie eine unheimliche, übernatürliche Präsenz, dagegen vorgehen können sie jedoch nicht. Der einzige Schutz: Heranwachsende, die Gespenster aller Art sehen und hören können, bis sie ihr Talent verlieren.

Im Mittelpunkt der Serie steht nicht der charismatische Namensgeber Anthony Lockwood (Cameron Chapman), sondern seine neueste Mitarbeiterin: Lucy Carlyle (Ruby Stokes). Nachdem bei einer Austreibung fast ihr gesamtes Team ums Leben kam, zieht es die 16-Jährige nach London. Dort angekommen blitzt die Teenagerin bei den großen Geisterjägeragenturen wie Fittes und Rotwell ab obwohl sie ein ausgezeichnetes Gehör für Spukgestalten hat. Die Bürokratie macht ihr das Leben schwer: ohne Erlaubnis der Mutter kein Job in der Hauptstadt. Nach vielen weiteren Absagen landet Lucy schließlich vor der Tür des kaum älteren Anthony Lockwood und seines nerdigen Mitstreiters George Karim (Ali Hadji-Heshmati). Auf einen kurzweiligen Einstellungstest folgt dann die Aufnahme in die kleine Agentur und Wohngemeinschaft.

Zeit für Smalltalk bleibt nicht: Auf das Heldentrio wartet der erste, scheinbar harmlose Fall. In einem kleinen Vorstadthäuschen spukt es. Vermutlich ist es der kürzlich verblichene Ehemann der Besitzerin, verstorben nach einem Treppensturz. Nun möchte die Witwe das Haus verkaufen. Ein Geist ist dabei kontraproduktiv. Vor Ort entpuppt der sich aber als gefährlicher als gedacht. Und Lucy hört mehr, als ihr lieb ist.

Wie in der Romanvorlage „Die Seufzende Wendeltreppe“ (im Shop) entwickelt sich der Fall auch in der Serie zu etwas größerem. Bei dem Einsatz brennt das Einfamilienhaus nieder. Um den Schadensersatz bezahlen zu können, müssen Anthony, Lucy und George an einem weitaus gefährlicheren Ort ermitteln. Mit dieser Geschichte befassen sich die ersten drei Folgen der Staffel. Die restlichen fünf erzählen den zweiten Band der Reihe, „Der Wispernde Schädel (im Shop), nach. Darin bekommt es die kleine Agentur auf einem Friedhof mit einem übermächtigen Gespenst zu tun, das schon vor dem „Problem“ existiert haben muss. Viel wichtiger: Hier hat dann auch der heimliche Star der Serie seinen großen Auftritt, ein sprechender Schädel in einem überdimensionalen, mit Silber gesicherten Einmachglas. Und er spricht nur mit Lucy.

Um eines klar zu stellen: „Lockwood & Co.“ ist kein „Ghostbusters mit Teens“. Der Vergleich wäre auch mehr als unfair. Auf der einen Seite Bill Murray, Dan Aykroyd und Harold Ramis mit ihrer kultigen High-Tech-Ausrüstung, auf der anderen ein paar mit Salz, Eisenketten und Degen bewaffnete Jungschauspieler:innen. Dass die Serie dennoch ihre eigenen Akzente setzen kann, ist Joe Cornish („Attack the Block“, „Ant-Man“) zu verdanken. Der Drehbuchautor war federführend an der Adaption beteiligt und hat aus der sehr lesenswerten Vorlage ein ebenso sehenswertes Spektakel gemacht, garniert mit einer Prise englischen Humors. Haupt- und Nebendarsteller:innen machen daraus das Beste. So spielt etwa Ivanno Jeremiah („Humans“) den dauermürrischen Inspector Barnes, Jack Bandeira („Happy Valley“) den überheblichen und mit sich hadernden Quill Kipps und Morven Christie („The Bay“) die verständnisvolle Agenturleiterin Penelope Fittes, die eigene Pläne verfolgt.

Eines der Highlights der Serie ist aber das Setting. Viele kleine und große Szenen thematisieren die Auswirkungen des „Problems“. Da ist etwa die ältere Frau, die sich an ihre Kindheit erinnert und die Heranwachsenden um die verlorene Jugend betrauert. Da sind die skrupellosen Verbrecher, die kleine Kinder dazu zwingen, Geister wahrzunehmen. Da sind die Schönen und Reichen, die sich an rauschende Feste klammern und vergessen, wie die Welt wirklich aussieht.

Alternativwelt-London ähnelt zwar hier und da einem nebelverhangenem Klischee die Stadt ist aber vor allem ein unangenehmer, düsterer Ort, den man nach der Ausgangssperre nicht mehr betreten möchte, zumal die Gespenster mit moderner Technik kurzen Prozess machen. Die High-Tech-Instrumente bei der Geisterjagd sind daher Taschenlampen und digitale Thermometer. Und so fühlt sich die Serie in jeder Sekunde so an wie die Romane: losgelöst von Zeit und Raum, verortet in einem Paralleluniversum, das in den Büchern an die 1960er Jahre erinnert, im Stream an die 1980er nur ohne all die coolen Spielzeuge, die dieses Jahrzehnt rückblickend so kultig erscheinen lassen.

Was bleibt also nach acht Folgen von „Lockwood & Co.“? Ein mitreißendes Geisterabenteuer, das sich vor der Vorlage verneigt und so für die Magie von Kinder- und Jugendbüchern wirbt. Die Serie ist definitiv ein Schmankerl für Fans und solche, die es werden wollen. Ob es eine zweite Staffel geben wird? Das ist bei Netflix’ aktueller Firmenpolitik schwer zu sagen. Sollte nach acht Folgen bereits Schluss sein, bleibt den Zuschauer:innen aber immer noch der Griff zu den übrigen drei Romanen, die Lucys, Anthonys und Georges Geschichte weitererzählen und am Ende auch verraten, woher die Geisterplage kommt.

Lockwood & Co. • Großbritannien 2023 • Regie: Catherine Morshead, Joe Cornish, William McGregor • Darsteller: Ruby Stokes, Cameron Chapman, Ali Hadji-Heshmati, Ivanno Jeremiah, Jack Bandeira, Luke Treadaway, Morven Christie, Ben Crompton, Hayley Konadu • Netflix

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