13. Mai 2023

„Der Rote Pfeil“ von William Brewer

Ein Roman über Zeit, Depression, Physik, Liebe und den ganzen Rest

Lesezeit: 3 min.

Der amerikanische Lyriker und Romancier William Brewer (im Shop) wurde 1989 in West Virginia geboren, studierte an der Columbia University und unterrichtet heute selbst kreatives Schreiben in Stanford. Nachdem er Kurzgeschichten und Gedichte in „The New Yorker“, „The Nation“, „A Public Space“ und „American Poetry Review“ veröffentlicht hat, legt er mit Der Rote Pfeil“ (im Shop) nun sein Romandebüt vor. In dem geht es um einen vielversprechenden jungen Maler, der irgendwann eher durch Zufall auf Prosa-Geschichten umsattelt und nach einer ersten Storysammlung seinem Verlag einen Roman verspricht. Der Ich-Erzähler plant, in seinem Buch einen Chemie-Unfall in seiner ländlichen Heimat in West Virginia aufzuarbeiten. Aber die Reise in die Vergangenheit stellt unseren Autor vor viele Probleme, zudem wird er immer wieder von dem erfasst, was er den Nebel nennt, und was im Grunde eine große Depression darstellt.

Und so kommt er mit dem zugesagten Buch einfach nicht voran. Irgendwann wird aus dem Vorschuss, den der Verlag an ihn gezahlt hat, daher eine belastende Schuld, und Ausflüchte helfen nicht weiter. Um diese finanzielle Bringschuld zu tilgen, soll der Schriftsteller statt seines Buches jetzt die Memoiren eines italienischen Quantenphysikers schreiben. Allerdings scheint der Wissenschaftler nach den ersten Kontaktaufnahmen und Kapiteln plötzlich wie vom Erdboden verschwunden – und die Mails und Anrufe aus dem Verlag werden abermals hysterischer. Also will der verzweifelter Buchautor und Biograph den Physiker in Italien aufsuchen, wo unser Erzähler mit einem jener Züge von Bologna nach Modena fährt, die aufgrund ihrer Lackierung als Frecce Rosse, als Rote Pfeile bezeichnet werden.

Eine Leseprobe gibt es hier.

Unterwegs berichtet er von seinem Leben, seinem Umzug nach New York, seinen künstlerischen Versuchen, seiner Liebe Annie aus der Tech-Branche und seinen Erfahrungen mit Psychedelika gestützter Psychotherapie, und wie diese ihm dabei half, den Nebel zu durchdringen – und obendrein das wahre Wesen der Zeit zu erfassen, die keineswegs linear und rasant wie ein roter Zug von A nach B rauscht und alles hinter sich lässt, sondern die uns unterbewusst verankert, festhält und einholt, oft durch lange zurückliegende, fast vergessene Ereignisse und Prägungen, die es zu erkennen, zu überwinden gilt. Womit für den verhinderten Biographen des Quantenphysikers auf vielen Ebenen die Erkenntnis kommt, dass Bewegung und Vorankommen im Leben oft einzig durch Konfrontation möglich sind, um sich so nicht zum Opfer der Zeit und unserer falschen Annahmen bezüglich ihrer Natur und ihres Wesens zu machen …


William Brewer. Foto © Brian Tierney

Von der ersten Zeile an hat man beim Lesen von „Der Rote Pfeil“ das Gefühl, einen sehr persönlichen Roman zu lesen – diese intime, autobiografische Nähe zum Erzähler weckt sogar Erinnerungen an Lovecraft oder Ligotti, zumindest hier in unserer gemütlichen Genre-Ecke. Dazu gehört auch die rhythmisch passende Prosa, die William Brewer, wenig überraschend, höchst effizient einsetzt, und die Ulrich Blumenbach, ebenfalls wie zu erwarten, präzise ins Deutsche übertragen hat. Brewer kokettiert extrem mit der persönlichen Reise und Erfahrung, will genau diese Wirkung von totaler Offenheit und Offenlegung schaffen, und sicher redet er sich in Bezug auf seinen eigenen Kampf gegen Depression, den viele Menschen auszutragen haben, über die Fiktion hinaus etwas von der Seele.

Wer ihm in den Schnellzug durch Italien und ein modernes Leben folgt, wird mit ein paar interessanten Denkansätzen zu Trauma, Zeit und Depression bedacht. Obwohl natürlich alle ihren eigenen Weg finden müssen, und Psychedelika nicht der einzige legitime Ausweg sind.

William Brewer: Der Rote Pfeil • Roman • Aus dem Amerikanischen von Ulrich Blumenbach • Blessing Verlag, München 2023 • 368 Seiten • Erhältlich als Hardcover und eBook • Preis des Hardcovers: € 24,00 • im Shop

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