5. März 2024

Lydia Millet: „Kinder der Flut“

Klimakatastrophe und Endzeit als Generationenkonflikt

Lesezeit: 3 min.

Manche Bücher animieren einen dazu, begeistert von einer soghaften Geschichte oder einer unwiderstehlichen Erzählstimme zu schwärmen. Kinder der Flut“ (im Shop), der erste auf Deutsch erschienene Roman der renommierten US-amerikanischen Autorin Lydia Millet, ist so ein Buch. Wobei es bei Millet vor allem um den Sound, die Sprache, eben die Erzählstimme geht. Die gehört der 15-jährigen Evie, die mit einer Schar anderer, jüngerer wie gleichaltriger Kinder einen Sommer an der Ostküste der USA verbringt. Die eher wohlhabenden Eltern der Kids haben ein riesiges Ferienhaus für alle gemietet. Doch während die erwärmte Erde sich aufbäumt, herrscht zwischen ignoranten Eltern und besorgten Kindern eine ziemliche Eiszeit.

Denn die Klimakatastrophe ist – nicht nur in diesem Roman, wie wir wissen – durchaus ein Generationenkonflikt. Außerdem verhalten sich die Erwachsenen auch sonst nicht gerade vorbildlich, und so ziehen die genervten Kids schon mal ein paar Tage und Nächte mit Booten los, um knutschend und kiffend flussabwärts Strand-Party zu machen. Als dann ein gewaltiger Sturm die Küste und das Haus trifft, halten die Kinder noch fester zusammen. Evies kleiner Bruder Jack, der seit einiger Zeit in einer kindgerechten Bibel liest und diese auf interessante Weise zu entschlüsseln glaubt, bringt sogar einige gefangene Tiere wie auf der Arche in Sicherheit. Schließlich entscheiden Evie und die anderen Jugendlichen, ihre peinlichen, planlosen, apathischen Eltern in der Flutkatastrophe sitzen zu lassen, und lieber ohne ihre Erziehungsberechtigten in Richtung einer vermeintlich sicheren Zuflucht aufzubrechen …

Lydia Millet war schon Finalistin für den Pulitzer Preis, und „Kinder der Flut“, im englischsprachigen Original als „A Children’s Bible“ erschienen, stand auf der Shortlist für den National Book Award. Durch Evies jugendlichen, ungekünstelten Blickwinkel verdeutlicht Millet in ihrem im Original 2020 veröffentlichten Roman das Problem der Perspektive, wenn es um die Einordnung der Klimakatastrophe geht, und die Bereitschaft zum Handeln, Gegensteuern. Dabei spickt Millet ihre 250 Seiten knackige Geschichte mit zynischem Witz und bissigem, an Margaret Atwood erinnernden Humor, genauso wie mit einem latenten „Herr der Fliegen“-Vibe. Das trägt viel zum Reiz, zum Charme dieses schmalen Romans bei – noch bevor er zu einer zeitweise eher klassischen Endzeitgeschichte mit den üblichen Parametern und Problemen wird, die man sie aus genre-typischen Stoffen kennt. Dieser Schlenker von Anspruch zu Survival überrascht, macht Millets cool geschriebenes Buch für SF-Fans aber noch zugänglicher, und geht mit einigen heftigeren, womöglich triggernden Szenen einher.

Zwischen Coming-of-Age und Climate-Fiction: Lydia Millets „Kinder der Flut“ bringt die klimawandelbedingte Endzeit in die vermeintlich anspruchsvolleren Sphären des Literaturbetriebs – auf Lesestapel, wo sonst keine Science-Fiction anzutreffen ist. Das werden wir bei diesem großen, brennenden Thema, und angesichts des Zustands unserer Welt, in den nächsten Jahren sicher weiter und immer öfter erleben.

Lydia Millet: Kinder der Flut • Roman • Aus dem Amerikanischen von Elke Link • btb, München 2024 • 256 Seiten • Erhältlich als Taschenbuch und eBook • Preis des Taschenbuchs: 16,00 € • im Shop

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Christian Endres berichtet seit 2014 als Teil des Teams von diezukunft.de über Science-Fiction. Er schreibt sie aber auch selbst – im Mai 2024 erscheint bei Heyne sein SF-Roman „Wolfszone“.

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