6. März 2018 2 Likes

Nova über dem Zauberberg

„Helligkeit fällt vom Himmel“ von James Tiptree Jr. erstmals auf Deutsch

Lesezeit: 3 min.

Der Wiener Septime Verlag schließt seine vorbildliche Werkausgabe des Science-Fiction-Schaffens von James Tiptree Jr. mit einer deutschen Romanerstveröffentlichung der preisgekrönten Autorin, Psychologin, CIA-Analystin, Kunstkritikerin und Hühnerfarmerin Alice B. Sheldon (1915–1987) ab, die die englischsprachige Szene jahrelang mit ihrem männlichen Pseudonym an der Nase herumführte. Und auch wenn sie aufgrund des sexistischen Klimas innerhalb der Zukunftsliteratur zu ihren Lebzeiten einen maskulinen Nom de Plume brauchte, mussten und müssen sich ihre Erzählungen alles andere als verstecken: Der Name James Tiptree Jr. steht bis heute für stilistisch herausragende, inhaltlich überraschende, ebenso ideenreiche wie vielfältige Geschichten, die nach wie vor zum Besten gehören, was man als Freund guter Literatur und guter Science-Fiction lesen kann.

Ihr Romanspätwerk „Helligkeit fällt vom Himmel“, das im Original 1985 als „Brightness falls from the Air“ herauskam, spielt auf dem fernen Planeten Damiem. Die profitgierigen Menschen haben den geflügelten, engelsgleichen Dameii, welche die abgelegene Welt bewohnen, vor Jahren Schreckliches angetan. Ein kleines Team, das aus der Administratorin Cory, dem Verbindungsoffizier Kip und dem Arzt Bram besteht, soll den Schutz der Dameii garantieren und so viel Vertrauen wie möglich zurückgewinnen. Diese sensible Mission wird auf eine harte Probe gestellt, als eine spektakuläre Nova-Front über ein Dutzend fremder Weltraumreisender anzieht, die dem Himmelsschauspiel beiwohnen wollen, das übrigens mit einer weiteren menschlichen Gräueltat gegenüber einem außerirdischen Volk zu tun hat. Im letzten Licht des gestorbenen Sterns versammeln sich eine freundliche Pornofilmcrew, ein gewiefter junger Prinz, ein kiemenbewehrter Aquamann und andere schwer zu durchschauende, teilweise verdächtige Individuen, die nach und nach ihr wahres Gesicht zeigen, woraufhin das Drama seinen Lauf nimmt …

James Tiptree Jr., Namenspatin des gleichnamigen Awards, wird immer als eine der besten Kurzgeschichtenautorinnen des Genres gelten – ihr zweiter Roman kommt jedoch als ziemlich träge und zuweilen langatmig daher. Dennoch blitzt immer wieder mal das Tiptree-Genie auf, wenn sie das Innenleben ihrer Figuren mit der exotischen Kulisse, den fremdartigen Dameii, interstellarer Hard-Science-Fiction oder der grausigen Vergangenheit ihres fiktiven Universums vermischt. Wohlwollend könnte man sogar sagen, Tiptree Jr. beschwört einen Hauch von „Zauberberg“ im Schein ihrer Nova über Damiem. Sprachlich ist das außerdem selbst dann ein Vergnügen, wenn man sich das eine oder andere zähe Kapitel durch überlange Unterhaltungen und allgegenwärtige Sentimentalitäten kämpfen muss. Sei’s drum: Wer in den letzten Jahren alle sieben Bände mit Kurzgeschichten und Novellen genossen hat, die Biografie genauso interessiert las wie den Sammelband mit den Briefen an Ursula K. Le Guin (im Shop), den Essays und den Gedichten, und wer vor zwei Jahren auch den Roman „Die Mauern der Welt hoch“ goutierte, wird sich freuen, dass mit „Helligkeit fällt vom Himmel“ die ungeheuer schmucke Tiptree Jr.-Werkausgabe des Septime Verlags nun abgeschlossen ist – ohne Frage eine der wundervollsten Editionen auf dem deutschsprachigen SF-Markt.

Als Bewunderer dieser großartigen Autorin und dieser passend großartigen Gesamtausgabe erfreut man sich an der schönen Prosa von „Helligkeit fällt vom Himmel“ und an den zeitlos guten Einfällen, während man die Schwächen in Tempo und Umfang sowie die weniger gelungenen Passagen einfach ignoriert. Wer dagegen noch nie etwas von Alice B. Sheldon alias James Tiptree Jr. gelesen hat, der fängt besser mit irgendeinem der Kurzgeschichtenbände an und weidet sich an dem Wissen, eine der wichtigsten und löblichsten Science-Fiction-Werkausgaben überhaupt vor sich zu haben.

James Tiptree Jr.: Helligkeit fällt vom Himmel • Septime Verlag, Wien 2018 • 512 Seiten • Hardcover: 24,90 Euro

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