21. Mai 2023

„Outpost – Der Aufbruch“ – Ein neuer Zar in Russland

Erneut bedient sich Dmitry Glukhovsky den Mitteln der Science-Fiction um über das Russland der Gegenwart zu schreiben

Lesezeit: 3 min.

„Ich entscheide! Nur ich entscheide, was wahr ist und was nicht!“ Ein Satz, wie man ihn von Donald Trump gewohnt ist oder von anderen autokratisch agierenden Machthabern der Gegenwart. Dazu zählt gewiss auch Wladimir Putin, der sich angeblich bei schlechtem Gesundheitszustand im Kreml verschanzt hat und Doppelgänger an die Front in der Ukraine schickt, was ja auch ein toller Stoff für Romane oder Filme wäre. Als Russlands neuer Zar wird er bisweilen bezeichnet und man muss kein Hellseher sein, um zu ahnen, dass sich auch Putin selbst gerne in einer Reihe mit den tatsächlichen Zaren sieht, glaubt, dass es seine Aufgabe ist, Russlands einstige Größe wiederauferstehen zu lassen.

Womit wir schon mitten im neuen Roman von Dmitry Glukhovsky (im Shop) wären. Im Bereich der Science-Fiction wird Outpost – Der Aufbruch“ (im Shop) eingeordnet, als zweiter Teil einer neuen Trilogie, mit der der inzwischen im Exil lebende Autor an den Erfolg seiner Metro-Reihe anzuknüpfen versucht. Offiziell spielt der Roman in einer dstopischen Welt, in der Russland kleiner geworden ist, in dem die Wolga die Ostgrenze von Moskawien markiert, ein neues Reich, in dem der Zar Arkadij Michailowitsch herrscht.

Doch an den Grenzen des Reichs herrscht Unruhe, wie schon im ersten Band erzählt wurde, passieren in der Grenzstadt Jaroslawl seltsame Dinge, die sich nun fortsetzen. Aus Moskau wird der junge Soldat Lissizyn an die Front geschickt, mit einem Zug Korsaren. Ihr Auftrag: Das Verschwinden einer anderen Gruppe Soldaten aufzuklären. Vor Ort finden sie jedoch nur brutal zerstückelt Leichen und wenige zivile Überlebende. Darunter die junge Michelle, eine der Hauptfiguren des Vorgängers Outpost – Der Posten“ (im Shop). Eine Art Prophetin ist diese Michelle, die sich nach Moskau aufmacht, um die Bevölkerung vor einer nie genau definierten Bedrohung zu warnen, die so abstrakt bleibt wie in manchen Horrorfilmen. Akustisch verbreitet sich das Grauen, als einzigen Schutz vor einer Ansteckung bleibt nur, sich mit einer Nadel das Trommelfell durchzustechen.

Dritte Hauptfigur ist Katja, Balletttänzerin am Bolschoi Theater, einer der unsterblichen russischen Institutionen, die seit ewigen Zeiten den Ruhm des Riesenreiches ins Ausland tragen und dies vermutlich noch auf lange Zeit tun wird. Und noch andere typische russische Orte und Institutionen werden in „Outpost“ erwähnt, der Kreml etwa und auch die Lubjanka, wo einst der KGB residierte und heute deren Nachfolger, der FSB. Allein die Duma, der Sitz des Parlaments existiert nicht mehr, aber in gewisser Weise tut sie das ja auch heute schon nicht mehr…


Dmitry Glukhovsky. Foto © picture alliance / TT NYHETSBYRÅN | Henrik Montgomery/TT

Offiziell mag „Outpost – Der Aufbruch“ in der nahen Zukunft spielen, tatsächlich aber beschreibt Glukhovsky Strukturen, spricht von Korruption und Machtmissbrauch, wie sie in dieser Form in Russland vor einhundert Jahren existierten – oder eben in der Gegenwart, unter Putin. Wie so viele osteuropäische Autoren vor ihm, wählt auch der bekennende Regimekritiker Glukhovsky das Mittel der Science-Fiction, um gegenwärtige Missstände anzuprangern. Unabhängig davon, ob die Endfassung des Romans entstand, als Putin den Einmarsch in die Ukraine schon befohlen hatte oder das Manuskript schon vorher abgeschlossen war, bei Zeilen wie diesen: „Ihr wolltet doch eine Wiedergeburt, Euer Gnaden, Ihr wolltet doch das Land der Vorväter zurückerobern? … Ihr wolltet zur einstigen Größe zurück …“ kann man nur an den aktuellen Zaren im Kreml denken.

Ob er so enden wird wie der fiktive Zar in „Outpost – Der Aufbruch“ bleibt abzuwarten, der Versuch, Russland wieder zu vergangener Größe zu verhelfen hat schon zehntausende Tote gefordert und das Land zumindest in Richtung Westen isoliert. Dmitry Glukhovsky jedenfalls erweist sich einmal mehr als scharfer Chronist seiner Heimat, der den Mächtigen und dem Möchtegern-Zaren schonungslos den Spiegel vorhält.

Dmitry Glukhovsky: Outpost – Der Aufbruch • Roman • Aus dem Russischen von Maria Rajer, Jennie Seitz • Heyne, München 2023 • 448 Seiten • Erhältlich als Hardcover und eBook • Preis des Hardcovers: € 22,00 • im Shop

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