14. Februar 2021 2 Likes

„Sprich mit mir“ von T. C. Boyle

Ein feiner Roman voller Schimpansen, Affentheater und Menschlichkeit

Lesezeit: 3 min.

Wer fantastische Stoffe mag, hat aufgrund von „Planet der Affen“, „Tarzan“, „King Kong, „Congo“ und Co. sicher die eine oder andere Geschichte intus, in der es um die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Mensch und Affe geht. In „Sprich mit mir“ macht nun auch Starautor T. C. Boyle einen vermenschlichten Schimpansen zum Protagonisten seines neuesten, in der deutschen Ausgabe übrigens besonders schön aufgemachten Buches. Sam heißt er, dieser Schimpanse, und er ist Ende der 1970er das Herzstück eines wissenschaftlichen Forschungsprojekts und Fremdpflegeversuchs. Bei diesem soll ergründet werden, wie es sich auf einen kleinen Schimpansen auswirkt, wenn er in einem Haus nur mit Menschen aufwächst und lernt, sich über Gebärdensprache auszudrücken. Eines Abends zappt die schöne, schüchterne Studentin Aimee durchs Fernsehen und sieht, wie Sam und der junge Professor Guy Schermerhorn in einer TV-Show auftreten. Sie erkennt Guy von der Uni wieder, bewirbt sich am nächsten Tag als studentische Hilfskraft beim extrem fordernden Projekt – und wird für Sam sofort zu einer neuen Bezugsperson, die der Schimpanse über alles liebt. Aimee erwidert dieses Gefühl, selbst wenn es mit Sam und seinen Wünschen und seiner Art – seinem Affentheater – nicht immer leicht, manchmal sogar gefährlich ist. Zumal auf dem Projekt der eine oder andere drohende Schatten liegt …

T. C. Boyle, Jahrgang 1948, höllisch produktiv und einer der ganz Großen der amerikanischen Gegenwartsliteratur, ist also auf den Affen gekommen – und das nicht zum ersten Mal. Bereits in seinem ersten veröffentlichten Buch, der Kurzgeschichtensammlung „Tod durch Ertrinken“, war 1979 die Story „Abstammung des Menschen“ enthalten, in der es um ein Forschungsprojekt mit Schimpansen und eine animalisch-menschliche Dreierbeziehung ging. Nun kehrt Boyle mit all seiner Erfahrung und all seinem Renommee zu diesem Setting und Thema zurück, um einmal mehr unsere Wahrnehmung, ja, unser Verständnis von Menschlichkeit, Bewusstsein, Kommunikation, Liebe und Persönlichkeit zu untersuchen. Als Aufhänger dienen Boyle die tatsächliche Primatenforschung der 1970er, unsere Beziehung als Gesellschaft zu Tieren sowie Tierliebe zwischen Selbstaufgabe und Selbsterkenntnis.


T. C. Boyle. Foto © Peter-Andreas Hassiepen

Bei „Sprich mit mir“ handelt es sich im Grunde um eine dieser ganz klassischen Lieblingsmensch-und-Lieblingstier-gegen-den-Rest-der-Welt-Geschichten, doch T. C. Boyle bleibt Disney und Hollywood trotz des greifenden Musters gerade in der zweiten Hälfte des Romans eher fern. Außerdem glänzt er natürlich wie immer als großartiger Autor, der in seinem neuesten Werk mit leicht überlappenden Perspektiven spielt und dabei auch Sam mit einer eigenen Sicht einbezieht. Boyle kann richtig auf den Putz hauen, wie seine Fans wissen, allerdings zeichnet es ihn genauso aus, als Erzähler ganz hinter der Geschichte und ihren Protagonisten zurückzutreten und feinsinnig und gekonnt, jedoch unauffällig hindurchzuführen. Neben seines erzählerischen Könnens wertet das dezent historische Setting, in dem etwa Sexismus einer der Punkte ist, den Roman zusätzlich auf.

Aus der traditionellen Tiergeschichte im wissenschaftlichen Umfeld wird so ein auf vielen Ebenen packendes, speziesübergreifendes Drama. Boyle erreicht damit jeden, der schon einmal eine Beziehung und Bindung zu einem Tier hatte, deren Ausmaß sich vielleicht nicht jedem Außenstehenden erschloss. Außerdem lässt er uns – wenngleich ohne den berühmten Zeigefinger – unsere gerne mal respekt- oder zumindest gedankenlose Beziehung zu tierischem Leben überdenken.

T. C. Boyle: Sprich mit mir • Hanser, München 2021 • 349 Seiten • Hardcover: 25 Euro

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