21. September 2018 1 Likes

Witz, Weisheit und Wut

Terry Pratchetts Sachtextsammlung „Aus der Tastatur gefallen“

Lesezeit: 3 min.

Der englische Autor Sir Terry Pratchett (1948–2015) schenkte unserer Rundwelt seine famose Scheibenwelt, mit deren Hilfe er ab den 80ern zunächst der Fantasy-Literatur und bald schon der gesamten Menschheit einen Spiegel vor Augen hielt. Er veröffentlichte über 50 Romane und verkaufte weltweit 85 Millionen Bücher, die in 37 Sprachen übertragen wurden. Seine berufliche Laufbahn begann Pratchett jedoch als Lokalreporter sowie als Pressesprecher für Atomkraftwerke. Im Laufe der Zeit schrieb der Scheibenweltvater und Ehrenprofessor außerdem abschweifungsfreudige Reden für Universitätszeremonien und SF-Veranstaltungen, Einleitungen für Scheibenwelt-Con-Programmhefte, Vorworte für Bücher anderer Autoren und einiges mehr. Eine Auswahl seiner Non-Fiction-Texte wurde 2014, noch zu Pratchetts Lebzeiten, im Band „A Slip of the Keyboard“ gesammelt. Jetzt ist das Buch – besser spät als nie – in der Übersetzung von Gerald Jung und Regina Rawlinson endlich auf Deutsch erschienen.

Die mal längeren, mal kürzeren Beiträge in „Aus der Tastatur gefallen“ decken die Jahre 1970 bis 2011 ab, dazu kommt ein Leserbrief, den Pratchett als Kind 1963 an das britische SF-Magazin „Vector“ schrieb (der eine oder andere sieht hier vermutlich eine Parallele zu Douglas Adams und dessen Sammlung „Lachs im Zweifel“ (im Shop), die allerdings auch im Original posthum herausgekommen ist). Ob es um die Fantasy, das Schreiben und den Beruf des Autors, die Scheibenwelt, die Bedeutung von Bibliotheken, Arthur C. Clarkes „2001 – Odyssee im Weltraum“ (im Shop), die Banalität des Fortschritts, das Pilzesammeln in aller Früh, eine Lesereise durch Australien, Hüte, seinen persönlichen Favoriten „Eine Insel“, Gott und Glaube, den Einfluss von Oma Pratchett auf die starken Frauenfiguren in den Spitzhornbergen der Discworld, J. R. R. Tolkiens „Der Herr der Ringe, das drohende Aussterben der Orang-Utans, die Korrespondenz mit Lesern, seine Schulzeit, Tipps für Buchhändler bei Autorenlesungen, seine tödliche Alzheimererkrankung oder Neil Gaiman (der übrigens das Vorwort zum Band beisteuerte) geht: Terry Pratchett wusste bestens darüber Bescheid, was wir Menschen so treiben und was uns um- und antreibt, und er konnte seine niedergeschriebenen Beobachtungen und Überlegungen unabhängig vom Thema oder von der Plattform mit schriftstellerischer Klasse, mit Witz und Weisheit und auch mit Wut und Verwunderung würzen. Die exemplarische Auswahl seiner frühen journalistischen Artikel ist ebenfalls prima.

Manche Anekdoten (wie der Pornoladen der alten Lady, die unter den Schmuddelheftchen in den Regalen einige Wühlkisten voller Science-Fiction für den jungen Pratchett im Angebot hatte) oder Einflüsse (wie G. K. Chesterton oder „Der Wind in den Weiden“) tauchen über die Jahre bei verschiedenen Gelegenheiten und Anlässen auf – eher ein Zeichen für ihre Signifikanz in Pratchetts Leben und Entwicklung, als für Redundanz. Das größte Zauberkunststück dieses Bandes ist aber sicherlich, dass er einen von der ersten bis zur letzten Seite beinahe vergessen lässt, dass Sir Terry Pratchett schon seit dreieinhalb Jahren nicht mehr unter uns weilt. Selbst wenn es in den Kapiteln um seine Krankheit und um seine Gedanken und Wünsche zur Sterbehilfe geht, ist einem Pratchetts Stimme so nah und vertraut, dass man beim Lesen kurzzeitig nicht daran denkt, wie lange wir schon in einer Welt ohne neue Pratchett-Beobachtungen und Scheibenwelt-Weisheiten leben müssen, und welche Lücke dieser Ausnahmeautor hinterlassen hat.

Nach der unterhaltsamen, nicht nur für Fans lohnenden Lektüre, aus der jeder etwas anderes und sowieso andere Lieblingstexte mitnimmt, stellt man „Aus der Tastatur gefallen“ mit einem Lächeln und einem Seufzer neben der Pratchett/Gaiman-Co-Produktion „Ein gutes Omen“ und Gaimans Sachtextsammlung „Beobachtungen aus der letzten Reihe“ ins Regal – und überlegt einmal mehr, wie lange es her ist, dass man einen „Scheibenwelt“-Roman gelesen hat.

Terry Pratchett: Aus der Tastatur gefallen. Gedanken über das Leben, den Tod und schwarze Hüte • Goldmann, München 2018 • 399 Seiten • Paperback m. Klappenbroschur: 14,00 Euro

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