8. Juli 2016 2 Likes

Zeugenschutz dank Zeitreise

Eoin Colfers „WARP“-Trilogie liegt nun komplett auf Deutsch vor

Lesezeit: 4 min.

Er durfte den sechsten Band (im Shop) von Douglas Adams „Anhalter“-Trilogie (im Shop) schreiben und wurde durch einen Meisterdieb international bekannt: Der Ire Eoin Colfer zählt heute zu den bekanntesten SFF-Autoren von der grünen Insel. In seiner neuen Reihe „WARP“ lebt der Sohn eines Historikers seine eigene Leidenschaft für Geschichte aus und entführt sein Publikum ins Zeitalter Königin Viktorias, in die Ära Oliver Cromwells und in ein faschistoides Großbritannien, das glücklicherweise nie zur Realität wurde.

Die Protagonisten des über 1000 Seiten starken Zeitreiseabenteuers haben ihren ersten Auftritt in „Der Quantenzauberer“. Erzählt wird die Geschichte zweier Waisenkinder aus dem 19. und 21. Jahrhundert, die sich über ein Jahr hinweg mit den Folgen eines fehlgeschlagenen Geheimdienstprogramms auseinander setzen und um ihre Zukunft (oder doch eher „ihre Gegenwart“?) kämpfen müssen. Dabei setzen sie sich nicht nur mit den Nebenwirkungen von Wurmlöchern und den Eigenschaften einer jeden Epoche auseinander, sondern treten auch gegen einen Feind an, der die Welt in ein unendliches Chaos stürzen könnte.

Eigentlich ist Chevron „Chevie“ Savano keine richtige FBI-Agentin und hat nur eine Option auf eine Ausbildung an der Akademie in Quantico. Die aufbrausende 16-jährige aus dem Volk der Shawnee hat es sich jedoch mit ihren Vorgesetzten gründlich verscherzt und wurde nach London strafversetzt. Hier wacht sie über eine Metallkapsel, die zu der geheimen Abteilung „WARP“ gehört, dem „Witness Anonymous Relocation Programme“. Die Erfindung des genialen aber zerstreuten Professors Charles Smart ermöglicht eine völlig neue Form des Zeugenschutzes: Ihm ist zu verdanken, dass Kronzeugen nicht mehr nur mit einer neuen Identität ausgestattet werden können, sondern auch vor ihren Häschern in der Vergangenheit versteckt werden. Die Technologie ist jedoch nicht ganz ausgereift und die Zeitreise durch eine Art Wurmloch (oder besser gesagt, durch eine Zwischendimension) ist mit allerlei Risiken verbunden. Chevie erlebt, wie eine Rückholaktion schief geht und zwei Menschen im 21. Jahrhundert landen, die nicht dorthin gehören. Neben dem Zauberer und Mörder Albert Garrick landet sein Lehrling wider Willen, Riley, im heutigen London. Während Garrick dank der magischen Eigenschaften des Wurmlochs sein Äußeres beliebig verändern kann und ein Massaker unter den FBI-Agenten anrichtet, werden Chevie und der zwei Jahre jüngere Riley als vermeintliche Mörder quer durch London und die Zeit gejagt.

Bereits der Auftaktband zeigt, wohin die Reise geht: Mit viel Action und einer gehörigen Portion Humor erzählt „Artemis Fowl“-Papa Colfer die Geschichte von Chevie und Riley. Dabei berücksichtigt er bei der Erzählung die unterschiedlichen Eigenschaften der beiden ungleichen Protagonisten, die ein unschlagbares Team bilden. Auf der einen Seite die taffe, sarkastische Jungagentin, auf der anderen der naive, manchmal unbeholfene aber umso aufgewecktere Nachwuchszauberer – zwei Helden, die Jungen und Mädchen als Identifikationsfiguren dienen können. Und dann ist da noch Garrick, Rileys ungeliebter Ziehvater und Mörder seiner Eltern, der spätestens in „Die Katzenhexe“ zu einem albtraumhaften Bösewicht wird. Hinzu kommen weitere Figuren wie der ehrlich gewordene Verbrecherkönig Otto Malarkey, der eingangs erwähnte Charles Smart (der im Lauf der Geschichte gleich drei Mal das Zeitliche segnen wird), der im 17. Jahrhundert gestrandete Fairbrother Isles und Colonel Box, der mitsamt Helfershelfern und modernen Waffen ins 19. Jahrhundert flüchtete, um in „Der Klunkerfischer“ die Vergangenheit umzuschreiben und mit dem Boxitenreich ein furchterregendes, totalitäres Regime aufzubauen.

Neben einem guten Gespür für die Haupt- und Nebenfiguren, zeichnet Colfer auch ein nahezu authentisches Bild des viktorianischen London und seiner Bewohner. Sein Augenmerk liegt hierbei auf den skurrilen und dunklen Seiten der britischen Kapitale, allen voran der Kanalisation mit ihren Geheimnissen und Versteckmöglichkeiten und auf den Verlieren der Gesellschaft, die ihr Leben abseits des Glanzes des glorreichen Empires meistern. Auch das von Colonel Box ins Leben gerufene „Neu-Albion“ wirkt in sich so logisch, dass ein beunruhigendes Gefühl beim Lesen bleibt. Den weitesten Weg zurück in die Vergangenheit unternehmen die Helden samt ihrer Nemesis in „Die Katzenhexe“. Angekommen im Jahr 1647 landen sie in der ostenglischen Grafschaft Huntingdonshire, wo Garrick wenige Jahre zuvor eine Karriere als Hexenjäger hingelegt hat. Angestachelt vom Puritanismus und dem Hexenwahn der Zeit, versucht er die Bewohner des Dorfes Mandrake abermals zu beeinflussen und ein für alle mal Chevie und Riley los zu werden.

Mit „WARP“ hat Eoin Colfer ein unterhaltsames und mitreißendes Zeitreise- und Paralleluniversumabenteuer geschrieben. Hier ist der Blick in die Vergangenheit nicht nur Mittel zum Zweck, um die Geschichte voran zu bringen, sondern bietet teilweise authentische Ansichten der jeweiligen Zeit. Zwei sympathische Helden und viele weitere interessante Figuren machen „WARP“ zu einer idealen Lektüre für Jugendliche und alle anderen SF-Fans, die sich an jungen Protagonisten nicht stören.

Eoin Colfer: WARP • Aus dem Englischen von Claudia Feldmann • Loewe, Bindlach, 2014-2016 •  je 336-392 Seiten • je 16,95 € - 17,95 € • „Der Quantenzauberer“ ist auch für 9,95 € als Taschenbuch erhältlich • Alle Titel gibt es ebenfalls als eBook.

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.