7. Mai 2014 2 Likes 2

Der Blick von oben

Zwei Möglichkeiten, „Gravity“ zu sehen

Lesezeit: 3 min.

Es gibt Filme, die kann und sollte man wegen ihrer kruden (um nicht zu sagen bescheuerten) Story schlecht finden. Und es gibt Filme, die kann und sollte man trotz ihrer kruden, bescheuerten Story gut finden. Letztere Kategorie ist ziemlich selten – aber Gravity, der neue Film von Alfonso Cuarón, gehört eindeutig dazu. Die Story geht so: Frau (hochqualifizierte Wissenschaftlerin, aber irgendwie doch noch ein Mädel vom Lande) ist mit ein paar kernigen Astronauten im Orbit unterwegs, und während sie gerade außerhalb des Shuttles an irgendetwas herumbasteln, kommt ihnen eine Ladung Weltraumschrott entgegen, tötet die Astronauten (außer dem kernigsten) und zerstört das Shuttle, worauf Frau und Astronaut in ihren Weltraumanzügen zur nächstgelegenen Raumstation, der ISS, fliegen, was der Astronaut aber nicht schafft, während Frau die ISS betritt, die allerdings (Weltraumschrott!) kaputt ist, was Frau dazu nötigt, in die Rettungskapsel zu steigen, die aber leider auch kaputt ist, worauf Frau wieder im Raumanzug aussteigt und sich zur nächstgelegenen chinesischen Raumstation schießt, die aber auch kaputt ist, worauf sie dort in die Rettungskapsel steigt und zur Erde plumpst. Das ist die Langfassung. Die Kurzfassung könnte etwa so lauten: Beginn des Films – Bäng! Zong! Arrgh! Rappel! Zack! – Ende des Films. Und was sich zwischen Anfang und Ende des Films abspielt, fühlt sich wissenschaftlich so hanebüchen an, dass wer immer die Gelegenheit hat, den Astronauten Chris Hadfield während seiner Lesereise in Deutschland zu treffen, nicht verpassen sollte, ihn zu fragen, ob das auch nur im Entferntesten realistisch ist. Und was zwischen Anfang und Ende des Films zwischen der Frau (Sandra Bullock) und dem Astronauten (George Clooney) gesagt wird, hat noch nicht einmal den Charakter von ernsthaften Dialogen – diese Dialoge geben eindeutig zu erkennen, dass sie aus irgendeinem John-Wayne-Film oder einer Billig-TV-Serie geklaut sind.

Ahhh. Macht es nicht Spaß, große Hollywood-Filme in die Pfanne zu hauen? Wir schlauen, abgebrühten Filmexperten, die wir sind. Soll doch das gemeine Volk so etwas gut finden – wir blicken durch, wir erkennen die Masche, wir wissen, was für ein unsäglicher Quatsch das ist …

Aber wissen wir es wirklich? Oder könnte es nicht vielleicht noch einen anderen Blickwinkel geben, einen anderen Blick auf so einen Film? Etwa diesen: Gravity ist Kino in seiner reinsten Form. Gravity ist das, wofür der Film einst erfunden wurde: ein Spektakel, das uns eine Welt zeigt, die wir zwar nie (oder ganz selten) so wahrnehmen, aber trotzdem unsere Welt ist. Eine Welt aus Geschwindigkeit und Fülle, aus Trägheit und Einsamkeit, aus Nähe und unendlicher Ferne. Eine Welt, und das zeigt dieser Film wie kaum ein anderer, aus verlorenen Worten – die Szene, in der Sandra Bullock auf der Erde irrtümlich einen funkenden Inuit kontaktiert, gehört mit zum Berührendsten, was ich je gesehen habe (im Bonusmaterial der DVD gibt es einen wunderbaren kleinen Film, der diese Szene aus der Perspektive des Inuit zeigt) –, und eine Welt aus geronnener Zeit: Wenn Bullock auf der ISS aus ihrem Raumanzug steigt und sich minutenlang in der Schwerelosigkeit dreht, sehen wir nicht nur einer großartigen Schauspielerin bei der Arbeit zu, wir sehen auch, wie der Mensch in diesem seltsam fremden Universum, in dem er sich wiederfindet, so etwas wie Geborgenheit empfinden kann. Gravity ist keine Science-Fiction, aber trotzdem in gewisser Weise die Zukunft: Je weiter wir uns von der Erde entfernen, desto leichter werden wir.  Und desto schwerer werden wir. Die Anziehungskraft ist eine Kraft, die nicht nur nach unten wirkt.

Wir können (und werden vermutlich eines Tages) auch nach oben fallen.  

Kommentare

Bild des Benutzers Shrike

Mensch Sascha Mamczak, jetzt weiß ich wieder nicht, ob ich mir den Film ansehen soll. Aber abgesahnt hat er ja tüchtig, wie bei Bernd Kronsbein zu lesen ist.
Kann mir noch jemand einen Tipp geben?

Bild des Benutzers Bernd Kronsbein

Sascha trifft den Nagel schon auf den Kopf. Die Story ist bestenfalls hanebüchen, aber als Kinoerlebnis (in 3D, sonst bringt’s das nicht) funktioniert es grandios. Wahrscheinlich the next best thing zu echter Schwerelosigkeit im All. Ansehen lohnt sich.

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