30. September 2015 4 Likes

Ein Hoch auf die Melancholie

„Alles steht Kopf“ – Der beste Pixar-Film seit Jahren

Lesezeit: 3 min.

Seit 1995 mit „Toy Story“ der erste Pixar-Film ins Kino kam, ist das Animationsstudio zum Synonym für Filme geworden, die unterschiedlichste Generationen ansprechen. Im besten Fall entstehen da Filme wie „Wall-e“, den Kinder wegen seiner lustigen Figuren toll finden, Erwachsene aber nicht wegen popkultureller Referenzen, wie bei so vielen anderen Animationsfilmen, sondern wegen seiner ambitionierten Geschichte, die Freude und Tragik auf eine komplexe Weise verknüpft, die im Mainstream-Kino rar geworden ist.

In den letzten Jahren hatte es Pixar sich etwas zu einfach gemacht und vor allem Fortsetzungen ins Kino gebracht, die zwar immer noch ansehnlich waren, aber mehr auch nicht. Mit dem 15. Pixar-Film „Alles steht Kopf“ ist diese Dürreperiode vorbei und zwar gewaltig. „Inside Out“, wie der Film im Original treffenderweise heißt, ist ein Wunder an Originalität und Einfallsreichtum, nicht unbedingt spektakulär animiert, aber getragen von einer Melancholie, die für einen sündhaftteuren amerikanischen Animationsfilm außerordentlich ist.

Erzählt wird aus der Perspektive von Freude, einer der fünf Emotionen, die im Kopf des Mädchens Riley hausen und in einer Art Kommandozentrale ihr Wesen bestimmen. Neben der gelben Freude sind das der rote Wut, die grüne Ekel, der lilane Angst und vor allem die blaue Kummer, wobei Traurigkeit es besser trifft. Jede dieser fünf Emotionen erzeugt Erinnerungen – als Kugeln visualisiert –, die Tag für Tag ins Gehirn fließen und am Abend – wenn Riley die Augen geschlossen hat – vom Kurz- ins Langzeitgedächtnis transportiert werden. In riesigen Regalen werden diese Erinnerungen gelagert, bisweilen entsorgt, um Platz für neue zu schaffen. Besonders wichtige Emotionen aber, die aus einschneidenden Erlebnissen entstehen, werden zu Kernerinnerungen, die das Wesen Rileys bestimmen. Inseln bilden diese besonderen Erinnerungen, in Rileys Fall zum Beispiel Familie, Eishockey und Albernheit.

Allein dieses Konzept ist schon außerordentlich, die Visualisierung der Funktionen des Gehirns zwar kindgerecht animiert, aber – glaubt man Neurowissenschaftlern – auch erstaunlich präzise. Dass großartige an „Inside Out“ ist nun aber, wie unter der Oberfläche einer eher konventionellen Handlung von der Bedeutung auch der scheinbar wenig erfreulichen Emotionen erzählt wird. Äußerer Auslöser ist der Umzug von Rileys Familie aus dem heimischen Minnesota nach San Francisco, in eine neue, unbekannte Umgebung, die für die kleine Riley massive Veränderungen nach sich zieht. Und auch für die Emotionen, die anfangs noch von Freude dominiert werden, die versucht, jeden Tag von Riley glücklich und ganz außerordentlich zu machen. Besonders in Kummer sieht sie eine Konkurrentin, die mit ihrer Melancholie auch schöne Erinnerungen in traurige verwandeln kann. Gemeinsam geraten die beiden in die Tiefen von Rileys Gehirn, geraten ins Unterbewusste und in die Abgründe der Erinnerung, eine Art Müllhalde, wo all die alten Erinnerungen liegen, die von neuen verdrängt wurden.

Allerlei Abenteuer gilt es hier zu bestehen, die zwar einerseits als reine Actionmomente funktionieren, vor allem aber den Wandel von Rileys Emotionen und damit ihrem Wesen versinnbildlichen. Wie nun Freude langsam realisiert, dass Kummer gar nicht so schlimm ist, sondern im Gegenteil essentieller Teil des menschlichen Wesens, macht „Inside Out“ zu einem so außerordentlichen Film. Gerade als amerikanischer Film, als Produkt des Mainstreamkinos eines Landes, in dem das Streben nach Glück gar in der Verfassung verankert ist, in dem betont gute Laune praktisch zum guten Ton gehört, ist dieser Ansatz geradezu subversiv. Das offensive Umarmen von Traurigkeit, der Melancholie, lässt diesen eigentlich durch und durch amerikanischen Film fast französisch wirken. Denn auch wenn am Ende natürlich alles gut wird, erinnert manches an „Inside Out“ auch erstaunliche Weise doch an den alten Song „Je t’aime mélancolie.“

Alles steht Kopf (Inside Out) • USA 2015 • Regie: Pete Docter, Ronaldo Del Carmen

Abb. © The Walt Disney Company

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