8. August 2024

„Longlegs“: Nicolas Cage mordet mit Hilfe Satans

Nicht der gruseligste Film des Jahrzehnts, sondern der bizarrste des Jahres

Lesezeit: 4 min.

Der Ton war dank einer raffinierten Marketingkampagne schnell gesetzt. Der US-Filmverleih Neon veröffentlichte nicht nur Teaser-Trailer, die den Titel des Films aussparten, sondern platzierte eine Anzeige in der Seatle Times mit einem Code, der das Publikum zu einer auf alt gemachten Website führte, die Teil des Filmuniversums von „Longlegs“ ist und sich mit dem Morden des titelgebenden, von Nicolas Cage gespielten Serienkillers beschäftigt. Des Weiteren wurde in Los Angeles auf Reklameflächen eine Telefonnummer bekannt gegeben, unter der Anrufer von Longlegs persönlich bedroht wurden.

Kein Wunder, dass erste Kritiker schnell vom „gruseligsten Film“, nein nicht des Jahres, sondern sogar „des Jahrzehnts“ redeten und die Kassen entsprechend klingelten. Ebenso wenig ein Wunder, dass spätere Kritiker sowie Teile des Publikums die Sache ein wenig anders sahen, sich die Begeisterung in Grenzen hielt. Die Low-Budget-Produktion ist dank dem ausgefuchsten Marketing sicherlich ein finanzieller Erfolg, der Rezeption des Films hat man allerdings nicht unbedingt einen Gefallen getan. Der Punkt ist: „Longlegs“ ist viel eher bizarr als gruselig, lustwandelt leicht schwankend, aber recht zielsicher auf dem schmalen Grat zwischen Horror und Komödie. Was für Verunsicherung sorgt, denn obwohl man meint die ungebrochen unheilvoll-finster brodelnde Stimmung stellenweise förmlich von der Leinwand wabern zu sehen – Oz Perkins’ Film ist wirklich sehr atmosphärisch –, blitzt inmitten der Düsternis doch immer wieder ein leichter Schalk auf, der Zweifel hochkommen lässt, ob man sich hier nicht von einem talentierten Spitzbuben veralbern lässt.

Der Plot geht so: Als offensichtlich wird, dass FBI-Agentin Lee Harker einen sechsten Sinn hat, wird sie von ihrem Vorgesetzten Carter mit einem bisher ungelösten Fall betraut. Ein Serienkiller namens Longlegs hat mehrere Familien niedergemetzelt, beziehungsweise muss Väter irgendwie dazu gebracht haben, ihre Liebsten zu ermorden und danach Suizid zu begehen. Das Bizarre: An jedem Tatort findet sich zwar ein Brief mit kodierten Nachrichten, unterzeichnet von jemandem namens Longlegs. Doch es gibt keinen Hinweis drauf, dass außer den Familien noch jemand am Tatort war und die Handschrift passt zu keinem der Opfer. Als die junge Frau sich der Sache annimmt, kriegt sie eine Nachricht von Longlegs, in der dieser ankündigt, das Töten fortzusetzen. Doch Harker hat es nicht mit einem gewöhnlichen Killer zu tun: Der Mörder steht mit übernatürlichen Mächten im Bunde, zudem besteht eine persönliche Verbindung zwischen ihr und dem Gesuchten …

Junge, talentierte FBI-Agentin mit Kindheitstrauma, ein Mörder in Frauenkleidung, rätselhafte Botschaften, die 1990er-Jahre als Handlungszeitraum, natürlich werden da Assoziationen zu „Das Schweigen der Lämmer“, „Sieben“ und anderen Thrillern aus dieser Dekade hervorgerufen, aber Vergleiche dieser Art führen in die Irre. Das fängt bereits mit der Verortung an. Dass der Film in den 1990ern spielt, spielen soll, wird durch ein Porträt von Clinton im Carters Büro deutlich, aber das ist die einzige Verankerung in der Wirklichkeit. Die Ausstattung im FBI-Gebäude, in der viele Szenen stattfinden, wirkt wie einem viel früheren Jahrzehnt entnommen und generell mutet die Welt von „Longlegs“ seltsam irreal, leer und abgestorben, an. Zeitkolorit gibt es keins.

Nahezu eine Verweigerungshaltung nimmt der ruhig erzählte, präzise und sehr bildstark inszenierte Film mit seiner von Maika Monroe glänzend gespielten Protagonistin Lee Harker ein. Während die problembeladenen Ermittler der 90er-Jahren-Thriller immer auch sympathisch wirken, einen emotionalen Anknüpfpunkt für den Zuschauer darstellen, hat man es hier mit einer kaum greifbaren, in sich gekehrten, nahezu apathischen Figur zu tun, die erst spät ahnen lässt, wie es wohl in ihrem Inneren aussehen mag. Eine klassische Thrillerheldin ist das nicht. Wenn Harker zum Beispiel von ihrem Boss zu seiner Familie mitgenommen wird, im Zimmer der kleinen Tochter sitzt und so gar nicht weiß, wie sie sich dem Kind gegenüber verhalten soll, kommen eher leichte Sheldon-Cooper- als Clarice-Starling-Vibes auf.

So sonderbar die Protagonistin, so bizarr der Antagonist. Cages Bösewicht, um den in den Werbematerialien zum Film eine Menge Geheimniskrämerei gemacht wurde, kommt als eine Mischung aus Marylin Monroe und Batmans Joker daher und auch hier weiß man dank dem typischen, maximal exaltiertem Spiel des Schauspielers („So hat man Cage noch nie gesehen!“ – Oh doch, schon oft …) nie so recht, wie ernst das eigentlich alles gemeint ist. Zumal Perkins Films in der zweiten Hälfte abrupt die Richtung ändert und in eine – etwas erklärwütige, aber dankenswerterweise nicht entmystifizierende – Groteske mit satanischen Puppen kippt.

Ganz ehrlich: Der mit 95 Minuten angenehm schlank gehaltene Film hat Spaß gemacht. Mir fällt ein finales Urteil zu „Longlegs“ dennoch schwer. Ich weiß einfach nicht so richtig, was ich unter dem Strich davon halten soll. Ich weiß aber, dass ich ihn mir noch mal anschauen werde und das ist bei immer weniger Neuerscheinungen der Fall. Und ich weiß, dass ich mich freue, dass Perkins als Nächstes Stephen Kings Kurzgeschichte „Der Affe“ (enthalten im Sammelband „Blut - Skeleton Crew“; im Shop) verfilmt – das wird auf alle Fälle mal eine ziemlich ungewöhnliche King-Adaption.

Longlegs (USA 2024)Regie: Oz Perkins • Darsteller: Maika Monroe, Nicolas Cage, Blair Underwood, Alicia Witt, Kiernan Shipka, Lisa Chandler, Erin Boyes • jetzt im Kino

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