29. Juni 2021 3 Likes

„Possessor“ - Blut, Sex und Körpermanipulationen à la Cronenberg

oder: Da ist ‘ne Frau in meinem Kopf

Lesezeit: 4 min.

Das aus zahlreichen Komödien bekannte Körpertausch-Motiv als blutig-kühle, im hypnotischen Schleiftempo erzählte, schnell einsaugende Manipulationsfantasie: Hier tauscht nur eine Person ihren Körper und das zu einem grausigen Zweck. Der Name: Tasya Vos, Killerin im Dienste eines obskuren Unternehmens, von dem wir nicht viel erfahren werden, außer dass ein Drang nach Expansion besteht, also agiert wird, wie Unternehmen, selbst noch so obskure, nun mal für gewöhnlich agieren. Vos wird aber nicht nur von der absolut zauberhaften Andrea Riseborough gespielt, die immer ein wenig wirkt, wie aus der Ahnengalerie einer alten englischen Burg geklettert und den Film selbst dann dominiert, wenn sie nicht zu sehen ist, es handelt sich zudem um eine ganz besondere Meuchlerin: Sie kann mittels eines Implantats, das im Gehirn von jemanden aus dem Umfeld der Zielperson installiert wird, seinen oder ihren Körper übernehmen und den Anschlag mit dieser fremden Identität ausführen, was an sich einen perfekteren Mord bedeutet, als ihn selbst Hitchcock je hätte imaginieren können.

Doch Vos kämpft – zum Unmut ihrer Vorgesetzten Girder (Jennifer Jason Leigh) – mit einem typischen Killerproblem: Emotionen. Nicht nur, dass sie immer noch Ballast in Form von Ex-Mann, der sie wiederhaben will, und Sohn mit sich rumschleppt, eigentlich soll sie am Ende jeden Auftrags den Wirtskörper mittels Selbstmord vernichten, doch sie schafft es nicht. Außerdem hadert Vos, da sie sich ständig in anderen Körpern aufhält, zunehmend mit ihrer eigenen Identität und wird im Alltagsleben, das sie mühsam versucht aufrecht zu erhalten, von gewalttätigen Visionen heimgesucht. Doch der nächste Auftrag ist besonders wichtig: Der reiche ITler John Parse (Sean Bean) soll aus dem Weg geräumt werden, damit der Auftraggeber, Stiefsohn Reid (Christopher Jacot) , dessen Firma erbt. An der hat Tasyas Arbeitgeber allerdings großes Interesse und deswegen wird nach erfolgter Tat die Übernahme via Erpressung angepeilt. Als Tasya aber in den Körper von Colin Tate (Christopher Tate), Liebhaber von Parses Tochter Ava (Tuppence Middleton), schlüpft, um den Patriarchen zu liquidieren, laufen die Dinge aus dem Ruder, denn Tate ist widerstandsfähiger als erwartet …

Possessor“ heißt auf Deutsch „Besitzer“ oder „Besitzerin“, im Film von Brandon Cronenberg, Sohn des kultisch verehrten David Cronenberg, dreht sich alles um Abhängigkeitsverhältnisse. Und damit ist nicht nur gemeint, dass Voss andere Menschen in Beschlag nimmt und benutzt, die Firma verfährt ähnlich mit Vos. Genauso befindet sich Tate bereits vor Vos’ Übernahme in Unfreiheit, er ist nicht nur der Anhang seiner reichen Freundin, er muss für deren mächtigen Kotzbrocken von Vater in einer kargen, trostlosen Firma, durch die ein orwellscher Geist weht, Data Mining betreiben, Menschen via Laptop-Kameras ausspionieren um Verbraucherinformationen zu sammeln. So wie Tasya Körper abschlachtet, beutet er sie aus.

Aus dieser an sich interessanten und mitreißend erzählten Dualität gewinnt die Geschichte leider aber nur sci-fi-handelsübliche Konzernkritik, was aber nicht viel macht, denn der eigentliche Reiz des Geschehens liegt in der Hauptfigur. Die wird nicht nur im Alltag von blutigen Bildern heimgesucht, sondern ändert gern Exekutionspläne zu Gunsten weitaus brachialeren Varianten (der Film ist alles andere als eine Metzelorgie, macht aber in gewissen Momenten absolut keine Gefangenen) kurzfristig und dabei schwingt mit, dass es sich nicht (nur) oder vielleicht gar nicht um Folgen ihrer Arbeit handelt, sondern in der so zart und fragil, aber undurchdringlich wirkenden Frau etwas schlummert, das durch ihren Job erst freigesetzt wurde, die Firma Tasya nicht verändert, sondern lediglich ihr wahres Wesen zum Vorschein gebracht hat. Pikanterweise richtet sich ihr penetrationsfreudiger Blutrausch nur gegen Männer und der mit großem Abstand krasseste, wirklich unangenehm anzusehenden Gewaltausbruch – okay, nur Sean Bean in einer üblichen Drecksack-Rolle, aber trotzdem: man kann kaum hinschauen! – kommt mit einem leicht sexualisierten Unterton daher, so dass man, auch angesichts des Finales, in dem Tasya sich selbst von der einen familiären (Haupt-) Last (Ex-Mann) und Girdner sie von der anderen (Kind) befreit, den Gedanken nicht ganz los kriegt, dass hier im außerdem ein klein wenig, wenngleich natürlich in allerextremster Form, von weiblicher Selbstermächtigung erzählt wird. Jedenfalls sind am Ende nicht Tasya und ihr Mann, ganz klassisch hollywoodesk, vereint, sondern Girder und ihr bestes Pferd im Stall näher gerückt, es ist zusammengekommen, was offenbar zusammengehört. Möglich dass hier einfach ein Rezensent unter der viehischen Sommerhitze leidet und vor sich hin schwurbelt, Cronenberg lässt in seiner eher profanen Story jedenfalls bewusst Leerstellen, die lange nachhallen.

Das Problem mit der deutschen Kinoauswertung: „Possessor“ ist vor allem anderen eine visuelle Pracht. Die kühlen, satt kolorierten, unheimlich inspirierten, oft wahnwitzig geschnittenen Bilder (eine Siegertreppchen-Szene, die wirkt wie zelluloidgewordenes Psilocybin: Tasya hat im Körper von Colin Sex mit Ava) von Top-Kameramann Karim Hussain sind für die große Leinwand gedreht und Jim Williams wie immer starker Soundtrack für die allergrößten Boxen komponiert, doch leider kommt – trotz FSK-18-Siegel – nur die entschärfte R-Rated-Fassung zum Einsatz, die noch guckbar ist, aber aus dieser prächtigen Bestie von Film letztendlich nun mal einen Tiger mit mindestens zwei Eckzähnen zu wenig macht (ein Vergleich zwischen gekürzter und ungekürzter Version findet sich hier).

„Possessor” läuft ab dem 1. Juli 2021 im Kino. Abb.: Metro Goldwyn Mayer/Kinostar

„Possessor“ • Großbritannien, Kanada 2020 • Regie: Brandon Cronenberg • Darsteller: Andrea Riseborough, Christopher Abbott, Rossif Sutherland, Tuppence Middleton, Sean Bean, Jennifer Jason Leigh

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