26. August 2021 2

„Tides“ - Wattwanderungen

Tim Fehlbaums enttäuschende Dystopie

Lesezeit: 3 min.

Deutsches Kino und Genre, warum klappt das eigentlich so selten? Klar, für aufwändige Science-Fiction müssten Budgets vorhanden sein, die in Deutschland nur ganz selten zur Verfügung stehen, aber um Spannung zu erzeugen reichen – wenn man es kann – auch einfache Mittel. So wie in Tim Fehlbaums Debütfilm „Hell“, der auf Sardinien gedreht wurde und die dort ohnehin herrschende sengende Sonne für eine Dystopie nutzte, in der der Klimawandel die Erde fast unbewohnbar gemacht hat.

Vor allem originell war der Ansatz, intensiv gefilmt und damit ein überraschender Film, alles Merkmale, die Fehlbaum beim lange erwarteten Nachfolger „Tides“ nun vermissen lässt. Mehr Geld hatte er zur Verfügung, einen Hollywood erfahrenen Kameramann, aber leider kein gutes Drehbuch.

Zwei Generationen ist es her, dass ein kleiner Rest der Menschen die Erde verlassen hat, um auf einem anderen Planeten Exil zu finden. Umweltzerstörung, Kriege und Pandemien hatten den Heimatplaneten unbewohnbar gemacht, doch nun sollen bemannte Missionen feststellen, ob sich die Lage geändert hat. Ein erstes Raumschiff mit dem Namen Ulysses 1 ist verschollen, ein anderes gerade unterwegs. An Bord: Die Astronautin Blake (Nora Arnezeder), deren Vater mit an Bord der Ulysses 1 war und scheinbar verschollen ist.

Doch die Landung auf der Erde verläuft unsanft, mitten in einer desolaten Wattlandschaft findet sich Blake plötzlich wieder, umgehen von nichts als Nebel, Wasser und Matsch. Bis plötzlich seltsame Nomaden auftauchen, die in unterschiedlichen Sprachen sprechen, sich Muds nennen und mit anderen Stämmen blutige Konflikte ausfechten. Bald stößt Blake sogar auf Überlebende der Ulysses 1-Mission, doch ausgerechnet ihr Vater ist angeblich verstorben. Nur langsam beginnt sie zu durchschauen, welches Spiel gespielt wird.

So langsam Blake realisiert, was es mit dem nur vorgeblich freundlichen Gibson (Iain Glen) auf sich hat, der die Fäden des Konflikts zwischen den Stämmen in der Hand zu haben scheint, so schnell durchschaut der Zuschauer das Geschehen. Hat man schon mal den ein oder anderen postapokalyptischen Endzeit-Film von „Mad Max“ über „Waterworld“ bis „The Road“ gesehen oder ein wenig in eine der unzähligen Serien zum Thema reingeschaut, die Netflix, Amazon oder einer der anderen Streaming-Dienste geradezu im Wochentakt veröffentlichen, dann kennt man auch die Geschichte von „Tides“.

Dass Tim Fehlbaum und seine Co-Autorin Mariko Minoguchi (die vorletztes Jahr mit ihrem eigenen Debütfilm „Mein Ende, Dein Anfang“ begeisterte) sich in bekannten Gefilden bewegen, sich hier einen Einfall borgen, dort eine Inspiration hernehmen, ist bei diesem Genre kaum zu vermeiden. Bedauerlicher ist, wie wenig durchdacht die Welt wirkt, von der in „Tides“ erzählt werden soll. Was für eine Katastrophe das gewesen sein soll, die offenbar kaum einen Stein auf dem anderen gelassen hat, so dass die wenigen Überlebenden in Hütten auf dem Wattenmeer oder baufälligen Ruinen hausen, hätte man ebenso gerne erfahren, wie eine Erklärung für das seltsame Sprachgemisch, das offenbar in kaum 60 Jahren die Lingua Franca Englisch verdrängt hat.

Vieles bleibt im Ansatz stecken, die Figurenverhältnisse werden angedeutet, aber nicht ausgebaut, ökologische Themen spielen ein bisschen eine Rolle, aber nicht wirklich, mehr als eine Variation inzwischen allzu bekannter Sujets hat „Tides“ inhaltlich nicht zu bieten. Doch zumindest visuell ragt er deutlich über den Standard des deutschen Kinos hinaus. In markanten Ruinen und einem nachgebauten Wattenmeer wurde gedreht, Sets, die vom Hollywood erfahrenen Kameramann Markus Förderer in stimmungsvolle Bilder eingefangen werden. Zumindest in stilistischer, atmosphärischer Hinsicht kann sich Tim Fehlbaums „Tides“ mit internationaler Konkurrenz messen, inhaltlich bleibt er leider allzu Deutsch.

Abb.: Constantin Film

Tides • Deutschland/ Schweiz 2021 • Regie: Tim Fehlbaum • Darsteller: Nora Arnezeder, Iain Glen, Sarah-Sofie Boussnina • ab 26.8. im Kino

Kommentare

Bild des Benutzers fammann

Tides war ein fantastischer Film. Absolut super. Ich fand ihn sehr viel besser als Hell. Ich kann die Argumente des Reviewers nicht nachvollziehen. Sehr zu empfehlen.

Bild des Benutzers fammann

Dass nicht viel erklärt und nicht alles ausgedeutscht wird fand ich eher einen Pluspunkt als ein Negativ.

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