Twin Peaks ist zurück!
Die erste neue „Twin Peaks“-Doppelfolge
Warum erhält eine Serie nach über 25 Jahren plötzlich neue Folgen? Hierzu können wir zunächst auf unser „Twin Peaks“-Feature verweisen. Für alle anderen: Einsteigen, die Achterbahnfahrt geht los. Ticket-Abreißer, Kontrolleure und Architekten? David Lynch und Mark Frost.
Dass sich David Lynchs Stil in den letzten 27 Jahren verändert hat, dürfte allen klar sein. Und dass wir keine Blaupausenkopie in Form neuer Episoden bekommen werden, war zu wünschen. Aber was kann uns denn der Großvater der modernen Episodenunterhaltung noch Neues zeigen? Die Antwort ist: So einiges!
Eines vorweg: Bereits 2015 sagte David Lynch, dass der oft verschmähte Film „Twin Peaks: Fire Walk With Me“ zum Verständnis des Mythos und der neuen Episoden nötig sein wird. Die zweistündige Premiere macht dies eindeutig klar. Unwissende oder Gelegenheitszuschauer werden sich wohl fragen, auf was für einem Drogentrip man sich hier eingelassen hat. Aber dazu später mehr.
Die zweite Staffel der Kult-Mystery-Serie endete gleich mit mehreren Cliffhangern, von denen der wohl größte das Schicksal von FBI-Agent Dale Cooper (Kyle MacLachlan) betraf. Dieser blieb in der Black Lodge – der bösen Samtvorhangs-Dimension – gefangen, während sein Körper von Serienmörder BOB (gemimt vom verstorbenen Frank Silva) übernommen wurde. Gleich zu Beginn der neuen Doppelfolge wird Bezug genommen auf die mysteriöse Sequenz aus der Original-Serie in der Laura Palmer (Sheryll Lee) einem sichtlich gealterten Cooper sagt, sie sehen sich in 25 Jahren wieder. Und „unser“ Dale Cooper steckt tatsächlich immer noch im geisterhaften Purgatorium der Black Lodge fest. In der Realität hat sich indes der „böse“ Doppelgänger Dale Coopers (samt trashigen Vokuhila) ein eigenes, mordlüsternes Leben gemacht. Und er ist nicht der einzige böse Geist aus der Black Lodge, der sein Unwesen in der Welt treibt.
David Lynch ist ein polarisierender Regisseur, dessen Markenzeichen es geworden ist, dem Zuschauer nichts vorzukauen. Die neuen „Twin Peaks“-Episoden strotzen nur so von seinem „aktuellen“ Touch, der in den ersten zwei Staffeln bereits spürbar war, in „Fire Walk With Me“ aber prävalenter wurde, und später in Filmen wie „Lost Highway“ und „Mulholland Drive“ zum Alleinstellungsmerkmal wurden: langatmige Kameraeinstellungen, bizarr lange Pausen zwischen Antworten und Reaktionen der Protagonisten und dieser gewisse Kamerafilter, der zwischen „Seifernoper“ und „Film“ angesiedelt ist. Es sind Eigenheiten, an die man sich als Zuschauer erst einmal gewöhnen muss. Erst recht, wenn man nicht mit Lynchs Werken vertraut ist. Dadurch kann das ganze etwas gestelzt wirken und es hinterlässt das leicht unangenehme Gefühl als ob man gerade in die Generalprobe eines Theaterstücks geplatzt ist, während alle Schauspieler auf der Bühne aufblicken. Andererseits erschafft diese zunächst monotone Darstellung eine ganz eigene, drückende Atmosphäre, welche immer dicker und dicker wird, bis sie plötzlich schallend explodiert. Wie der Tweener in der Premiere, der die ganze Zeit nur auf einen leeren Glaskasten starrt, in seiner zehrenden, minutenlangen Monotonie. Und langsam aber sicher macht sich das Gefühl von Furcht und Grauen breit. Ein höchst umstrittener aber eben typischer Lynch-Effekt.
Zur Geschichte selbst ist zu sagen: Noch ist nicht klar, in welche Richtung sich das Ganze in den 18 Episoden entwickeln wird. Besonders der noch fehlende Bezug zu allen tragenden Rollen der Ursprungsserie wie James Hurley, Doktor Jacoby oder Benjamin Horne wirkt befremdlich. Die größte Zeit spielt die Premiere der neuen Staffel nämlich nicht im Örtchen Twin Peaks selbst statt, sondern quasi überall anders: in South Dakota, New York, etc. Das beschauliche Städtchen bekommen wir kaum zu Gesicht und selbst die alten Figuren werden ohne Glanz und Glorie eingeführt. So manche Szene wirkt gar befremdlich fehl am Platz, wenn man nicht weiß, dass diese oder jene Figur einst eine wichtige Rolle in den ersten zwei Staffeln einnahm. Das wie und warum der zunächst separaten Handlungssequenzen wird wohl eine der spannendsten Aspekte der Serie sein. Vom alten Cast tragen bislang lediglich Chief Deputy Hawk und die Holzscheit-Lady Margaret zur großen Geschichte bei, die sich aktiv auf die Suche nach Agent Cooper begeben. Von Seriengrößen wie Sheriff Harry Truman, Audrey Horne oder Donna Hayward fehlt in den ersten beiden Stunden noch jede Spur.
Auf der anderen Seite sind die Bewohner der Black Lodge wie der Riese und Phillip „MIKE“ Gerard, der einarmige Mann, sofort ins Geschehen eingebunden. Zwei Präsenzen werden schmerzlich vermisst: Der verstorbene Frank Silva, der Bösewicht BOB mimte und Michael J. Andersons „Man From Another Place“. Letzterer ist der rückwärtssprechende kleinwüchsige Bewohner der Black Lodge, der Dale Coopers Sprachrohr war. Die Hintergründe der Ausscheidung Andersons sind bis heute verwaschen und unklar. Mark Frost und David Lynch umgehen diesen Ausfall aber gewohnt bizarr, wenn man sich „Fire Walk With Me“ ins Gedächtnis ruft: Dort wird deutlich, dass es sich bei Andersons Charakter um MIKEs abgeschnittenen Arm handelt und sich dieser nun verändert hat. So wird aus dem roten Zwerg kurzum ein elektrischer Baum samt Gehirn. Ebenso taucht die Figur des Phillip Jeffries in Form eines Telefongespräches auf, der in „Fire Walk With Me“ von David Bowie gespielt wurde. Dieser sollte ebenfalls im Revival einen Auftritt haben, was durch dessen Tod unmöglich wurde. Wenn man jedoch den „Twin Peaks“-Film nie sah, werden diese essentiellen Storyelemente komplett vorbeirauschen. Das neue „Twin Peaks“ setzt – bislang – unmissverständlich Kenntnis und Verständnis der Serie und des Films voraus, was für sich schon kein leichtes Unterfangen ist.
Der „Twin Peaks“-Aufguß macht vieles richtig: Die Stimmung ist düster, und wirkt nochmals „erwachsener“ als beim Original. Auch von den Möglichkeiten, die der US-Pay-TV-Sender Showtime bietet, wird Gebrauch gemacht, etwa wenn Blut spritzt und so manch grausiger Anblick enthüllt wird. Der trächtige Humor der Serie hält sich hier aber noch etwas versteckt und scheint nur in kleinen Szenen durch. Wir gehen davon aus, dass dieser sich erst wieder in voller Pracht zeigen wird, wenn sich die Geschehnisse auf das skurrile Städtchen Twin Peaks selbst konzentrieren. Ebenso erzählt das Revival kompromisslos die damalige Geschichte weiter, was zwar neue Zuschauer ohne Vorwissen komplett vor den Kopf stoßen wird, dafür aber keine Sekunde Zeit mit ausgetretenen Pfaden verschwendet. Nach der Sichtung der Doppelfolge wird sich den meisten Zuschauern sofort die Frage aufdrängen „Was soll dieser esoterische Unsinn überhaupt?“, während dem geneigten „Twin Peaks“-Fan sofort das Herz höher schlägt und wieder klar wird, was die letzten 25 Jahre lang gefehlt hat.
Wer Interesse am neuen „Twin Peaks“ entwickelt hat sollte damit nicht zögern, aber unbedingt zuerst die Ursprungsserie und den Film sehen. Denn ohne diese wird wird „Twin Peaks“ nur nach kaltem Kaffee schmecken.
Das neue „Twin Peaks“ ist ab morgen, dem 25. Mai 2017 auf Sky Deutschland zu sehen. Abb. © 2017 - Showtime
Kommentare