5. Februar 2020

Zwischen Traum und Realität

Der russische Science-Fiction-Film „Coma“ überrascht vor allem visuell

Lesezeit: 3 min.

Denkt man an russische Science-Fiction, kommen zuerst Autoren wie Arkady und Boris Strugatsky in den Sinn oder ein Regisseur wie Andrei Tarkowski, die größeres Interesse an philosophischen Fragen haben als an purer Fantastik. In den letzten Jahren entwickelt sich im russischen Kino dagegen eine Schule, die sich mehr am amerikanischen Blockbuster-Kino orientiert und bildgewaltige Abenteuer auf die Leinwand bringt. Dmitriy Grachevs „Vychislitel“ etwa oder vor allem Sarik Andreasyan „Guardians“, der vor drei Jahren auch einen kleinen Kinostart in Deutschland hatte und sich deutlich an Vorbildern aus dem Marvel-Kosmos orientierte.

Einer der Produzenten jenes Films war Nikita Argunov, der nun als Autor und Regisseur das durchaus bemerkenswerte Regiedebüt „Coma“ vorlegt. Ganz ungeniert bedient er sich dabei bei großen Vorbildern, vor allem Christopher Nolans „Inception“ und „Matrix“ von den Wachowskis standen Pate.

So wie einst Keanu Reeves Neo wacht hier Viktor auf, in der scheinbar realen Welt. Doch bald stellt er fest, dass diese Welt ein überbordendes, assoziatives Konstrukt aus den Erinnerungen der überlebenden Menschen ist. Der Big Ben steht hier neben dem Eiffelturm, quer darüber das Chrysler Building, denn nicht nur ist hier einiges durcheinander geraten, es wirkt wie eine Welt aus der Imagination M.C. Eschers.


Wenn die Golden Gate Brücke plötzlich über Bäumen hängt …


… kann man schon mal etwas Trost gebrauchen. „Coma“, Capelight Pictures

Einige Rebellen, klassisch rebellenhaft in Leder gekleidet, tätowiert und notorisch grimmig, haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Menschen aus ihrem Joch zu befreien und gegen die so genannten Reaper zu beschützen. Diese finsteren Wesen haben die unschöne Eigenart, Materie aufzusaugen, was zu sehr schönen Bildern führt: Angeknabberte Hochhäuser stehen auf grünen Wiesen, auf denen auch Kühe weiden, denen der halbe Magen fehlt.

Nun ist Viktor nicht zufällig in diese Welt geraten, sondern wurde von den Rebellen aus einem ganz bestimmten Grund gerettet: Er ist Architekt und als solcher mit einer besonders blühenden Phantasie gesegnet. Eine Phantasie, die er nun dazu verwenden soll, mit schierer Vorstellungskraft Welten entstehen zu lassen.

Vor allem die Bilder, die Argunov hier auf die Leinwand zaubert, sind beeindruckend, surreale Welten voller Imagination und auch – trotz eines im internationalen Vergleich eher bescheidenen Budgets – voller Qualität. Inhaltlich bewegt er sich dagegen eher im soliden B-Picture Bereich, bedient sich mit dann doch wieder amüsanter Chuzpe bei allen Vorbildern, teilweise bis ins Detail: Figurennamen wie Tank oder Link hören sich sehr bekannt an und auch der essentielle Satz des Antagonisten: „Wissen ist der Ursprung aller Probleme“ klingt wie das Gegenstück zu einem der Kernsätze aus der „Matrix“: „Ignorance is bliss.“

Wobei natürlich auch die Wachowskis bei ihrem Klassiker nicht nur auf ihre eigenen Ideen vertrauten, sondern sich quer durch Hoch- und Subkultur zitierten, womit Nikita Argunov dann letztlich ein Bruder im Geiste ist. Auf schöne Weise variiert er das Topos von Traum und Wirklichkeit, von realer und imaginierter Welt, vom Kampf um Freiheit von Körper und Geist und liefert damit eine willkommene Abwechslung von Marvel und Hollywood.

„Coma“ startet am 6. Februar in ausgewählten Kinos. Abb.: Capelight Pictures

Coma • Russland 2019 • Regie: Nikita Argunov • Darsteller: Aleksey Serebryakov, Albert Kobrovsky, Milos Bikovic

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