2. November 2020

„Ghostrunner“: Hit and Run

Furiose Cyberpunk-Action für Hardcore-Gamer

Lesezeit: 5 min.

Gleich eines vorweg: Wer mit bockschweren Games, die Spieler von der ersten Minute an fordern und auch im Fortlauf keinen Millimeter vom Gas gehen, nichts anfangen kann, braucht eigentlich gar nicht weiterlesen. Regelrecht auf die Probe gestellt zu werden, kann natürlich schnell in Frust ausarten, doch Ghostrunner gelingt das Kunststück, aus dieser Prämisse ein richtig motivierendes Erlebnis zu zimmern – wenn man eben nicht gleich nach einer halben Stunde das Gamepad in die Ecke pfeffert und den Kauf bitter bereut. Mit welchen Mitteln das diesem seit letzter Woche auf PS4, Xbox One und PC (kommt auch bald für PS5, Xbox Series X und Switch) für rund 30 Euro erhältlichen Actionfest genau gelingt, wollen wir im nachfolgenden Test klären.

Eine ziemlich atemberaubende, auch aufgrund des treibenden Soundtracks äußerst stimmungsstarke Anfangssequenz gibt den Ton von Ghostrunner vor. In einer düsteren Zukunftsvision verschlägt es uns in eine typische Cyberpunkstadt voller Neonlichter und Hochhausfassaden, in der unser Avatar, ein flinker Cyberkrieger mit Katanaschwert, gegen die Schergen der Schlüsselmeisterin Mara in die Schlacht zieht. Mit blitzschnellen Moves schnetzelt sich der mechanisch wirkende Krieger durch die Feindesreihen, ehe ihm oben an einem Turm die an Marvels Dr. Oktopus erinnernde Mara mit ihren metallischen Fangarmen scheinbar ein Ende bereitet und den geschlagenen Krieger in den Abgrund wirft. Unten angekommen, endet die Sequenz und wir werden von einer mysteriösen Stimme angeleitet, trotz unserer Verletzungen schnell das Weite zu suchen, da uns Maras Schergen bereits auf den Fersen sind. Bevor wir uns regenerieren und die Lage neu ordnen können, müssen wir erstmal durch einige verdreckte Straßen und Kanäle entkommen.

Diese Flucht hat es bereits nach wenigen Minuten in sich. Angelegt als Tutorial erlernen wir die Moves unseres aus der Ego-Sicht spielbaren Helden, der nicht nur in dieser Hinsicht den Figuren und Spielmechaniken eines Mirror´s Edge ähnelt. Neben Fähigkeiten wie Schwertattacken, Ducken und Rennen sind es vor allem zwei Optionen, die uns sofort fordern. Denn Ghostrunner ist wie Mirror´s Edge ein echter Parcour-Titel, was nichts anderes heißt, als dass wir uns mittels Walrun oder Bullit-Time-Mechanik fast ständig über vertrackte Abgrund- und Hindernispassagen bewegen und Gegner in atemloser Geschwindigkeit zu Kleinholz verarbeiten – vorausgesetzt, wir beherrschen die zwar nicht komplexe, aber auf den Punkt angesetzte Steuerung. Da uns die Gegner schon zu Beginn zielsicher via Laserkanonen ins Visier nehmen und wir abseits möglicher Abstürze während unserer akrobatischen Aktionen schon bei nur einem Treffer selbst das Zeitliche segnen, ist Ghostrunner von Anfang an eine echt knackige Herausforderung.

Um als nicht so talentierter Zocker aber nicht völlig zu verzweifeln, haben die Entwickler auf zwei wesentliche Aspekte geachtet. Zum einen sind die Checkpoints fair gesetzt und die Ladezeiten zwischen Tod und Retry auf ein absolutes Minimum begrenzt. Wer getroffen wird oder abstürzt, ist praktisch sofort wieder an der Stelle des Scheiterns und kann es erneut versuchen. Zum anderen stecken die Gegner wiederum selbst meist(!) nur einen Treffer ein und dank der übernatürlichen Kräfte und einer hohen Grundgeschwindigkeit unseres Ninjas, können wir Gegnern elegant ausweichen.

Wer also durchhält, wird zwar nie mit dem Gefühl totaler Überlegenheit belohnt, aber es kann sehr befriedigend sein, zwischen mehreren Wellblechtafeln hin und her zu springen, abgefeuerten Projektilen mithilfe einer Laserliane oder eines Fokussprungs auszuweichen und eben noch auf uns feuernde Gegner einen Flügelschlag später in feine Scheibchen zu hacken. Jeder Abschnitt – man möchte fast sagen jedes Element – der in insgesamt 17 Level unterteilten Kampagne ist genau auf unsere Fähigkeiten abgestimmt. Zufälle und alternative Lösungswege gibt daher eigentlich nicht, aber auch dank der eben erläuterten Erleichterungen fühlt man sich nie vom Gameplay verschaukelt, sondern eher (sehr oft) dabei ertappt, zu hastig oder zu unüberlegt vorgegangen zu sein – Verfechter des Soulslike-Genres (also per se hammerharten Spielen wie Dark Souls oder The Surge) werden jetzt wohlig schmunzeln. So entsteht das Paradox, dass wir uns selbst nach zig Toden während eines Levels nicht wie ein schlechter Spieler vorkommen.

Ein weiteres Plus des reinen Singleplayers (es gibt keine weiteren Modi) besteht darin, dass jedes Kapitel optisch Abwechslung bietet und sich unser Ninja auch im Verlauf mit weiteren Upgrades aufmotzen lässt. Letzteres geschieht in speziellen Cyberspace-Räumen, in denen sogar die Lösung kleinerer Rätsel auf dem Programm steht. Eine gar nicht mal so unwillkommene Zwischenalternative zur Nonstop-Action. Zumal sich auch das Skillportfolio sehen lassen kann. Unser Katana erweitert sich u.a. um eine schussfähige Energiewelle, einen gewaltigen Umgebungshieb oder eignet sich dazu, gegnerische Geschosse abzuwehren.

Die 17 Gebiete servieren uns neben stets düsteren  Umgebungen inklusive Hindernissen wie Rohren, Baukränen oder Konstruktionsplatten natürlich auch unterschiedliche Gegnerklassen, die sich etwa mit Energieschildern vor unseren Attacken schützen und die wir daher oft nur auf Umwegen ausschalten können. Gerade zum Ende der Kampagne ist daher auch Köpfchen bei aller Geschwindigkeit Pflicht. So müssen wir etwa an besagten Schildgegnern erst vorbei, um ihrem Schutz an Generatoren den Saft abzudrehen und Scharfschützen oder ebenfalls wieselflinke Kämpfer verlangen den richtigen Weg zu ihnen oder eine andere Strategie – und das bei gerne auch mal beweglichen Untergründen und immer fieseren Schikanen. Da braucht es dann schon die stets treibenden Technobeats im Hintergrund, um unser Adrenalin einerseits hochzuhalten, andererseits aber auch, um manchen Wutausbruch nach dem Scheitern zu überdecken.

Gegner mit einer Klinge zu zerteilen klingt dabei natürlich rabiat und Ghostrunner macht auch bei der Gewalt tatsächlich nur wenig Gefangene, wird aber als FSK 16-Titel auch nie dauerhaft zu blutig, um nachhaltig abzuschrecken. Ein richtiger Hingucker und Treiber des Geschehens ist im Übrigen die wirklich hervorragend umgesetzte Cyberpunk-Atmosphäre. Die begeistert technisch zwar trotz einiger karger Umgebungen (die aber aufgrund des Themas nachvollziehbar sind) und Animationen mit starken Licht- und Wassereffekten und in der von uns gespielten PS4-Fassung traten weder markante Slowdowns noch andere Einbrüche selbst bei hohem Tempo auf. Die Sprecher legen einen soliden Job hin, allerdings bleibt die Story um unseren auf Rache sinnenden Ninja eher im Hintergrund und entwickelt keinen eigenen Sog – immerhin werden aber gerade durch die uns begleitende KI mehrfach klassische Mensch-Maschine-Themen angekratzt, die Ghostrunner ein wenig über das Maß kompletter Belanglosigkeit heben. Der fast unweigerliche Flow erfasst Spieler aber definitiv nur über die Parcoure und deren Finessen.

Fazit

Heftig schwere, aber berauschende Cyberpunk-Action aus der Ego-Perspektive, die mit ausgefuchstem Gameplay und knackiger Atmosphäre begeistert – wenn man dem Schwierigkeitsgrad standhält.

Ghostrunner • One More Level/3D Realms, Slipgate Ironworks • Action • PS4/Xbox One/PC

Abb. © 505 Games/All in! Games

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