10. April 2020 2 Likes

Streaming-Tipp: „Atlantique“

Mati Diops magisch-realistisches Debüt

Lesezeit: 2 min.

Die Geister kommen Nachts, und nicht nur Ada, die Hauptfigur von Mati Diops Debütfilm „Atlantique“ weiß lange nicht, was sie davon halten soll. Auch als Zuschauer ist man gleichzeitig verwirrt, irritiert und überrascht von diesen Erscheinungen, von mysteriösen, magischen Ereignissen, denn eigentlich hatte „Atlantique“ durch und durch realistisch begonnen.

In Senegal begann die Geschichte, mit der Flucht von Souleiman (Ibrahima Traore), der es wie so viele seiner Landsleute nicht mehr aushielt, nicht mehr auf Baustellen zu arbeiten, schlecht und oft auch gar nicht bezahlt zu werden. Er hat den Sprung nach Europa gewagt, ist in eine Piroge gestiegen, mit Dutzenden anderen und hat gehofft. Seiner Freundin Ada (Mame Bineta Sane) hat er von seinen Plänen nichts erzählt, vielleicht um sie zu schützen, vielleicht aber auch, weil er sich ihrer nicht ganz sicher war. Denn Ada soll in ein paar Tagen den wohlhabenden Omar (Babacar Sylla) heiraten, der die meiste Zeit des Jahres in Italien lebt und gutes Geld verdient, die Verbindung nach Hause aber mit einer arrangierten Ehe festigen will. Nur drei Monate pro Jahr wäre er zu Hause, so versuchen Adas Freundinnen ihr die Ehe schmackhaft zu machen. Doch die sichere Existenz, die ihr Omar bieten würde, sind nicht genug für Ada.

Bevor sie jedoch Souleiman sagen konnte, dass sie mit ihm weg, vor allem mit ihm zusammen sein will, da war er schon verschwunden – und wurde vom Meer verschluckt. Dass er tot ist, beginnt Ada bald zu ahnen, spätestens dann, als ihr Ehebett in Flammen aufgeht und jemand Souleiman als Täter ausgemacht zu haben scheint.

Ein erstaunliches Debüt legte die bislang nur als Schauspielerin bekannte Mati Diop letztes Jahr in Cannes (wo der Film den Großen Preis der Jury erhielt) vor, einen Film, der weit über eine einfache Flüchtlingsgeschichte hinausgeht, der mit Genre-Motiven spielt und das mit erstaunlicher Souveränität. Diop wurde zwar in Paris geboren, doch ihre Wurzeln liegen im Senegal, ihr Onkel ist der Filmemacher Djibril Diop Mambéty, dessen „Touki Bouki“ einer der wichtigsten Filme aus Afrika ist. Ihr Debüt als Schauspielerin hatte sie in „35 Rum“ von Claire Denis, von der sie augenscheinlich viel gelernt hat, ein Gespür für Bilder und Atmosphäre, vor allem den Mut, aus erzählerischen Konventionen auszubrechen.

Wie sie „Atlantique“ leichtfüßig von sozialem zu magischem Realismus bewegt, aus einer im Ansatz konventionellen Flüchtlingsgeschichte einen vielschichtigen Film über Mythen und Träume der in der Heimat zurückgelassenen macht, ist außerordentlich. Gerade der Schwenk zum Phantastischen, zu Geistererscheinungen und Momenten, die an Voodoo erinnern, machen die Spannung einer Liebesgeschichte aus, in der sich die Liebenden lebend kaum begegnen, dafür aber in der Zwischenwelt zwischen Leben und Tod.

Atlantique • Frankreich 2019 • Regie: Mati Diop • Darsteller: Mame Bineta Sane, Ibrahima Traore, Babacar Sylla • auf Netflix verfügbar

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.