20. Februar 2019

In der Stasisblase

„Der Friedenskrieg“ von Vernor Vinge, ein Meisterwerk der Science-Fiction

Lesezeit: 3 min.

1984 war natürlich das Orwell-Jahr, auch wenn die Welt dann doch nicht so aussah, wie der englische Autor sich das vorgestellt hatte. Apple wollte der Sache gleich den Wind aus den Segeln nehmen und sendete zum Verkaufsstart des ersten Macintosh-Rechners einen legendären Spot (den Ridley Scott inszenierte), der Big Brother mal eben den Zahn zog. Doch die Welt befand sich noch im Kalten Krieg, und in der größten Hit-Single des Jahres schickten Frankie Goes to Hollywood „Two Tribes“ in den Krieg, begleitet von einem Video, in dem die Staatsoberhäupter der Blöcke in den Ring stiegen und die Welt unterging. US-Präsident Reagan war auch ein Witzbold und kündigte im August bei einer Mikrofon-Sprechprobe die Bombardierung der Sowjetunion an. Was in der UdSSR gleich mal Alarmstufe Rot auslöste. Ein dummer Scherz als Ursache für den 3. Weltkrieg, es hätte wohl niemanden gewundert. 1984 war ein Jahr, in dem sich Galgenhumor und Hysterie die Waage hielten.

Und 1984 veröffentlichte der 1944 geborene US-Autor und Mathematik-Professor Vernor Vinge auch seinen Roman „The Peace War“ (dt. „Der Friedenskrieg“, in der Reihe Meisterwerke der Science-Fiction; im Shop), erst im Magazin Analog, dann als Buch. Und man sollte den Roman auch mit dem Kalten Krieg im Hinterkopf lesen, um besser zu verstehen, was Vinge da eigentlich macht.

Der„Friedenskrieg“ spielt im Jahr 2048 und der Kalte Krieg ist seit 50 Jahren Geschichte. Denn im späten 20. Jahrhundert erfanden ein paar Wissenschaftler eine „Waffe“, die jedem Krieg ein Ende machte. Wie? Indem man alles, was unerwünscht ist und gefährlich sein könnte „verblast“. Waffen, Menschen, ganze Städte verschwinden in den Kraftfeldern, von denen niemanden weiß, was in ihrem Innern eigentlich geschieht. Was von den Blasen umhüllt wird, das entscheidet das „Friedensamt“ mal eben zum Wohle aller, ob es ihnen passt oder nicht. Wissenschaftlicher Fortschritt und Meinungsfreiheit verschwinden so gleich mit, denn dieser Unfug hat ja nun genug Unglück über die Menschheit gebracht.

Nicht alle akzeptieren die absolute Macht des Amts, und so entsteht eine Widerstandsbewegung – die Bastler –, die das „friedliche“ Regime abschaffen will. Im Verborgenen tüftelt man an Technik, die dem Amt überlegen ist – während man gleichzeitig zwangsweise zu Pferd und Wagen zurückgekehrt ist. Und dann platzt eine der Blasen und es zeigt sich, dass die Menschen, die darin eingeschlossen waren, keineswegs gestorben sind, wie man allgemein angenommen hat. Die Eingeschlossen waren nur in „Stase“, für sie war die Zeit stehen geblieben …

Aus dieser Konstellation entwickelt Vinge einen durchaus actionorientierten Roman, der zwar naturgemäß in der Zeit seit seiner Entstehung etwas „gelitten“ hat, aber dennoch zwingende Fragen stellt nach Macht und Machtmissbrauch, nach Technik und Technikgläubigkeit, ob Sicherheitsinteressen von Privatfirmen kommerziell ausgebeutet werden sollten, ob alles, was machbar ist, auch gemacht werden darf. Fragen, die sicher nichts von ihrer Dringlichkeit verloren haben.

„Der Friedenskrieg“ reiht sich damit ein in den Kanon jener großen Dystopien, die man ruhig von Zeit zu Zeit mal rausholen sollte. Auch nach 1984.

Vernor Vinge: Der Friedenskrieg (The Peace War) • Roman • Aus dem Amerikanischen von Rosemarie Hundertmarck • Wilhelm Heyne Verlag, München 2018 • 432 Seiten • Preis des E-Books € 9,99

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