1. September 2024

„Urotsukidoji: Legend of the Overfiend“

Dystopischer Schmuddel-Klassiker in Edel-Edition

Lesezeit: 5 min.

Hach, „Urotsukidoji“ – ich werd nie den freudigen Moment vergessen, als mir irgendwann in der ersten Hälfte der 90er-Jahre jemand eine VHS-Kassette mit „Urotsukidoji“ in die Hand drückte. Welcher Teil der vierteiligen Saga das war, hab ich vergessen und war sowieso nicht relevant, wichtig war für mich pickligen, dauergeilen Teenager mit übergroßem Interesse an allem, was irgendwie „schlimm“ klang, an absolut allem, was Erwachsene naserümpfend ablehnen, dass es ordentlich Schmutz zu sehen gab.

Tentakelmonster, die über Schulmädchen herfallen! Sex! Splatter! Splatter-Sex! Und alles schön explizit! Es fiel sogar das Wort „Porno“! Was hatte ich nicht alles gehört – das musste ich sehen! „Urotsukidoji“ sollte ein einziger in Trickfilmbilder gegossener Angriff auf den so genannten „Guten Geschmack“ sein. Und, oh yes, ich wurde nicht enttäuscht und machte mich alsbald auf die Suche nach weiteren Teilen, was zu dieser Zeit nicht gerade einfach war, vor allem dann nicht, wenn man unzensierte Versionen sehen wollte.

Was ich erst in späteren Jahren, als ich anfing, mich intensiver mit dem Thema Film zu beschäftigen, erfuhr: Ja, „Urotsukiodji“ ist Schmuddelkram, aber nicht irgendein Schmuddelkram. Der dystopische Sci-Fi-Sex-Horror-Comedy-Mix von Hideki Takayama (Regisseur der ganzen Reihe), der auf einem Manga von Toshio Maeda basiert, wird in Texten zur Geschichten des Animes ganz gerne mal unter dem Tisch fallen gelassen, hat aber durchaus einen ähnlichen Stellenwert wie „Akira“ (1988) oder „Ghost in the Shell“ (1995). Das Blut-und-Samen-Epos sorgte natürlich für große Kontroversen, war aber international überaus erfolg- und einflussreich und machte die tief in der japanischen Historie verankerte „Tentakel-Erotik“ nicht nur zu einem gängigen Motiv im Hentai-Anime, sondern weit über Japans Grenzen bekannt. So nutzte Madonna 2001 während ihrer „Drowned World“-Tour Ausschnitte aus „Legend of the Overfiend“, 2006 empfahl Rap-Legende Ice-T den Anime in seiner Fernsehsendung „Ice TV: The Cult S#!t“ und es würde angesichts seines jüngsten Films „Rebel Moon“ nicht wundern, wenn auch Zack Snyder mit „Urotsukidoji“ oder ähnliche Kost wie die ebenfalls von Maeda kreierte „La Blue Girl“-Reihe in Berührung gekommen ist. Denn das dürfte der erste US-Big-Budget-Realfilm sein, in dem ein Tentakelmonster in einem sexuellen Kontext zu sehen ist (der Director’s Cut macht die Verbindung zu Maeda & Co. noch deutlicher).

Doch warum geht’s eigentlich? Die Grundhandlung geht so: Neben der Menschenwelt gibt es noch Jujinkai und Makai, die Reiche der Menschenbiester und der Dämonen. Einer alten Legende zufolge erscheint alle 3000 Jahre ein Wesen namens Chojin in unserem Universum. Die Prophezeiung besagt, dass es die drei Welten vereinigen und das Ewige Königreich erschaffen wird. Durch die Ankunft Chojins wird deutlich werden, dass die Menschheit nicht die Krone der Schöpfung ist. Der Tag des Jüngsten Gerichts steht kurz bevor, als das Wesen sein Antlitz zeigt und alle Männer, die seinen Weg kreuzen, geradezu zerfetzt. Die Frauen hingegen sollen ihm als Brutherd dienen …

Die große Frage lautet nun: Funktioniert das jetzt, Jahrzehnte später, in den Augen eines erwachsenen, deutlich kultivierteren Lustmolchs immer noch? Durchaus, wenngleich anders als zuvor. Natürlich, die Wildheit, die ungezügelte Lust auf die Kacke zu hauen, mutet mittlerweile etwas juvenil an, wenngleich die Konsequenz mit der hier in die Vollen gegriffen, jede noch so obszöne Idee in die Tat umgesetzt wurde (auf Beschreibungen wird verzichtet, das ist ein anständiges Magazin!), durchaus beeindruckt.

Wodurch das Ganze einen eigentümlichen Reiz gewinnt: Das todernste, zappendustere Rumgesaue wird mit federleichter Young-Adult-Comedy kontrastiert. Natürlich ist ein Nebeneinander von hart und zart in asiatischen Produktionen nicht unüblich, aber hier ist die Kluft schon sehr groß. Einerseits hat man den Eindruck, man guckt einen dieser typischen 80er-Jahre-Cartoons, wie sie zu dieser Zeit zuhauf im Kabelfernsehen liefen, anderseits bekommt man anschaulich vor Augen geführt, welche verheerende Auswirkungen ein Dämonen-Ejakulat haben kann. So richtig ist mir dieses irritierende Nebeneinander zweier völlig unterschiedlicher Pole einst nicht aufgefallen, Handlungsszenen wurden – bei dauergeilen Teenagern zu dieser Zeit nicht unüblich – meist vorgespult. Aus diesem Grund ist mir einst auch entgangen, dass sich das Ganze tatsächlich um einen, sogar relativ komplexen, Plot und um eine gewisse Charakterisierung der Figuren bemüht, die Handlungsszenen etwas mehr sind, als nur Füllsel, die die Gewalt- und Sex-Szenen verbinden sollen – alles natürlich im Verhältnis gesehen.

Wie gut „Urotsukiodji“ beziehungsweise der hier vorliegende erste Teil, „Legend of the Overfiend“ ist, lässt sich schwer eindeutig beantworten. Das hängt in erster Linie davon ab, wie sehr man (noch) gewillt ist, sich auf transgressive Pfade zu begeben. Mir hat’s unter dem Strich ganz gut gefallen, ich kann aber jeden verstehen, der die Augen verdreht. Ein Film, „den jeder selbsternannte Freund der ‚Japanimation‘ nicht nur gesehen, sondern auch im Regal stehen haben sollte […]“ wie der Text des Essays im Booklet der neuen Edition von Cinestrange meint, ist das nicht unbedingt, aber seinen Platz in der Filmgeschichte hat das Trickfilmspektakel, egal ob man es mag oder nicht, definitiv sicher.

Das mit viel Mühe zusammengestellte Mediabook (an der gelungenen Restaurierung des Films wurde fünf Jahre gearbeitet) kann absolut empfohlen werden. Was Definitiveres wird man zu diesem Titel bestimmt nicht bekommen: Erstmalig deutsch synchronisiert (und das überraschend passabel), drei Versionen (Ultimate Cut, 2K Abtastung und Internationale Fassung), dickes Booklet (64 Seiten), ein herrlich bizarres Interview mit Toshio Maeda, in dem dieser unter anderem unvermittelt von einem Abenteuer mit einem thailändischen Ladyboy erzählt, Soundtrack, Promo-Videos, alternatives Bildmaterial, Bild-in-Bild-Vergleiche, deleted Scenes, Trailer, Teaser, Bildergallerien und ein Feature über die Restaurierung. Ordentliches Paket also, da kann man wirklich nicht klagen. Man kann aber natürlich ebenso zur weitaus billigeren Amaray greifen, die aber nur den Ultimate Cut enthält und dessen Bonusabteilung (Bildergallerie, Trailer) allerdings mager ausfällt. Sehr schön: Bereits im November folgt „Urotsukidoji II - Legend of the Demon Womb“ und im Mai 2025 „Urotsukidoji III – Die Rückkehr des Overfiend“.

Hier der Trailer.

Urotsukidoji: Legend of the Overfiend Japan 1989 Regie: Hideki Takayama – ab sofort als 3-Disc-Mediabook (es gibt vier Cover-Varianten) und ab dem 30. August als 1-Disc-Amaray erhältlich.

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