„Überhitzt“: Klimawandel und Gesundheit
Im Gespräch mit Prof. Dr. med. Claudia Traidl-Hoffmann und Katja Trippel
Der Klimawandel ist vielleicht real, aber er betrifft nur Eisberge und Eisbären? Kaum vorstellbar, dass jemand im Jahr 2021 noch immer so denken kann. Doch selbst wer gut über den Klimawandel informiert ist, dürfte überrascht sein, was für Auswirkungen die Erderwärmung und ihre Folgen bereits jetzt auf unsere Gesundheit haben. Prof. Dr. med. Claudia Traidl-Hoffmann und Katja Trippel zeigen in ihrem Sachbuch „Überhitzt“, was der Klimawandel schon heute konkret für Körper und Seele bedeutet.
Claudia Traidl-Hoffmann ist eine der international führenden Umweltmedizinerinnen, die 2013 auf den Lehrstuhl für Umweltmedizin der Technischen Universität München berufen wurde. Heute leitet sie als Ärztin und Wissenschaftlerin den Bereich Umweltmedizin am Universitätsklinikum und der Universität Augsburg und am Helmholtz Zentrum München. Katja Trippel studierte Geografie und besuchte die Henri-Nannen-Journalistenschule. Nach über zehn Jahren als „GEO“-Redakteurin schreibt sie mittlerweile als freie Wissenschaftsjournalistin u. a. für die „GEO“-Familie, „mare“, „SZ“ und „riffreporter.de“. Zudem veröffentlichte sie Bücher wie „Stadtlust. Vom Glück in der Großstadt zu leben“ und „Joghurt ist Landliebe genug“ (im Shop).
„Überhitzt“ hat als Einführung ein Interview mit Katja Trippel und Prof. Dr. med. Traidl-Hoffmann, das Dr. Eckart von Hirschhausen moderierte. Danach geht es in den Kapiteln um Hitze, Allergien und Pollen, Luftverschmutzung, Viren und Bakterien, Getier wie Mücken und Zecken, Wasser und andere Elemente, aber auch Klima und Seele sowie den Klimawandel im Gesundheitswesen. Unterwegs wird geklärt, wie es unserer Welt derzeit geht, was das für Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen hat, und was für beide getan werden sollte, kann und muss. Das Ergebnis ist ein fundiertes, für jeden zugängliches und interessantes Sachbuch über große, aktuelle Themen, die eben auch jede und jeden angehen und für die wir alle etwas tun können: Die Gesundheit von uns als Individuen und als Spezies, und die Gesundheit unseres Planeten, die direkt zusammenhängen, wie Traidl-Hoffmann und Trippel in „Überhitzt“ darlegen, während sie zugleich Mut machen, die Dinge klar zu sehen und aktiv zu ändern.
Im folgenden Interview sprechen Prof. Dr. med. Claudia Traidl-Hoffmann und Katja Trippel über ihr Sachbuch, das während Corona unter besonderen Bedingungen, aber deshalb nicht mit weniger Experten-Input entstand, über das Versagen des Systems und die Perspektive in Gesellschaft, Politik, Wissenschaft und Gesundheitswesen.
Hallo Frau Prof. Dr. Traidl-Hoffmann. Hallo Frau Trippel. Haben Sie das Gefühl, dass die Allgemeinheit inzwischen die Verbindung zwischen Klimawandel und Gesundheit gezogen hat? Oder gehen viele immer noch davon aus, dass Klimawandel vor allem etwas mit Eisbären zu tun hat?
Trippel: Ich glaube, der Eisbär ist immer noch das stärkste Motiv, und genau das ist das Problem. Wir spüren den Klimawandel längst am eigenen Leib, aber bringen die Symptome nicht mit der globalen Erwärmung in Verbindung. Um das zu ändern, haben wir unser Buch geschrieben.
Traidl-Hoffmann: Der Klimawandel als gesundheitliche Bedrohung ist für sehr viele etwas neues. Genau deswegen haben wir ja auch dieses Buch geschrieben. Die gesellschaftliche Breite sieht beim Thema Klimawandel immer noch dürre Böden in fernen Ländern. Tatsache ist, dass der Klimawandel in Deutschland längst angekommen ist und bereits heute unsere Gesundheit beeinträchtig – von Kopf bis Fuß!
Ist das ein Versagen der Medien, der Politik, des Schulsystems – quasi von uns als Medienlandschaft und als Gesellschaft, dass wir die Zusammenhänge nicht bewusst machen können oder wollen anscheinend?
Trippel: Wir haben es mit einem Systemversagen zu tun, unser aller Verhalten gegenüber der Klimakrise ist geradezu paradox, daher sind wir in dem Buch der Frage nach dem Warum nachgegangen. Eine Begründung aus der Psychologie lautet, dass wir Menschen evolutionär mies aufgestellt sind, um auf eine Gefahr adäquat zu reagieren, die nicht wie ein brüllendes Raubtier aus dem Gebüsch auf uns zugerast kommt. Wissenschaftlich gesagt: Die Klimakrise zeigt genau die vier Eigenschaften nicht, die entscheidend dafür sind, dass wir eine Bedrohung wahrnehmen und auf die reagieren. Sie wirkte bislang weder persönlich noch abrupt, unmoralisch oder gegenwärtig, sondern abstrakt und zeitlich wie geografisch in vermeintlich weiter Ferne. Wir haben uns nun lang genug weggeduckt. Persönlicher als bei der eigenen Gesundheit wird’s nicht! Wir müssen nun endlich umsteuern.
Wieso hinken selbst Wissenschaft und Medizin bei der Erkenntnis hinterher?
Traidl-Hoffmann: Die Medizin und die Wissenschaft entdecken erst seit einiger Zeit die Bedeutung und das Gewicht der Wissenschaftskommunikation. Wir Wissenschafter:innen und Mediziner:innen saßen – und sitzen heute zum Teil immer noch – auf einem hohen Ross und haben uns daran gewöhnt, dass uns keiner versteht. Daheim gehe ich da kontinuierlich durch eine harte Schule, weil mein Mann Elektrotechniker ist und mich stets triezt, dass ich mich bitte verständlich ausdrücke. Es ist also unsere Aufgabe, Erkenntnisse verständlich zu vermitteln. Deswegen war es für mich persönlich auch so hilfreich, mit Katja zusammenzuarbeiten – weil sie einfach eine gute Sprache hat, die in sehr lebendiger Art Fakten verständlich rüberbringt.
Denken Sie, das Problem der Wahrnehmung von Klimawandel und Gesundheit wird sich durch Corona verändern? Am Anfang der Pandemie hatte man das Gefühl, die Menschen hören auf ihre Wissenschaftler. Da war man dankbar um Experten. Das kippte irgendwann, die Anfeindungen nahmen zu. Wird das Bild des Wissenschaftlers, der den Weg in die Zukunft zeigt, gestärkt oder geschwächt aus Corona hervorgehen?
Trippel: Meine Hoffnung ist: Die meisten Menschen verstehen nun besser, wie Wissenschaft funktioniert. Dass es Qualitätsanforderungen gibt für Studien beispielsweise, dass Behauptungen ohne valide Belege nichts wert sind. Und dass es Leben rettet, auf diejenigen zu hören, die sich wirklich auskennen, nicht auf die Schwätzer. Es ist ein absolutes Drama, was Corona angerichtet hat in den USA oder Brasilien, wo die Regierung sich taub stellte (und im Fall von Bolsonaro noch immer stellt) gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen. Dasselbe gilt für den Klimawandel: Je weiser wir handeln, umso besser stehen unsere Chancen auf eine gute Zukunft.
Traidl-Hoffmann: Durch Corona wurde die Wissenschaftskommunikation nach vorne katapultiert – im positiven Sinne. Ich habe es als Bereicherung empfunden, dass so viel Detailwissen aufgesaugt wurde. Und genau das brauchen wir – Wissen, um unsere Handlungen und unseren Lebensstil anzupassen. Wobei ich mich jedes Mal an der Kasse frage, wie jemand noch Zigaretten rauchen kann, trotz der erdrückenden Evidenz und diesen schrecklichen Bildern auf den Packungen.
Sie haben für Ihr Buch mit über 60 Expertinnen und Experten gesprochen, persönlich, aber auch per Telefon oder Zoom. Hat Corona, bei allem Übel, letztlich auch neue Kanäle geöffnet, die Welt digital noch etwas grenzenloser gemacht?
Trippel: Es war zumindest einfacher, die Expertinnen und Experten zu erreichen, weil sie meist im Home-Office hockten, statt etwa im Labor oder auf Feldforschung. Zwangsweise haben wir die meisten Interviews über Zoom gemacht, doch ich war positiv erstaunt, wie viel dabei rüber kam, dass man nicht immer in den Zug oder gar ins Flugzeug steigen muss für gute Recherchen. Aber ich kann es ehrlich gesagt kaum erwarten, wieder persönlichere Einblicke zu gewinnen als über einen Bildschirm!
Hätte Ihr Buch ohne Corona ganz anders ausgesehen?
Trippel: Nein. Corona hat nur auf drastische Weise gezeigt, was auf einem ökologisch und klimatisch deregulierten Planeten passieren kann, daher haben wir das Thema mit aufgenommen.
Wird die abermals vorangeschrittene Vernetzung auch der Medizin sowie dem Kampf gegen den Klimawandel helfen?
Traidl-Hoffmann: Die Digitalisierung wird auch der Medizin helfen – insbesondere in Bezug auf die Klimaresilienz. Denken wir nur an die Gesundheits-Apps, die auch als Frühwarnsysteme verwendet werden können. Zum Beispiel für Pollenallergiker, mit Pollenvorhersage kombiniert mit Wetterprognosen und Gewitterwahrscheinlichkeit (wegen des Gewitterasthmas, mehr dazu im Buch); oder Risikopatienten für Schlaganfälle, die ganz persönlich bei Wetterlagen und Hitze gewarnt werden können. Genau hier setzen auch meine eigene Forschungen in der Umweltmedizin in Augsburg an.
Wie muss man sich eigentlich die Arbeitsteilung bzw. Zusammenarbeit bei Ihnen beiden vorstellen? Sie kommen ja auch aus verschiedenen Ecken …
Trippel: Genau dadurch wurden wir zum Perfect Match, wenn ich das mal so euphorisch sagen darf! Wir haben gemeinsam die Themen und die Kapitel festgelegt und dann in unseren Spezialgebieten die besten Expertinnen und Expertinnen gesucht. Claudia hat viele Türen zu Medizinerinnen und Medizinern im In- und Ausland geöffnet, ich kannte die Profis aus der Umwelt-Forschung. Und dann ging es los mit Recherchieren und Schreiben. Das übernahm hauptsächlich ich, Claudia hat diverse offene Stellen gefüllt und alle anderen nochmal gegengecheckt.
Traidl-Hoffmann: Das ist mein erstes Buch, das ich schreibe. Mitgeschrieben an Fachbüchern habe ich schon oft. In diesem Fall war es ganz anders. Man hatte mich schon Monate früher angesprochen, ob ich nicht ein Buch über Klimawandel und Gesundheit schreiben möchte. Allerdings sah ich in meinem Alltag zwischen Patienten, einen Lehrstuhl, einem Institut und allem nicht die Muße, ein Buch zu schreiben. Da kam dieses Angebot mit einer Expertin wie Katja wie ein Geschenk auf mich zu – und so war es. Erstaunlich ist wirklich, wie gut wir harmonierten, obwohl wir uns über Zoom kennengelernt und nur einmal persönlich getroffen haben.
Wenn Sie auf die Arbeit am Buch zurückblicken: Gibt es die eine Begegnung, die den Klimawandel, der jeden trifft, für Sie ultimativ veranschaulicht?
Trippel: Mir gingen vor allem die Geschichten der PatientInnen nahe. Die Frau, die wegen ihrer Neurodermitis bei Hitze durch die Hölle ging. Der Ambrosia-Allergiker aus Brandenburg, der überall im Garten Eimerchen mit Klopapier aufstellte, weil ihm von Frühjahr bis Herbst die Nase lief und die Augen tränten. Der Lungenkranke, der an Hitzetagen nur in seinem klimatisierten Auto genügend Luft bekommt. Das sind alles andere als Einzelschicksale, Millionen Menschen sind betroffen.
Haben Sie vor allem Hoffnung, oder eher Sorge, was die Zukunft angeht?
Trippel: Mal so, mal so. Gerade passiert wahnsinnig viel, was der Politik hoffentlich den nötigen Dampf macht: das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das Urteil gegen Shell, die Absichtserklärungen verschiedener Unternehmen, Co2 einzusparen. Nur mit Worten wird nur leider keine einzige Tonne Treibhausgase eingespart. Was zählt, ist echtes Handeln.
Traidl-Hoffmann: Die Hoffnung wird bei mir jeden Tag größer, weil ich durch das Buch und meine Arbeit zum Thema Klimawandel viele Weggefährten gefunden habe, die etwas verändern wollen und es auch jetzt schon tun. Es braucht eine kritische Masse um die Gesellschaft zu transformieren – und die haben wir bald!
Sie sollen uns jetzt nicht auf Ihren Wahlzettel von Morgen schauen lassen, aber: Was wünschen und erhoffen Sie sich von der Politik, den Wählern, den Menschen allgemein – und was erwarten Sie, realistisch betrachtet?
Trippel: Dem Klima ist es völlig Wurscht, wer Bundeskanzlerin oder Bundeskanzler wird. Ich wünsche mir daher, dass Klimaschutz keine Frage des Wahlzettels bleibt, sondern für alle Parteien die nötige Relevanz bekommt. Wenn schon nicht den Eisbären zuliebe, dann für unsere eigene Gesundheit und die unserer Kinder. Und dazu gehört, dass die Bremser und Vermeider und Greenwasher laut und deutlich ausgebuht und diejenigen Leute angefeuert, werden, die sich um die „Planetary Health“ kümmern: die Gesundheit von Erde und Menschen. Die Konzepte liegen alle in den Schubladen. Ran da!
Möchten Sie unseren Lesern noch etwas mit auf den Weg geben?
Traidl-Hoffmann: Alles, was wir für das Klima tun, ist gleichzeitig gut für uns – eine klassische Win-Win-Situation. Banales Beispiel: aktive Mobilität, fleischarme Ernährung. Es geht sogar bis zur Win-Win-Win Situation – weil die Wirtschaft ebenfalls gewinnen kann beim Klimaschutz. Es wird einfach viel teurer, wenn wir JETZT nichts tun – und wir zerstören unsere menschliche Existenzgrundlage. Braucht es noch mehr Argumente?
Fotos © Micha Pawlitzki
Prof. Dr. med. Claudia Traidl-Hoffmann, Katja Trippel: Überhitzt. Die Folgen des Klimawandels für unsere Gesundheit • Dudenverlag, Berlin 2021 • 303 Seiten • Hardcover: 20 Euro
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