28. Juni 2016 2 Likes

„Lovecraft war ein seltsamer Mann.“

Jonathan L. Howards Meta-Krimi „Carter & Lovecraft: Das Erbe“

Lesezeit: 7 min.

Lovecraft-Interpretationen, die Mann und Mythos neu verquicken, gibt es viele. Jonathan L. Howard präsentiert in seinem Roman „Carter & Lovecraft: Das Erbe“ nun einen ebenso frischen wie interessanten Ansatz zwischen Hardboiled-Krimi und Meta-Fiktion. In den 90ern arbeitete Howard als Autor u. a. an der erfolgreichen Videogame-Serie Baphomets Fluch, 2009 erschien sein erster Roman „Johannes Cabal – Seelenfänger“. Neben bis dato fünf Romanen über den Necromancer verfasste Howard, der mit Frau und Tochter in der Nähe von Bristol lebt, noch diverse Kurzgeschichten und zwei Science-Fiction-Jugendbücher, ehe 2015 der Roman „Carter & Lovecraft: Das Erbe“ veröffentlicht wurde, der gerade auf Deutsch bei Cross Cult erschienen ist. Im Buch quittiert der New Yorker Polizist Dan Carter nach einer verhängnisvollen Serienkillerjagd den Job und wird Privatdetektiv. Außerdem erbt er ein Haus in Providence, in dem Emily Lovecraft, die afroamerikanische Groß-Groß-Enkelin des berühmten H. P. Lovecraft, einen antiquarischen Spezialbuchladen führt. Dan freundet sich mit ihr an und wird obendrein in eine bizarre Mordserie hineingezogen, hinter der sich viel mehr verbirgt – so, wie sich auch hinter Jonathan L. Howards übernatürlichen Krimi mehr verbirgt. Vor allem das doppelbödige Spiel mit Realität, Fiktion und Mythos weiß zu gefallen, während Howard den Beweis liefert, dass man noch immer auf innovative Art und Weise mit Lovecrafts omnipräsentem Erbe spielen kann. Im Interview spricht Jonathan L. Howard über den Kult um den Sonderling aus Providence, wahren Horror, Lovecrafts Rassismus und die Konsequenzen für den World Fantasy Award.

Hallo Jonathan. Seltsame Bücher spielen in Lovecrafts Einzugsgebiet stets eine Rolle. Was ist das seltsamste Buch deiner Sammlung?

Unglücklicherweise sind meine Regale größtenteils bar arkaner Inkunabeln mit Geheimnissen Die Kein Mensch Kennen Sollte. Dafür sind sie gut bestückt mit Krimis, Thrillern, Horror, Science-Fiction und Fantasy. Die Sachbücher behandeln an erster Stelle Historisches und danach Wissenschaftliches. Das Buch, das man in meiner Sammlung am wenigsten erwartet, ist vermutlich „How To Write a Romance Novel“.

Wann hast du zum ersten Mal Lovecraft gelesen?

Das war eine seiner ‚Überarbeitungen’ einer Geschichte von Hazel Heald, die er in Wahrheit als Ghostwriter für sie geschrieben hat: „Das Grauen im Museum“. Ich las sie in den 70ern und war überrascht und erfreut, dass darin ein Monster vorkam. Meiner Erfahrung nach waren Monster im literarischem Horror kein Thema. Als Rhan-Tegoth auftauchte, war das eine Erleichterung.

Hast du eine Lieblings-Lovecraft-Story?

Keine wirkliche Story, aber einen Traum, den Lovecraft hatte und niederschrieb, und aus dem J. Chapman Miske nach Lovecrafts Tod eine Geschichte machte. Sie hat den Titel „Das Ding im Mondlicht“ und ist extrem kurz, aber wenn ich die Story lese, ‚lebe’ ich die Erfahrungen des Erzählers. Sie hat eine Direktheit, die Lovecraft normalerweise mied.

Wie erklärst du Lovecrafts anhaltende Faszination und die dauerhafte Präsenz seiner Person und seiner Mythen?

Schwierige Frage. Möglicherweise liegt es daran, dass Lovecrafts Werk – obwohl er das nie so plante – den Eindruck einer größeren Kohärenz erweckt, und dass eine Geschichte immer nur einen Teil des Ganzen zeigt. Genauso gut könnte es daran liegen, dass Lovecraft nie in den Sinn kam, seine Ideen in einer Art „Silmarillion“ zu vereinigen, was es schrecklich kodifiziert und limitiert hätte. Einer der wundervollen Aspekte an Lovecrafts Kosmos ist ja, dass alles in den Händen der Autoren liegt. Ob du den Leser erschrecken oder soziale, moralische oder politische Punkte ansprechen möchtest, der ‚Cthulhu-Mythos’ (um eine Phrase zu gebrauchen, die Lovecraft selbst nie benutzte) ist ein herrlicher Baukasten, um all dies zu tun.

Was ist der Unterschied zwischen einem Lovecraft-Fan und einem Lovecraft-Gelehrten?

Vermutlich die Tiefe des Wissens. Ich bewundere Lovecrafts Arbeit – selbst wenn er selbst manchmal weniger bewundernswert ist –, aber ich bin definitiv kein Gelehrter. Leute wie Kenneth Hite oder S. T. Joshi haben mehr über Lovecraft vergessen, als ich jemals wissen werde.

Woran erkennst du, dass du die richtige Menge Referenzen in einem Roman hast?

Ich versuche einfach, dass es sich organisch anfühlt. Ich erzwinge niemals eine Referenz. Wenn der Plot keine Anspielung suggeriert oder unterstützt, lasse ich es. Mein Verstand arbeitet auf spielerische Weise, und das schlägt sich in meinen Texten nieder.

„Carter & Lovecraft: Das Erbe“ ist ebenso HPL- wie Hardboiled- Hommage. Welche Krimi-Autoren haben dich beeinflusst?

Ich bin ein großer Fan von Ed McBain und hatte das große Vergnügen, ihn vor ein paar Jahren zu treffen. Allerdings lese ich nicht viele zeitgenössische Krimis und bevorzuge ‚Golden Age’-Autoren wie Dorothy L. Sayers. Außerdem habe ich eine Schwäche für ‚unmögliche Verbrechen’ wie Mordfälle in einem verschlossenen Raum.

In deinem Roman gibt es eine Szene mit einer versuchten Vergewaltigung. Dieser reale Terror inmitten der fiktiven Lovecraft-Schrecken lässt einen über unsere Sichtweise von Horror nachdenken. Absicht?

Teilweise, ja. Bevor ich diese Szene schrieb, habe ich intensiv darüber nachgedacht, und ich mache mir noch immer Sorgen, dass manche Leser sie als überflüssig betrachten. Eine Vergewaltigung ist das schlimmste, was einem nach Mord und Folter passieren kann, und Letzteres ist ebenfalls eine Form von Vergewaltigung. Die Szene im Roman soll einen Grad der Entmenschlichung zeigen, und damit das Versagen grundlegender menschlicher Qualitäten und Vorstellungen, wenn ein entsetzliches Verbrechen banal erscheint. Ich wollte nicht lange bei der Tat verweilen, und so ist die Szene ganz kurz und jenseits des Zwecks der Beschreibung nicht zu bildlich.

Du hast eben Lovecrafts fragwürdige Ansichten erwähnt. Wie siehst du die Kollision von modernen Standards und hässlichen, aber gängigen Ansichten einer anderen Zeit?

Lovecraft war ein seltsamer Mann. Rassistisch und antisemitisch, und doch hatte er jüdische Freunde und heiratete eine jüdische Frau. Er war der Inbegriff der paradoxen Einstellung ‚Oh, sie sind anders, und dennoch sind sie meine Freunde’. Ein Mann, der große Angst vor dem Unbekannten hatte, und das schloss Menschen mit ein, die er nicht persönlich kannte. Es wird darüber gestritten, ob er selbst für seine Zeit außergewöhnlich rassistisch war, aber ich glaube das nicht. Er war vermutlich bewusster xenophob als die meisten, doch ich habe den Verdacht, dass das eher eine echte Phobie war und weniger der Rassismus der arroganten weißen Supermacht-Weltsicht, die jede Art von weißem Rassismus ausmachte, ehe er sich vor nicht allzu langer Zeit zu einer paranoiden Methode zum Schutz der eigenen Privilegien entwickelte.


World Fantasy Award

Dennoch wird Lovecrafts Büste nicht länger als Trophäe des World Fantasy Award fungieren …

Das Argument, die Trophäe aufgrund von Lovecrafts Rassismus zu ändern, ist ein bescheidenes, da alle Idole auf tönernen Füßen stehen. Würde die Trophäe, wie vorgeschlagen, fortan Octavia Butler abbilden, was machen wir dann, wenn in ein paar Jahren herauskommt, dass Butler Welpen gequält oder Waisenkinder verbrannt hat, oder etwas ähnlich Abscheuliches? Um zu sehen, dass so etwas passieren kann, müssen wir uns doch nur vor Augen führen, was in den letzten Jahren mit Marion Zimmer Bradleys Ruf passierte. Ein besseres Argument wäre, dass Lovecraft nicht die gesamte Fantastik und ihre Myriaden an Subgenres repräsentiert. Was niemand tut. Ich hoffe, dass sie das machen, was sie von Anfang an hätten tun sollen, und eine nicht-figürliche Trophäe verwenden. Tentakel wären nett.

Ist Emily als Lovecrafts afroamerikanische Nachfahrin dein augenzwinkernder Kommentar zu der Rassismus-Debatte?

Ich hatte ein Viertel des Buches geschrieben, als ich mit quietschenden Reifen zum Stehen kam angesichts der Erkenntnis, dass all meine Protagonisten weiß sind. Davon abgesehen, dass das nicht die Wirklichkeit zeigte, war es langeilig und unkreativ von mir. Ich spielte mit verschiedenen Änderungen herum, doch keine funktionierte. Die einzige Figur, die ich lange nicht für eine Veränderung in Betracht zog, war Emily, wegen … na ja, Lovecraft. So weiß wie nur möglich. Dann hatte ich den verspäteten Einfall und dachte, Warum nicht? Ich habe womöglich sogar übelwollend gekichert, als mir die Idee kam. Ich muss sagen, es hat den Charakter immens verbessert. Vorher war Emily die am wenigsten befriedigende Hauptfigur gewesen. Ich hatte echt Probleme, sie in den Griff zu kriegen, und schrieb sie letztlich als ‚Manic Pixie Dream Girl’ [Red.: süße Indie-Traumfrau]. Sie war furchtbar. Nur weit aufgerissene Augen, Klatschen und unerträglich kawaii. Die Erinnerung lässt mich schaudern. Sie mit ihrer speziellen Blutlinie zu einer Afroamerikanerin zu machen, erdete sie prompt. Sie hat ein ganzes Leben voller Rassismus, mit dem sie ringen muss, und trägt die permanente Erinnerung in sich, dass ihr Vorfahre viel Wind um Rassenreinheit, minderwertige Rassen und die Schrecken der Rassenmischung machte. Das empfindet sie als lustig, aber zugleich als gelegentliche Bürde. Als Figur entwickelte sie sich von schrullig-smart zu geradeheraus-intelligent, und sie fing an zu fluchen. Wenn ich sie schreibe, spüre ich ihr Gewicht in meinem Kopf, womit ich sagen möchte, dass sie ein runder Charakter ist, und nicht mehr der leicht peinliche, glitzernde Stereotyp, als der sie begann.

Der erste Band endet mit einem großen Versprechen für die weiteren Bücher. Wie weit hast du die Abenteuer von Emily und Dan geplant?

Nicht so weit. Aktuell arbeite ich am zweiten Buch, und alles wird kontinuierlich immer seltsamer. Ich habe einen groben größeren Storybogen im Hinterkopf, aber meiner Meinung nach ist es ein Fehler, zu viel zu planen, wenn die besseren Ideen für gewöhnlich unterwegs kommen.

Möchtest du deinen deutschen Lesern noch etwas sagen?

Ich hoffe, dass ihnen „Carter & Lovecraft“ gefällt. Oh, und dass sie, wenn sie die Johannes-Cabal-Romane mochten, den deutschen Verlag höflich darum bitten sollen, das vierte und das fünfte Buch zu veröffentlichen.

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